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«Eigentlich können wir nicht von Widerstand sprechen»

«Eigentlich können wir nicht von Widerstand sprechen» «Eigentlich können wir nicht von Widerstand sprechen»

Der Verhaltenskodex gegen sexuelle und spirituelle Gewalt in der katholischen Kirche gibt auch im Kanton Schwyz viel zu reden. Jetzt reagiert der Bischof von Chur auf die Kritik.

Die römisch-katholische Kirche schult derzeit ihre Mitarbeitenden, wie sie mit dem Verhaltenskodex gegen sexuelle und spirituelle Gewalt im Alltag umgehen können. Wo stehen Sie heute mit der Umsetzung? In den letzten Monaten haben verschiedene Einführungsveranstaltungen zum Verhaltenskodex stattgefunden. Auch im Kanton Schwyz gibt es derzeit solche. Wir rechnen damit, dass bis im Juni alle durchgeführt werden konnten. Die Teilnahme an den Kursen ist gross und der Austausch rege.

Auch im Kanton Schwyz gibt es positive wie kritische Reaktionen, wie sich derzeit in den Leserbriefspalten zeigt. Wie gross ist der Widerstand? Eigentlich können wir nicht von Widerstand sprechen. Es ergeben sich Verständnisfragen, die in diesem Prozess nicht nur normal, sondern sogar erwünscht sind. Sie zeigen, dass sich alle intensiv mit dem Inhalt auseinandersetzen. Genau das erhoffen wir uns. Der Verhaltenskodex regt einen Kulturwandel an. Doch so einfach scheint dieser

Kulturwandel aktuell nicht zu gelingen.

Damit dieser Wandel verstanden und innerlich vollzogen werden kann, braucht es Zeit und Austausch. Deswegen ist es verständlich, dass einige Seelsorgende und kirchliche Mitarbeitende anfänglich eine gewisse Zurückhaltung, vielleicht so-gar Mühe gegenüber dem Verhaltenskodex bekundet haben. Die Einführungsveranstaltungen dienen dazu, dass all das zur Sprache gebracht werden kann. Wenn alle das Ziel des Verhaltenskodex entdecken und begreifen, wird man sehen, dass wir alle dasselbe Ziel vor Augen haben.

Was ist Ihr Hauptziel?

Beim Verhaltenskodex geht es um die operative Umsetzung der Präventionsanliegen im Alltag des kirchlichen Lebens. Dank der darin formulierten Handlungsweisen können alle – Seelsorgende, kirchliche Mitarbeitende und Gläubige – im kirchlichen Umfeld vertrauensvoll wirken, sich bewegen und entfalten. Im Vertrauen darauf, dass ihre Integrität ganzheitlich und achtsam respektiert und beschützt wird.

Kritiker sehen im Verhaltenskodex vor allem einen inhaltlichen Widerspruch zur kirchlichen Lehre. Zum Beispiel im Umgang mit Homosexuellen oder Geschiedenen, wo der Kodex Toleranz und Offenheit verlangt. Was sagen Sie dazu? Ist die kirchliche Lehre einfach nicht mehr zeitgemäss? Die kirchliche Lehre ist nicht etwas Unreales, wie Papst Franziskus immer unterstreicht, sondern lebendig und entwicklungsfähig. Wenn man das Wirken und die Botschaft des Papstes seit zehn Jahren verfolgt und ernst nimmt, heisst das, dass die Kirche tolerant und offen sein will gegenüber anderen Menschen – auch gegenüber Homosexuellen und Geschiedenen. Der Pfarrer in Steinen, Rudolf Nussbaumer, bevorzugt die St. Galler oder Basler Version. Was sagen Sie dazu? Ich habe inzwischen ein gutes Gespräch mit Pfarrer Ruedi Nussbaumer geführt und konnte mit ihm die Situation klären. Es lag ein Missverständnis vor. Bei den Dokumenten der Diözesen Basel und St. Gallen geht es nicht um einen Verhaltenskodex, sondern um ein Schutzkonzept.

Auch das Bistum Chur hat ein Schutzkonzept, dort sind die Prinzipien für einen achtsamen Umgang und den gegenseitigen Respekt festgehalten. Aber auch dort ist bestimmt, dass aufgrund dieser Prinzipien Verhaltenskodizes erarbeitet werden sollen. Die Schutzkonzepte werden nicht unterschrieben. Beim Verhaltenskodex geht es darum, dass man sich mit seinem Inhalt vertieft auseinandersetzt, seinen Zweck versteht und sich mit den darin enthaltenen Werten identifiziert. Es geht dabei um viel mehr als eine blosse Unterschrift. Im Kodex steht klar, dass Mitarbeitende, die das Papier nicht unterzeichnen wollen, entlassen werden können. Werden Sie zu dieser Massnahme auch tatsächlich greifen? Wenn Mitarbeitende trotz grösster Bemühungen und Klärungsschritten nicht bereit sind, diese Handlungskriterien der Prävention zu beachten und danach zu handeln, wird die Lage problematisch. Es geht um die Einhaltung der klaren Richtlinien eines professionellen, adäquaten Umgangs im kirchlichen Umfeld betreffend Nähe und Distanz, den die Kirche heute voraussetzt. Sollte es wirklich dazu kommen, dass jemand nicht bereit ist, adäquat und professionell zu handeln, was ich mir nicht vorstellen kann, müsste man aktiv werden und selbst die Massnahme einer Entlassung aus dem kirchlichen Dienst in Betracht ziehen. Es gibt im Kanton Schwyz auch unterstützende Stimmen, die den Kodex als wichtigen Schritt in die richtige Richtung sehen. Wie wollen Sie all diese unterschiedlichen Ansichten unter einen Hut bekommen? Nicht nur im Kanton Schwyz gibt es unterstützende Stimmen. Dieser Kodex hat eine grosse Zustimmung erfahren, inner- und ausserhalb des Bistums. Der französische Teil der Diözese Lausanne-Genf-Fribourg hat den Churer Verhaltenskodex übernommen. Demnächst wird die italienische Version erscheinen. Weitere Diözesen sind ebenfalls daran interessiert. Der Kodex sollte ein Instrument der Zusammenarbeit und ehrlicher Auseinandersetzung mit dessen Inhalt darstellen und nicht der Polarisierung, sondern der Einheit und Professionalität dienen.

Hinweis: Das Interview wurde schriftlich geführt.

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