«Elisa ist für uns ein unendlich grosses Glück!»
Elisa Waldvogel feiert mit ihrer Familie heute, am 21. März, den Welt-Down-Syndrom-Tag
Elisa Waldvogel und ihre Familie wohnen in Oberiberg. Elisa ist die fünfte Tochter von Michaela Waldvogel und anders als die anderen: Das Mädchen wurde mit Trisomie 21 geboren, dem sogenannten Down Syndrom. Ihre Mutter Michaela erzählt, wie sie mit der angeborenen genetischen Störung umgehen.
Trisomie 21 ist keine Krankheit, aber was ist es eigentlich genau?
Genau, es wird nicht als Krankheit definiert, es ist eine Chromosomenstörung. Das 21. Chromo-som ist dreifach vorhanden. Neben Entwicklungsverzögerungen können auch verschiedene Begleiterkrankungen auftreten. Viele kommen mit einem Herzfehler zur Welt. Wie zeigt sich dieses Extra-Chromosom bei Elisa? Sie entwickelt sich langsamer. Das heisst, es dauerte zum Beispiel länger, bis sie krabbeln, laufen oder auch sprechen konnte. Sie hat ein sehr stures Köpfchen wie viele Menschen mit Down Syndrom. Sie hat eine starke Weglauftendenz und kann Gefahren nicht einschätzen. Da sie keine Scheu vor Menschen hat, würde sie mit jedem mitgehen. Wussten Sie schon vor der Geburt von Elisas Chromosomenstörung?
Nein. Ich war zwar über zwei Monate im Krankenhaus, da es Komplikationen gab. Nicht aber mit dem Kind, sondern bei mir. Sie hat sich gut entwickelt. Natürlich legte man uns alle möglichen Tests nahe und auch eine Abtreibung, da ich grosse Probleme hat-te. Aber wir haben alles abgelehnt und glaubten fest daran, dass alles gut geht. Und wir wollten dieses Kind, egal was es mitbrachte. Wie haben Sie denn bemerkt, dass Ihre Tochter das Down Syndrom hat? Uns sind direkt nach der Geburt die mandelförmigen Augen aufgefallen. Nach ein paar Stunden sprachen mein Mann und ich darüber. Wir waren uns beide fast sicher, dass sie das Down Syndrom mitgebracht hatte. Doch im Krankenhaus sprach uns einfach niemand von den Ärzten oder Hebammen darauf an. Nach drei Tagen fragte ich nach und man bestätigte mir, dass es ihnen auch aufgefallen war. Am folgenden Tag wurde Elisa vom Kinderarzt im Krankenhaus untersucht. Doch er meinte, ausser den Augen und einer durchgehende Handfurche sei ihm nichts aufgefallen. Elisa musste dann wegen einem zu hohen Bilirubin-Wert in ein grösseres Krankenhaus. Da wurde ein Chromosomenschnelltest gemacht und alle Organe untersucht. Am zehnten Tag bekamen wir die definitive Bestätigung für das Down Syndrom.
Und wer war nach der Diagnose für Sie da?
Wir wurden von einer Assistenzärztin aufgeklärt. Sehr empathielos wurde uns das Testergebnis mitgeteilt. Anschliessend wurde die Zukunft unserer Tochter nur schwarzgemalt. Sie zählte auf, was alles passieren kann, welche Krankheiten sie bekommen könnte und welche Dinge sie nie in ihrem Leben lernen wird. Nach zehn Minuten wurden wir entlassen, mit einer Telefonnummer, bei der wir uns bei Fragen hätten melden können. Der Anruf kostete pro Minute drei Franken und wir wären wohl arm geworden bei einem Anruf, weil wir viele Fragen hatten. Wir sind anschliessend nach Hause und ha-ben selber angefangen, Informationen zu sammeln. Schon nach kurzer Zeit wussten wir, es kann so sein, wie die Ärztin uns gesagt hat, es muss aber nicht.
Elisa ist anders als ihre vier weiteren Kinder. Wie würden Sie Elisa beschreiben? Sie ist extrem lebhaft, was jetzt nicht unbedingt typisch für das Down Syndrom ist. Sie hat sehr viel Energie. Es gab Zeiten, da ging sie um 22 Uhr ins Bett und stand um 3 Uhr auf, war dann aber bis abends immer aktiv. Das ist zum Glück etwas besser geworden, aber sie schläft schon sehr viel weniger als meine anderen Kinder. Man muss immer präsent sein. Sie hat viele lustige Ideen und da sie Gefahren nicht einschätzen kann, sind die Ideen oft auch gefährlich. Sie ist sehr anfällig auf Atemwegserkrankungen. Besonders die Monate September bis April waren jetzt die letzten zwei Jahre sehr anstrengend. Wir haben mehr Kontrolluntersuchungen, zum Beispiel alle paar Monate beim Augenarzt oder zwei mal jährlich beim Kinderarzt. Ab und zu gibt es einen Herzultraschall zur Kontrolle, da sie einen Herzfehler hatte, der sich aber selber regeneriert hat. Aktuell läuft gerade eine Abklärung, ob bei ihr als zweite Diagnose noch ADHS vorliegt. Sie war lange in der Logopädie, um richtig sprechen zu lernen, und es steht eine Ergotherapie an, da sie mit der Feinmotorik Mühe hat. All dies gab es bei meinen anderen Kindern nicht, dafür gab es anderes.
Wie sehr hat Elisa Ihr Leben verändert?
Wir sind sehr viel mehr zu Hause, da Elisa schnell überfordert ist. Besonders wenn zu viele Menschen um sie sind oder wenn es laut ist. Auch für uns ist es anstrengend, wenn wir mit ihr unterwegs sind, da sie immer in Bewegung ist und man keine ruhige Minute hat. Wir mussten uns auf viel Neues einlassen. So zum Beispiel all die IV-Abklärungen und Revisionen, die jeweils sehr belastend sind, da man dort nur defizitorientiert ist und es nicht darum geht, all ihre Fortschritte zu bewerten. Oder dass wir viele Menschen bei uns zu Hause ha-ben, da wir dank der IV ein Assistenzteam und Unterstützung im Haushalt haben dürfen. Das ist sehr viel wert und gibt uns die Möglichkeit, etwas durchzuatmen, die Verantwortung für Elisa auch mal abzugeben. Aber es war sehr gewöhnungsbedürftig, mittlerweile sind wir aber sehr dank-bar um die Hilfe und haben ein tolles Team zusammen. Sie verbringen mit Elisa viel Zeit draussen in der Natur, spielen und kochen mit ihr und fördern sie da, wo es nötig ist. Wir sind sehr dankbar, dass wir Elisa bei uns haben dürfen, sie ist ein Geschenk Gottes. Sie hat uns gelehrt, im Hier und Jetzt zu leben. Seit sie bei uns ist, haben wir so viel mehr zu lachen. Sie ist ein fröhliches Kind, unterhält uns mit ihren flotten Sprüchen und durch sie sind wir mit so vielen Menschen in Kontakt gekommen, weil sie einfach offen auf alle zugeht.
Seit Juni 2021 haben Sie einen Hund. Wie hat Elisa das neue Familienmitglied aufgenommen? Uns war es wichtig, dass Char-lie, unser Hund, von klein auf bei uns ist, damit er sich an Elisa gewöhnt. Ihr fehlte vor allem am Anfang das Feingefühl. Das haben wir schon bei unserer Katze bemerkt, die sechs Monate zuvor bei uns eingezogen ist. Sie ha-ben sich sehr gut an Elisas etwas ruppige Art gewöhnt. Seit September letzten Jahres haben wir sogar noch eine zweite Katze. Natürlich muss man Elisa manchmal etwas bremsen, aber es geht eigentlich sehr gut. Sie fragt mich jeden Morgen, ob Charlie mit in die Schule darf und ist enttäuscht, wenn ich sie mal ohne den Hund in der Schule abhole. Wie hat Ihr Umfeld Elisa aufgenommen?
Elisa wurde von der ganzen Familie und unseren Freunden mit offenen Armen empfangen. Niemand hat negativ reagiert. Und wie erleben Sie die Akzeptanz in der Öffentlichkeit? In der Öffentlichkeit gab es ein paar negative Reaktionen oder Bemerkungen, besonders wenn wir unterwegs waren. Einmal rief eine Frau durch den vollbesetzten Bus, ob das Kind im Kinderwagen ein Mongoloid sei. Oder jemand hat mal gesagt, so ein Kind sei heute doch nicht mehr nötig, das könne man verhindern. Auch bekomme ich hin und wieder ungefragt Tipps. Zum Beispiel, weil ich meine Tochter im öffentlichen Verkehr mit dem Kinderwagen transportiere, wenn wir Termine haben. Irgendwann mag man nicht mehr erklären, dass sie schneller müde wird, dass sie ein stures Köpfchen hat. Und wenn sie nicht mehr laufen will, sich einfach hinsetzt und ich sie dann tragen müsste. Manchmal braucht man eine Elefantenhaut, wenn sie im Bus oder Zug die Leute beim Vorbeigehen packt oder unangebrachte Wörter durch die Gegend ruft. Dann kommen schon hin und wieder böse Blicke. Aber mehrheitlich sind die Reaktionen sehr positiv und viele freuen sich, weil sie so unverblümt und ohne Scheu mit ihnen spricht. Sie schreiben auch einen Blog, wie kam es dazu? Nach Elisas Geburt wurde ich gefragt, ob ich nicht einen Blog schreiben wolle. Aber damals war
Elisa ist bald acht Jahre alt und besucht zurzeit die erste Klasse in Oberiberg. Wie funktioniert die Eingliederung in die Regelschule? Die Eingliederung in die Regelschule war ein langsames Herantasten und zuerst mal für alle ungewohnt. Elisa ist bereits mit vier Jahren in den freiwilligen Kindergarten gegangen, wo sie aber nur wenige Lektionen besuchte. Diese wurden dann im Laufe der Zeit nach oben angepasst. Wir muss-ten lernen, dass es nicht immer so einfach ist, wie wir uns das vorstellten. Wenn ich jeweils Elisa beobachtete im Kindergarten, wie sie da wie ein Sack voll Flöhe kaum zu bändigen war, fragte ich mich schon, ob es das Richtige sei. Rückblickend hat es sich sehr gelohnt, sie hat so viel gelernt, be-sonders auch von den anderen Kindern. Als sie in den Kindergarten kam, sprach sie knapp vier Worte. Bis zu den Herbstferien konnte sie schon kurze Sätze bilden. Das war sehr beeindruckend für uns. Mittlerweile spricht sie sehr gut und wir verstehen fast alles. Elisa ist gut in die 1. Klasse gestartet und geht gerne in die Schule. Sie hat ein sehr motiviertes Team um sich, welches sie in ihrem Rhythmus begleitet. Wie die weitere Schullaufbahn aussieht, hängt von so vielen Faktoren ab. Wie entwickelt sie sich weiter, wie sehen die Ressourcen der Gemeinde aus, welche die Assistenz zur Verfügung stellt, die Elisa begleitet. Und wie steht der Kanton dazu? Es sind viele Stellen involviert. Unser Wunsch wäre, dass sie die ganze Primarschule in Oberiberg besuchen könnte, weil sie sich wohl
Welt-Down-Syndrom-Tag
as. Heute, Dienstag, 21. März, ist der alljährliche Welt-Down-Syndrom-Tag. Dieser wird seit 2006 überall auf der Welt gefeiert. Genau an diesem Datum, weil bei Menschen mit Down Syndrom das 21. Chromosom dreimal vorhanden ist. Die Menschen mit 47 Chromosomen sollen an diesem Tag eine Stimme bekommen. Eine Form, das zu tun, ist mit der Plakataktion, die verschiedene Vereine in mehreren Ländern anbieten. Immer unter einem anderen Motto wird mit Plakaten auf diesen Tag und die betroffenen Menschen aufmerksam gemacht. Jeder kann sein eigenes Foto hochladen, es wird für sie ein Plakat daraus entworfen und anschliessend kann man es selber ausdrucken und in der nächsten Umgebung verteilen. Die geniale Idee die-ser kostengünstigen Kampagne
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fühlt und alle kennt und weil wir so viele Fortschritte sehen. Auch möchten wir es ihr mit ihrem Temperament nicht zumuten, einen so langen Schulweg auf sich nehmen zu müssen für die Heilpädagogische Schule. Und uns würde sie sehr fehlen am Mittagstisch. Aber wir mussten uns schon von vielen Wunschvorstellungen verabschieden. Im Augenblick sind wir sehr dankbar, dass sie jetzt hier in die Schule darf, denn das ist nur wenigen Kindern mit Down Syndrom in der Schweiz vergönnt. Obwohl es ein Gesetz gibt für die Integration von Kindern und Erwachsenen wie Elisa, sind wir noch weit entfernt von der Umsetzung. Es fehlt an Erfahrung, Ressourcen und schlussendlich auch am Willen der jeweiligen Behörden. Was wünschen Sie sich für das Leben Ihrer jüngsten Tochter? Wir wünschen uns für Elisa, dass sie irgendwann einen Beruf ausüben kann, der sie erfüllt. Und dass sie ein möglichst eigenständiges und gesundes Leben führen darf. Das Wichtigste ist, dass sie ihr grosses Herz und ihre Fröhlichkeit nie verliert.
Danke für das aufklärende Gespräch und alles Gute für die Zukunft.
Fotos: zvg