«Das Dasein in einem Internat ist auch heute noch zeitgemäss»
Am Samstag findet ein Informationstag über das Internat an der Stiftsschule Einsiedeln statt. Pater Martin Werlen, alt Abt des Klosters Einsiedeln und ehemaliger Internatsleiter, steht Red und Antwort zum Thema «Internat heute und früher».
MAGNUS LEIBUNDGUT
Was unterscheidet das heutige Internatsleben von demjenigen in früheren Zeiten? Internatsleben ist Leben. Darum ist es immer geprägt vom Leben der jeweiligen Generation. Wenn sich das Internatsleben heute nicht unterscheiden würde von dem in früheren Zeiten, so würde es an den konkreten Menschen vorbeigehen. Das, was unsere Zeit prägt, prägt heute auch das Internat. Als ich verantwortlich war für das Internat, war gerade die Zeit, als das Handy langsam Einzug hielt und es einen gemeinsamen Computerraum gab. Heute gehören Handy und Computer zum Schul- und Internatsalltag.
«Das, was unsere Zeit prägt, prägt heute auch das Internat.»
Ist denn ein Dasein in einem Internat heutzutage noch zeitgemäss?
Selbstverständlich, wenn das Internat den jungen Menschen von heute respektvoll begegnet und ihnen einen Raum zum Wachsen und Reifen bietet. Das Internat ist ein Lebensraum. Ich freue mich, dass wir immer wieder Kinder von ehemaligen Internatsschülern im Internat ha-ben. Das spricht dafür, dass es damals zeitgemäss war und es auch heute ist.
«Das Internat kann heute viele Defizite auffangen, denen ein junger Mensch begegnen kann.»
Für welche Stiftsschülerinnen und Stiftsschüler empfiehlt sich der Aufenthalt in einem Internat? Der Aufenthalt empfiehlt sich für Schülerinnen und Schüler, die das selber möchten. Hier sind junge Menschen mit Gleichaltrigen unterwegs und gestalten zusammen mit ihnen den Alltag – unter professioneller Begleitung. Ich selber war fünf Jahre lang im Internat im Lehrerseminar in Sitten. Mit grosser Dankbarkeit denke ich an diese Zeit zurück. Ende Oktober war die ganze Klasse – wir waren alle intern – zum 40. Maturatag in der Propstei St. Gerold. Vier Wochen später gaben wir gemeinsam im Wallis ein Benefizkonzert für die Propstei St. Gerold. Im Internat beginnen Freundschaften, die durch das Leben tragen. Welche Erfahrungen haben Sie damals als Internatsleiter der Stiftsschule Einsiedeln gemacht?
Es gab alle die Erfahrungen, die es auch in der Familie gibt: Zeiten der Freuden und Zeiten der Sorgen, des Ringens und des Durchtragens. Besonders eindrücklich bleibt mir in Erinnerung, als der jüngere Bruder eines Internatbewohners völlig unerwartet starb. Das ganze Inter-nat fuhr zur Beerdigung und trug diesen Kollegen in der schwierigen Zeit besonders mit. Welche Perspektiven hat ein Internat in der heutigen Zeit? Das Internat kann heute viele Defizite auffangen, denen ein junger Mensch begegnen kann: Einsamkeit, Unterforderung in der Freizeit, zu wenig oder zu eng begleitet sein durch die Eltern. Die Perspektive, die mich damals und heute begleitet: Ein Lebensraum sein, der wachsen und reifen lässt. Welche Probleme stellen sich dem Internat der Stiftsschule Einsiedeln?
Informationstag rückt das Internat der Stiftsschule in den Fokus
ml. Im Rahmen eines erstmals geplanten Informationstages Inter-nat orientiert die Stiftsschule Einsiedeln am Samstag Schülerinnen und Schüler, Eltern und Interessenten. Gleichzeitig sind auch ehemalige Stiftsschülerinnen und -schüler sowie Besucherinnen und Besucher aus Einsiedeln und der Region herzlich eingeladen, das Internat kennenzulernen. Es besteht die Möglichkeit, das Inter-nat mit seinen Veränderungen über die Jahre und den aktuellen Stand zu begutachten.
Der Tag startet, um 12 Uhr, im Internat mit diversen Programmpunkten wie beispielsweise eine Autogrammstunde von Swiss-Ski oder der Besuch des Skriptoriums, die auch einzeln besucht werden können.
Den Höhepunkt der Veranstaltung bietet eine Podiumsdiskussion, um 13.45 Uhr, im Theatersaal zum Thema «Internat heute und früher» mit zahlreichen interessanten Gästen (unter anderem Peter Lüthi, Pater Lorenz Moser und Pater Martin Werlen). Um 15 Uhr bildet die Einladung zum Umtrunk in der Gartenhalle und die einmalige Möglichkeit, das Natur-Eisfeld zu nut-zen, den Abschluss des Informationstages.
Alles, was die Gesellschaft bewegt, bewegt auch ein Inter-nat. So stellen sich die Probleme der Gesellschaft auch einem Internat. Das Internat darf sich deshalb nie nur an dem orientieren, was bisher war, sondern es muss nahe bei den Menschen sein, die heute da sind. Das ist überall die grosse Herausforderung – auch im Internat der Stiftsschule. Wir dürfen diese angehen mit der benediktinischen Spiritualität, die diesen Ort besonders prägt. Aus welchen Gründen sinkt die Zahl der Schülerinnen und Schüler generell, die in einem Internat leben? Stimmt diese Aussage in der Frage? Selbstverständlich hat ein Internat heute nicht mehr die gleiche Funktion wie vor fünfzig Jahren. Damals mussten Schülerinnen und Schüler aus abgelegenen Orten in einem Internat wohnen, wenn sie ein Gymnasium besuchen wollten. Das führte auch dazu, dass viele unfreiwillig da waren. So ist die Zahl selbstverständlich kleiner geworden. Aber die Zahl der Internen an der Stiftsschule ist in den vergangenen zwanzig Jahren gestiegen.
«Alles, was die Gesellschaft bewegt, bewegt auch ein Internat.»
Jagen die Schüler im Internat auch noch heutzutage dem mythischen roten Diamanten nach, den Thomas Hürlimann in seinem neuen Roman beschreibt? Ich habe den neuen Roman von Thomas Hürlimann noch nicht gelesen. Es geht auch hier um Dichtung und Wahrheit. Darstellungen des Internatslebens in der Literatur und in Filmen las-sen leicht vergessen, dass dieses damals gar nicht sehr verschieden war von der Erziehung daheim. Dies – in der Schule und daheim – ist im Werk von Thomas Hürlimann gut dokumentiert. Das gilt auch für heute.
«Die Zahl der Internen an der Stiftsschule ist in den letzten zwanzig Jahren gestiegen.»
Hürlimann macht klar, dass die Schule und das Internat dem Glauben abträglich seien. Ihre Replik hierzu? Ich habe von Hürlimann auch schon gegenteilige Aussagen gehört und gelesen. Ist es nicht so, dass Hürlimann selbst durch sein literarisches Werk zeigt, dass Schule und Internat ihm gut getan haben? Täglicher Messebesuch,Pflichtbeichten und uninspirierte Predigten: Tempi passati im heutigen Internat der Stiftsschule Einsiedeln? Diese Frage tönt ungefähr so, wenn ich Eltern nach ihrer Erziehung frage mit Begriffen und Inhalten, die vor sechzig Jahren gang und gäbe waren. Sie werden sich an den Kopf greifen und feststellen, dass ich sechzig Jahre lang stehengeblieben bin. Es geht nicht um tempi pas-sati, es geht um das Leben im Internat heute. Wie das ist? Fragen wir doch Jugendliche, die heute im Internat der Siftsschule leben – oder nutzen wir die Gelegenheiten, einen Blick hineinzuwerfen.
Am Samstag, 14. Januar, findet ein Informationsmorgen zum Langzeitgymnasium und ein Informationsnachmittag über das Internat statt. Am Mittwoch, 18. Januar, sind Primarschülerinnen und -schüler der sechsten Klasse zum Schnuppertag eingeladen (mit Anmeldung). Mehr Infos sind zu finden unter www.stiftsschule-einsiedeln.ch.
Pater Martin Werlen: «Internatsleben ist Leben. Darum ist es immer geprägt vom Leben der jeweiligen Generation.» Foto: Magnus Leibundgut