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Sein im Werden

Sein im Werden Sein im Werden

ERNST FRIEDLI

Jetzt ist sie schon seit vier Tagen da, die einstige Zukunft. Sie stand als Neujahr 2023 ja schon seit der Erfindung der Zeiten vor der Türe und hat die Welt als neue Gegenwart Punkt Mitternacht am 1. Januar betreten.

Bevor sie dies tat, war sie absolut rein, makellos und fleckenfrei. Und allseits von den besten Wünschen begleitet, dass dem auch so bleiben möge. Eine Zeit lang wenigstens. Dabei wird beim Wünschen oft vergessen, dass alles künftige Neue nicht einfach von Null neu beginnen kann, sondern sich nahtlos an das vorausgehende Alte anschliesst. Dass alles Neue zuerst also immer weiterführen muss, was das vorliegende Alte vorbereitet oder ihm eingebrockt hat. Die makelloseste Zukunft hat keine Chance makellos zu bleiben, wenn sie einer makelbehafteten Gegenwart begegnen muss. Sie kann sich nicht vor den vorhandenen Bedingungen schützen, nur weil sie bis dato reine Zukunft war oder weil wir uns dies von ihr wünschen.

Wir sollten uns bei guten Wünschen also stets bewusst sein, dass die kommende Zukunft nur besser werden kann, wenn wir die bereits vorliegende Gegenwart verbessern. Dann und nur dann kann sich das mit guten Wünschen getränkte Künftige problemlos Richtung Nochbesseres entwickeln.

Probehalber haben Klärli und ich uns am Silvesterabend gegenseitig zunächst bei einem Glas Schaumwein «Alles Gute» gewünscht, dann aber auch umgehend die vorliegende Gegenwart verbessert. Wir mussten darauf hin vermutlich rasch eingeschlafen sein, denn als wir erwachten, war das Neujahr 2023 schon eindeutige Gegenwart.

* Ernst Friedli, 64, seit 31 Jahren verheiratet mit Klärli, geborene Schönbächler. Nichtraucher und Sachbearbeiter im Rathaus, steht unter Amtsgeheimnis. Macht sich in der Freizeit Gedanken zur Weltlage und zur Gegenwart als Basis der Zukunft.

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