«Die Chinesen studieren uns sehr genau»
Chinamorgen an der Stiftsschule Einsiedeln letzten Freitag
Auf Einladung des Ergänzungsfaches «Geopolitik» diskutierte am letzten Freitag der Journalist Pascal Nufer mit den Schülerinnen und Schülern der 4. bis 6. Klassen der Stiftsschule über seine Erfahrungen in und mit China.
Pascal Nufer ist langjähriger Auslandsredaktor und Chinakorrespondent von Schweizer Radio SRF und hat neben seinen Beiträgen für die Informationssendung auch eine mehrteilige Fernsehdokumentation über das Land gedreht.
Zusammen mit drei Schülern ging er der Frage nach, wie wir Europäer China sehen, wo es verzerrte Wahrnehmungen gibt und wo die Herausforderungen für Europa liegen. Mit Hilfe einer Anekdote illustrierte er das heutige Selbstverständnis Chinas. Eine chinesische Studentin in der Provinz habe ihm auf die Frage, wieso sie nach Euro-pa wolle, geantwortet: «Ich will Europa sehen, solange es noch steht.» Hintergrund waren die Turbulenzen, in denen die südlichen Länder im Zuge der Finanzkrise nach 2008 steckten. In China herrsche die vom Regime verbreitete Überzeugung, dass der Westen mit seiner Demokratie und seinen liberalen Werten ein Auslaufmodell sei und vom überlegenen, effizienten chinesischen System als künftiges Rollenmodell abgelöst werde.
Vom Staat überwacht In einem zweiten Teil illustrierte Pascal Nufer den Lernenden eindrücklich, wozu der chinesische Überwachungsstaat fähig ist und was das mit einer Gesellschaft macht. Im sogenannten «social credit system» bekommen Bürger Punkte, für braves Verhalten im Sinne der Regierung werden Punkte zugeteilt oder eben abgezogen. Wer zu wenig Punkte hat, müsse im Alltag mit Strafmassnahmen rechnen, dass er oder sie zum Beispiel keine Zugtickets mehr kaufen könne oder ihm respektive seinen Kindern die Ausbildung an der Universität verweigert werde. Das System sei völlig intransparent und der chinesische Bürger habe keine Möglichkeit, sich irgendwie dagegen zu wehren.
Pascal Nufer wies die Lernenden auf ein völlig anderes Bürgerverständnis hin: Während in der freiheitlichen Schweiz die Unschuldsvermutung herrsche und der Staat beweisen müsse, dass ein Bürger etwas verbrochen habe, müsse in China die Bürgerin dem Staat beweisen, dass sie keine Gefahr sei.
Dieses System von Kontrolle, Einschüchterung und Feindbildern habe auch ganz konkrete Auswirkungen auf seine Arbeit als westlicher Journalist gehabt. Er habe sich stets fra-gen müssen, ob er Leute in Gefahr bringe, wenn er mit ihnen in Kontakt trete. Oftmals hätten Interviewpartner nach seinem Gespräch Besuch von den Sicherheitsbehörden bekommen, einige seien für längere Zeit spur-los verschwunden. Pascal Nufer räumte auch ein, dass dadurch die Gefahr von Selbstzensur bei Journalisten bestehe und dies ihn und auch andere Journalisten zermürbt habe.
China besser kennenlernen
In Zusammenarbeit mit den drei Schülern wurde der Zuhörerschaft bewusst gemacht, dass China eine grosse Herausforderung darstellt für liberale, offene Gesellschaften. Pascal Nufer plädierte denn auch dafür, dass in der Schweiz das Verständnis für China und die Herausforderungen, die es bedeute, dringend wachsen müsse, in der Bevölkerung, vor allem aber auch bei den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft. Denn die chinesische Seite studiere uns sehr genau.