Sommer ohne Regen, Winter ohne Schnee
Ein weiteres Jahr der Wetterrekorde – Stephan Bader von Meteo Schweiz steht Red und Antwort zur Klimaentwicklung im Jahr 2022
Die Schweiz blickt auf das wärmste und sonnigste Jahr seit Messbeginn 1864 zurück. Der Jahresverlauf war geprägt durch hohe Temperaturen, viel Sonnenschein und grossen Niederschlagsmangel. Der heisse Sommer brachte drei Hitzewellen und eine ausgeprägte Trockenheit.
MAGNUS LEIBUNDGUT
2022 war In der Schweiz das wärmste und sonnigste Jahr seit Messbeginn. Trifft das auch auf Einsiedeln zu? Das Jahr 2022 war in Einsiedeln mit einem Jahresdurchschnitt von 8,7 Grad das wärmste seit Messbeginn 1864. Knapp dahinter liegt das Jahr 2018 mit 8,5 Grad. Bei der Sonnenscheindauer belegt das Jahr 2022 den Rang zwei mit 2019 Sonnenstunden. Deutlich mehr Sonnenschein brachte das Jahr 2020 mit 2120 Sonnenstunden. Die Sonnenscheindauer wird in Einsiedeln aller-dings erst seit dem Jahr 1976 gemessen, und zwischen 1996 und 2012 gibt es eine lange Datenlücke.
Was ist Ihnen bezüglich der Witterung im Jahr 2022 im Grossraum Einsiedeln besonders ins Auge gestochen? Wie in der übrigen Schweiz war das Jahr 2022 in der Region Einsiedeln durchsetzt von sehr warmen Monaten. Eine weit überdurchschnittliche Wärme zeigten vor allem der Februar, der Mai und Juni sowie der Oktober und November.
Setzt sich mit 2022 klimatisch betrachtet die Reihe der vorhergehenden Jahre fort? Ganz eindeutig. Das Rekordjahr 2022 setzt den kräftigen Erwärmungstrend der letzten Jahre fort. Gibt es Wetterlagen, die gehäuft aufgetreten sind oder die vielmehr quasi aussterben? In unseren Monatsbulletins konnten wir immer wieder von anhaltenden Hochdrucklagen berichten. Das ist auch der Grund für die hohe Sonnenscheindauer.
«Vom Nebel kann Meteo Schweiz schon seit längerer Zeit rapportieren, dass er im Mittelland weniger häufig auftritt.»
Täuscht der subjektive Eindruck oder gab es im Jahr 2022 vermehrt Föhnlagen, dafür weniger Bise? Vom Föhn liegt noch keine Jahresauswertung vor. Im östlichen Mittelland war es eines der aktivsten Bisenjahre seit Beginn der automatischen Messungen im Jahr 1981. Der Sommer 2021 war ausgesprochen feucht, der letztjährige vollends trocken. Worauf führen Sie das zurück? Die Ursache dafür waren die häufigen Hochdrucklagen. Dementsprechend gab es weniger niederschlagsbringende Tiefdrucklagen.
Der Nebel ist selten geworden in diesen Zeiten. Schält sich da eine neue Tendenz heraus? Vom Nebel kann Meteo Schweiz schon seit längerer Zeit rapportieren, dass er im Mittelland weniger häufig auftritt. Das ist also eine bekannte Tendenz. Ist dieses weitere Jahr der Wetterrekorde ein Abbild des sich abzeichnenden Klimawandels? Die Schweiz befindet sich seit etwas mehr als dreissig Jahren in einer Phase mit kräftigem Klimawandel. Das Rekordjahr 2022 ist Teil dieser seit längerer Zeit laufenden Entwicklung. Wieso ist ausgerechnet der Herbst die beständigste Jahreszeit? Verändert sich der Herbst am wenigsten durch den Klimawandel?
Der Herbst hat sich in der Schweiz in den vergangenen rund 150 Jahren ebenfalls kräftig erwärmt. Er liegt damit nur geringfügig hinter den anderen drei Jahreszeiten. Derzeit stehen die Skilifte wieder still im Klosterdorf. Würde der Bau von Schneekanonen in Einsiedeln überhaupt etwas bringen, wenn es draussen vor der Türe 15 Grad ist? Meteo Schweiz befasst sich nicht mit der technischen Beschneiung. Die Spezialisten hierfür arbeiten am Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos.
«Ich bin mir nicht sicher, ob es für Einsiedeln positiv wäre, wenn es von Kühle suchenden Unterländern geflutet würde.»
Es zeichnet sich derzeit ab, dass die Sonne in ein neues Maunder-Minimum abgleitet, die Sonnenflecken nehmen ab: Könnte uns eine schwächelnde Sonne vor den schlimmsten Auswirkungen der globalen Klimaerwärmung bewahren?
In der Forschung ist umstritten, wie verlässlich sich die künftige Aktivität der Sonne überhaupt vorhersagen lässt. Aber selbst wenn die Sonne demnächst in eine Phase extrem niedriger Aktivität einträte (vergleichbar mit dem sogenannten Maunder-Minimum), würde dadurch nur ein sehr kleiner Teil der Erderwärmung ausgeglichen, die der Mensch durch seine Treibhausgasemissionen verursacht. Und: In der Schweiz gab es in den letzten zehn Jahren einen kräftigen Wärmeschub.
Verdichten sich die Anzeichen, dass der Golfstrom zusammenbricht?
Neue technische und wissenschaftliche Entwicklungen erlauben es seit den 90er-Jahren, die Stärke des Golfstroms an einigen wenigen Schlüsselorten mittels verankerter Messinstrumente direkt zu erfassen. Diese Strömungsmessungen deuten auf einen recht stabilen Golfstrom während der vergangenen zwanzig Jahre hin. Auch satellitengestützte Meeresspiegelmessungen deuten übereinstimmend auf einen recht stabilen Golfstrom während der vergangenen zwanzig bis dreissig Jahre hin. Was würde es für das Klima in Einsiedeln bedeuten, wenn der Golfstrom zusammenbricht? Uns sind derzeit keine detaillierten Studien zu den Auswirkungen einer Verlangsamung beziehungsweise eines (unwahrscheinlichen) Zusammenbruchs des Golfstroms bekannt. Es gibt Untersuchungen für Gesamteuropa, die auf eine Abschwächung des zukünftigen Erwärmungssignals über Euro-pa hindeuten. Mit anderen Worten: Die weitere Erwärmung in Europa würde sich etwas verlangsamen.
Halten Sie es für möglich, dass just aufgrund der Klimaerwärmung die Region Einsiedeln vom Klimawandel profitiert, indem erhitzte Zürcherinnen und Zürcher ins Klosterdorf flüchten?
Ich bin mir nicht sicher, ob es für Einsiedeln positiv wäre, wenn es von Kühle suchenden Unterländerinnen und Unterländern geflutet würde.
Eisfreier Sihlsee, Euthal ohne Schnee, apere Hänge, eine Temperatur von 15 Grad: Mit diesen aussergewöhnlichen Witterungsumständen mitten im Winter startete das Jahr 2023 am Neujahrstag. Foto: Jade Birchler
Ein gewohntes Bild in diesem Winter: Ein Pistenfahrzeug auf grüner Wiese – der Skilift steht still.
Foto: Mona Birchler