Nicht in Bern – in Brüssel werden die Schweizer Bierprobleme gelöst
Ein Pils ist ein Pils und kommt aus Tschechien. Das galt bis anhin. Doch nun darf man auch dem hellen Einsiedler Spezli Pils sagen. Ganz straffrei. Eine Glosse.
VICTOR KÄLIN
Die politischen Mühlen mahlen manchmal äusserst langsam. Und manchmal mahlen sie gar nicht. Und dennoch kann es sein, dass man als Politiker sein Ziel erreicht. Davon kann der Einsiedler Mitte-Nationalrat Alois Gmür ein hübsches Liedchen singen.
Nur Pils aus Tschechien
Angefangen hat diese Geschichte vor sechs Jahren. In der Sommersession 2017 reichte Gmür, der ja nicht nur Politiker, sondern immer auch noch Brauer ist, ein Postulat ein. In diesem ging es ums Bier. Ums Pils, genau genom-men. Und da hört bei Gmür der Spass auf. Denn in der Schweiz darf Pils-Bier weder gebraut, noch unter diesem Namen verkauft werden. Pils-Bier, das nicht in Tschechien hergestellt wurde, darf hierzulande nicht angeboten werden.
Dass das eine bierernste Vorschrift ist, bezeugt alleine schon das Abkommen: 1973, also weit im letzten Jahrtausend, setzte man extra einen Staatsvertrag auf, den die damalige Tschechoslowakisch Sozialistische Republik (wer erinnert sich?), heute aufgeteilt in Tschechien und Slowakei, und die Schweiz unterzeichneten. Für Gmür war klar: «Diese Regelung geht bis in die Bierkartellzeit zurück und ist heute überholt.» Das Brauen ist erlaubt
Deshalb forderte der Einsiedler im Juni 2017 den Bundesrat mit seinem Vorstoss auf, «abzuklären, welche Gesetze, Verordnungen oder Verträge geändert werden müssten, damit auch in der Schweiz Pils-Bier gebraut werden kann oder Pils-Bier unter diesem Namen angeboten werden darf, das nicht in Tschechien gebraut wurde».
Gmür konnte es sich in seinem Postulat nicht verkneifen, dem Bundesrat die Widersinnigkeit dieses bilateralen Vertrags vor Augen zu führen: Es ist in der Schweiz durchaus erlaubt, das in der Stadt Pilsen entwickelte Brauverfahren zu kopieren, nur darf man das Ergebnis nicht mit Pils bezeichnen. Champagner lässt grüssen!
In der Praxis sieht das dann so aus: Das traditionelle Einsiedler Spezial hell ist effektiv ein Pilsbier (wer hats gemerkt?). Nur durfte es die Brauerei Rosengarten nicht als solches bezeichnen. Auf der Etikette steht deshalb «pilsähnliches» Bier. Drehen Sie ’mal das Fläschli um, und Sie werden es selbst lesen können (sofern Sie die kleine Schrift überhaupt entziffern können).
Bundesrat hat kein Gehör
Doch zurück zum Postulat – Gmür ist schliesslich nicht nur Bierbrauer, sondern immer auch Nationalrat. Beim Bundesrat, der den Staatsvertrag 1973 wahrscheinlich ratifiziert hat, stiess der Einsiedler Politiker allerdings auf taube Ohren. Die Regierung beantragte Ende August 2018 schnöde, das Postulat abzulehnen. Der Bundesrat erinnerte daran, dass «im Gegenzug die Tschechische Republik den Schutz der Schweizer Bezeichnung ‹Emmentaler Käse› gewährleisten muss.» Für einen Bierbrauer ist das doch alles Käse. Doch im Gegensatz zu Gmür waren dem Bundesrat «konkrete Probleme nicht bekannt ». Und allein das zählt. Aber es kam noch dicker: Zwei Jahre lang war Gmürs Postulat «Pils-Bier für die Schweiz» zur Behandlung im Nationalrat traktandiert. Und stellen Sie sich vor: Die Grosse Kammer hatte in die-ser Zeit viel zu viele andere Vorstösse zu erledigen, sodass das Schweizer Pils-Bier ausser Rang und Traktanden fiel. Mit verheerenden Folgen: Nach zwei Jahren wandert ein unerledigter politischer Vorstoss in den Papierkorb. Aus und vorbei. Doch das Leben unter der Bundeshauskuppel geht weiter, als wenn es das Pils-Postulat nie und nimmer gegeben hätte. Da nimmt es die Wähler und vielleicht auch einige Wählerinnen doch wunder, was es denn in Bundesbern während zweier langer Jahre Wichtigeres zu tun gegeben hat.
Der EU sei Dank!
Damit ist die Geschichte aber nicht zu Ende. Als Gmür sich wohl selbst nicht mehr an seinen Vorstoss erinnern konnte, erhielt er Ende 2022 ganz unverhofft eine Antwort. Das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum in Bern teilte ihm per Schreiben vom 22. Dezember mit, dass «die Bezeichnung Pils/ Pilsen ab sofort in der Schweiz für Bier frei verwendet werden kann, unabhängig davon, ob importiert oder in der Schweiz hergestellt ». Und wem haben Alois Gmür und die Restschweiz das zu verdanken? Nein, nicht dem Bundesrat oder dem Nationalrat. Sondern tatsächlich der EU! Das ging so: Beim Eintritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union im Jahr 2004 wurde die Bezeichnung Pils/Pilsen nicht mehr in die Liste jener Bezeichnungen aufgenommen, die durch die EU-Reglementierung für die Tschechische Republik geschützt werden. Da aber auch in Europa die politischen Mühlen langsam mahlen, vergingen noch ein paar Jahre mit ein paar Umwegen bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum und dem EU-Gerichtshof, bis dann im Verlaufe des Jahres 2022 das Pilsner definitiv seinen Schutzstatus verlor. Das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum bemühte sich, im selben Schreiben aber klarzustellen, dass das bilaterale Abkommen mit der Tschechischen Republik über Herkunftsangaben und dergleichen weiterhin gültig sei. Das betrifft aber nicht mehr das Bier aus Pilsen, vielleicht aber weiterhin den Käse aus Emmental.
* Epilog: Auf Anfrage erklärte Alois Gmür, nun ausschliesslich Braumeister, dass die Brauerei Rosengarten zu Einsiedeln noch nicht entschieden habe, das helle Spezli neu in ‹Einsiedler Pils› umbenennen zu wollen.