«Mit dem Ausgang der Bundesratswahlen bin ich nicht zufrieden»
VICTOR KÄLIN
Auf ein erstes Wort zu den Bundesratswahlen: Sind Sie zufrieden mit dem Ausgang? Nein, ich bin nicht zufrieden.
Warum?
Die Wahl von Elisabeth Baume- Schneider habe ich nicht erwartet. Ich habe für Eva Herzog gestimmt, weil sie aus einem Wirtschaftskanton kommt und Basel- Stadt im Finanzausgleichssystem ein wichtiger Geberkanton ist. Ich finde es wichtig, dass wir im Bundesrat auch Vertreter von Städten und Geberkantonen haben. Ihre Partei war nicht direkt beteiligt. Kann es Ihnen deshalb mehr oder weniger egal sein, wer gewählt wird? Der Auftritt der zwei Kandidatinnen und zwei Kandidaten am Hearing an unserer Fraktionssitzung war sehr unterschiedlich. Die SVP-Kandidaten hatten einen guten, die beiden SP-Kandidatinnen einen eher mittelmässigen Auftritt. Ständerat Daniel Jositsch wäre aus meiner Sicht ein besserer Kandidat gewesen, weil er aber ein Mann ist, wurde er von seiner Fraktion nicht aufgestellt.
Am vergangenen Samstagabend habe ich Daniel Jositsch zufällig in der Einsiedler Klosterkirche getroffen. Bei meiner Frage zu seiner Bundesratskandidatur sagte er mir, dass er nach wie vor als Kandidat zur Verfügung stehe. Im ersten Wahlgang habe ich deshalb Daniel Jositsch gewählt. Die Kür der Kandidatinnen und Kandidaten lief dennoch ziemlich geordnet ab. Hatte das auch Einfluss auf die «Nacht der langen Messer»? Nach den Hearings hatte ich eine Sitzung des Stiftungsrates der Schweizerischen Pfadistiftung mit anschliessendem Nachtessen. Auf dem Heimweg kurz vor Mitternacht besuchte ich noch die Bellevue Bar, an der man sich in dieser Nacht trifft. Es waren fast das halbe Parlament und viele Bundeshausjournalisten anwesend. Es wurde über die Hearings und den möglichen Ausgang der Wahlen, aber auch über die zukünftige Departementsverteilung diskutiert. Das Verhalten von Daniel Jositsch war ebenfalls ein Thema. Geheimabsprachen wurden keine gemacht.
Leider war das Bellevue we-gen den vielen Leuten beim Bierausschank überfordert. Ich war froh, überhaupt ein Bier zu erhalten. Infolgedessen war mein Aufenthalt an der Nacht der langen Messer relativ kurz …
Hebt sich ein Wahltag vom Berner Alltag ab?
An einem Bundesratswahltag sind die Wandelhalle und die Vorzimmer belegt mit vielen Kameras und überall hat es Kabel und Stehtische mit Mikrofons. Ich musste mich durch die vielen Leute durchzwängen, um in den Ratssaal zu gelangen. Es herrscht grosse Hektik und Spannung im Haus. Nach den Wahlen geht es sehr feierlich zu und her und es findet in der Eingangshalle ein grosser Apéro statt.
Es ist ein aussergewöhnlicher Tag. Am Nachmittag finden die Weihnachtsfeiern der verschiedenen Fraktionen statt. Am Abend fanden wir dann noch Zeit für zwei Jassrunden – zusammen mit dem Nationalratspräsidenten Martin Candinas, Ständerätin Andrea Gmür und Ständerat Daniel Fässler. Welche Botschaft, welche Aussage hat für Sie das Resultat des Wahltages mit den neuen Bundesräten Albert Rösti und Elisabeth Baume-Schneider? Beide werden mit anspruchsvollen Dossiers konfrontiert werden. Als Politiker und als Bundesrat kann man es nie allen Leuten recht machen. Beide sind erfahrene Politiker und werden ihr Bestes geben. Drei Romands, ein Tessiner und lediglich drei Deutschschweizer. Und nur zwei Städter gegenüber fünf vom Land: Die Zusammensetzung des neuen Bundesrats sorgte da und dort für rote Köpfe. Sehen Sie wegen der Sprachherkunft oder der Stadt-Land-Verteilung ein Problem? Die Deutschschweizer sind zukünftig im Bundesrat in der Minderheit. Die Romands sind staatsgläubiger als die Deutschschweizer. Dies kann auf die Vorlagen einen Einfluss haben. Ich hoffe, dass diese Situation bei den nächsten Bundesratswahlen korrigiert wird.
Und noch ein Wort zur Departementsverteilung mit Albert Rösti mit Umweltdepartement und Elisabeth Baume-Schneider im Justizdepartement. Sind das gute Entscheidungen, zumal Links-Grün bereits grösste Bedenken wegen Rösti im Umweltdepartement formulieren? Die SVP hat bis anhin die Energie- und Umweltpolitik stark kritisiert. Jetzt kann die Partei mit Albert Rösti an der Spitze des Umwelt-, Verkehrs- und Energiedepartements ihre Lösungen einbringen. Es besteht grosser Handlungsbedarf in diesem Bereich. Ich hoffe, die Partei unterstützt ihren Bundesrat und hilft, gute Lösungen zu finden. Elisabeth Baume-Schneider wird im Asylbereich gefordert sein. Auch sie braucht die Unterstützung vor allem jener Leute aus der SVP, die sie gewählt haben.
Es wurde aber nicht nur gewählt, sondern auch Sachpolitik betrieben. Der «Tages-Anzeiger » schrieb, bei Ihrer Partei, der Mitte, sei «Feuer im Dach». Den Grund hätte der Ständerat geliefert, da dieser nicht auf den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Prämienentlastungsinitiative der SP eingetreten sei. Dies auf Antrag von Mitte-Ständerat Benedikt Würth. Ist bei Ihnen auch «Feuer im Dach»? Der Beschluss des Nationalrats bezüglich Prämienverbilligung wäre für den Bund ohne zusätzliche Steuereinnahmen nicht finanzierbar. Als Finanzpolitiker begrüsse ich den Beschluss des Ständerats. Im Bundeshaus herrscht die Tendenz, immer mehr Aufgaben zu übernehmen, für welche die Kantone zuständig wären. So auch bei der Prämienverbilligung.
2017 stimmte das Volk der erleichterten Einbürgerung der dritten Generation deutlich zu. Da die Hürden relativ hoch und die Nachfrage eher gering sind, hat der Nationalrat die Kriterien weiter gelockert. Mit Ihrer Stimme? Ich unterstütze zusätzliche Lockerungen. Die dritte Generation ist in der Schweiz aufgewachsen und integriert. Sie weiterhin von politischen Entscheiden auszuschliessen, finde ich falsch. Ich hoffe, der Ständerat unterstützt die Lockerungen. Wölfe, die Schäden anrichten oder Menschen gefährden können, sollen vorbeugend getötet werden können. Das hat nach dem Ständerat auch der Nationalrat beschlossen. Wie stehen Sie in dieser Frage? Der Herdenschutz wird immer teurer und kostet den Bund Millionen. Für die Alpbewirtschafter bedeutet es riesige, zusätzliche Arbeit. Ich sehe keinen Mehrwert in diesen Wolfspopulationen und bin für ein rigoroses Vorgehen gegen den Wolf.
Der Bund erhält einen Viertel der Erträge aus der OECD-Mindeststeuer für international tätige Konzerne. Die grosse Kammer wollte ursprünglich dem Bund und den Standortkantonen der Unternehmen je die Hälfte der Mehrerträge zukommen lassen. Welche Haltung vertraten Sie? Ich bin für eine hälftige Aufteilung der zusätzlichen Einnahmen. Es kann nicht sein, dass der Bund immer mehr Aufgaben von den Kantonen übernimmt, und ihnen aber zusätzliche Einnahmen überlässt. Der Nationalrat ist einverstanden damit, dass der Bund die Teilnahme der Schweiz an der Expo 2025 im japanischen Osaka unterstützt. Er hat einen entsprechenden Kredit von 17,6 Millionen Franken bewilligt. Die Schweiz in Japan – bringt das etwas? Ich weiss nicht, ob das etwas bringt. Es wurde uns versichert, dass die Zusammenarbeit mit Japan im Forschungsbereich sehr gut ist und dies nicht aufs Spiel gesetzt werden darf. Da unser Land wegen dem Abbruch der Verhandlungen mit der EU im Forschungsbereich immer mehr ausgeschlossen wird, ist die Zusammenarbeit mit Japan wichtiger geworden. Ich habe deshalb dem Kredit zugestimmt.
Anders als der Ständerat setzt der Nationalrat im revidierten Sexualstrafrecht auf die Zustimmungslösung «Nur ein Ja ist ein Ja». Es gab 99 Ja- und 88 Nein-Stimmen. Wo war Ihre Stimme? Ich habe für «Nein ist Nein» gestimmt. Diese juristischen Diskussionen wurden tagelang geführt. Ich bin froh, nicht in der Rechtskommission zu sein. «Deutschland will keine Schweizer Munition mehr kaufen»: Dieser Zeitungstitel fasst das Dilemma von Neutralität und Kriegsmaterialausfuhr zusammen. Welchen Aspekt gewichten Sie höher? Hätten Sie den Verkauf von Munition an Deutschland – und indirekt an die Ukraine – gebilligt? Ja, ich hätte die indirekte Munitionslieferung bewilligt. Waffen ohne Munition zu liefern, ist absurd.
Das Budget 2023 ist unter Dach. Sie sind Delegationschef Finanzen der Mittefraktion. Was hat das für Auswirkungen während der Diskussion? Ich war bei der Erstberatung dreimal am Rednerpult. Die Mitte macht die Mehrheiten im Parlament. Wir haben uns in der Fraktion während der Kommissionsberatungen mit unseren Ständeräten abgesprochen. Das Budget wurde so genehmigt, wie wir es von unserer Fraktion beantragt haben. Die Differenzen zwischen Ständerat und Nationalrat konnten deshalb im ersten Durchgang bereinigt werden, was es in meiner Zeit in Bern noch nie gegeben hat. Und wie sind Sie mit dem Ausgang der Budgetdebatte zufrieden?
Es ist ein ausgeglichenes Budget und die Schuldenbremse wird eingehalten. Ich bin sehr zufrieden.
Gmür