Die Etzelwerk-Konzession – eine Antwort für Jahrzehnte
VICTOR KÄLIN
Zehn Jahre lang ha-ben die Verhandlungen zur neuen Etzelwerk- Konzession gedauert. Alleine schon diese Zeitspanne lässt auf eine höchst komplexe Aufgabe schliessen. Zu Recht: Der Sihlsee ist der einzige Stausee der Schweiz, der mitten in einem Siedlungsgebiet liegt. Und wo viele Menschen wohnen, gibt es auch viele Meinungen – zum Beispiel zum See und zur Konzession. So wie die Stimmungslage in Einsiedeln heterogen ist, war sie es auch bei den Verhandlungspartnern.
Doch letztlich gibt es nur einen Vertrag mit einem verbindlichen Inhalt. Verbindlich für sechs Parteien: für die SBB als Stromproduzentin (die Konzessionsnehmerin) sowie die Bezirke Einsiedeln und Höfe mit den drei Kantonen Schwyz, Zug und Zürich als Konzessionsgeber. Wenn nun hier oder dort allenfalls ein besseres Ergebnis erwartet worden ist, hängt dies in erster Linie mit dieser schweizweit ebenfalls einmaligen Konstellation zusammen: sechs Parteien, die Konkurrenten sind, aber ohne den andern nicht zum Ziel kommen. Fordern und Nachgeben war die Losung. Die neue Etzelwerk-Konzession ist ein Kompromiss. Wie sagte Peter Eberle, als Sekretär der Einsiedler Etzelwerk-Kommission wohl der profundeste Kenner der Materie: «Wer nur das Maximum anstrebt, scheitert bei Verhandlungen.» Der Vertrag liegt vor. Und so umfangreich er auch ist, liefert er zwar viele konkrete Antworten, aber ebenso oft lässt er den Leser und die Leserin im Unklaren über die Auswirkungen. Das hängt weniger mit dem Vertrag, als vielmehr mit der Dauer zusammen: 80 Jahre soll die Konzession gelten. Gleich lang wie die alte Version aus dem Jahr 1926. Doch wer kann schon sagen, wie sich die Welt in 80 Jahren entwickelt? Oder wie viel Rappen eine Kilowattstunde Strom im Jahr 2100 kosten wird?
Das dürfte aber gerade die Einsiedler und Einsiedlerinnen interessieren, denn von der Strompreisentwicklung hängen ihre zukünftigen Einnahmen aus dem Etzelwerk massgeblich ab. Immerhin: Im Finanzplan 2024 bis 2026 hat der Bezirksrat pro Jahr je zwei Millionen Franken eingesetzt, welche er durch den Verkauf der Gratis- und Selbstkostenenergie des Etzelwerks erwartet. Eine abstrakte Zahl, gewiss. Aber die Summe ist zehnmal höher als die bisherige! Das fängt ja schon einmal gut an. Und die Einnahmen dürften noch einige Zeit sprudeln, denn sauberer Strom, erst noch verlässlich und pünktlich vor der Haustüre produziert, dürfte absehbar seinen Wert behalten. Man kann dem Bezirksrat kaum widersprechen, wenn er meint, auf das richtige Pferd gesetzt zu haben. Der Verlust von rund 200’000 Franken an Wasserzins wird mehr als aufgewogen.
Doch wenn so vieles ungewiss ist, warum dann ausgerechnet 80 lange Jahre? Zum einen geht es um die Planungssicherheit. Die SBB wollen ab 2025 das Etzelwerk für 141 Millionen Franken modernisieren. Da will man wissen, ob sich diese Investition auch rechnet. Zum anderen hat man auch 1926 keine 80 Jahre in die Zukunft schauen können. Doch so schlecht steht Einsiedeln selbst 100 Jahre später nicht da. Und zudem sind lange Fristen üblich, wenn es um Grund und Boden geht: Die Genossame Dorf-Binzen zum Beispiel schliesst Baurechtsverträge über maximal 99 Jahre ab.
Ist die neue Etzelwerk-Konzession für den Bezirk Einsiedeln nun ein Geschäft – oder nicht? Es gibt Leserbriefschreiber, die erwarten ein «Nullsummenspiel und nichts, was den Bezirkshaushalt entlasten könnte». 12
Der Bezirksrat hingegen ist überzeugt, dass das Gesamtergebnis «für Einsiedeln definitiv von Vorteil ist».
Eine Einschätzung ist auf Franken und Rappen nicht möglich. Auf der Einnahmenseite gibts den bereits erwähnten Strompreis, bei den Ausgaben den Unterhalt der Bachunterläufe: Beides ist nicht verlässlich budgetierbar. Zählt man aller-dings sämtliche Einnahmequellen zusammen, schneidet der Bezirk auf dem Papier tatsächlich um einiges besser ab als zuvor. Doch der Strompreis lässt sich nicht festschreiben.
Hätte Einsiedeln aber nicht (noch) mehr verdient, da vor 85 Jahren zehn Prozent seiner Gesamtfläche dem See geopfert wurden? Keiner der anderen Konzessionsgeber hat nur einen Quadratmeter hergeben müssen. Einsiedeln hinge-gen elf Quadratkilometer! Ungleicher könnte die Verteilung nicht sein. Es ist eine schwierige, müssige Frage, die höchstens zu beantworten ist, wenn man den See wegdenkt: Was hätten wir dann? Ein geschütztes Hochmoor? Eine lose überbaute und entsprechend verschandelte Ebene? Nochmals 1000 Bewohner und Bewohnerinnen?
Heute haben wir einen See, den alle nutzen dürfen, zum Schwimmen, Böötlen und Fischen. Oder auch nur, um am Ufer zu sitzen und eine Ruhe zu spüren, die es ohne das weite Wasser nicht gäbe. Niemand will den See heute mehr hergeben. Auch das ist ein Gewinn. Zwar nicht für die Bezirkskasse, aber für das Gemüt vieler Menschen.
Im Vorfeld der Abstimmung vom 27. November machen sich viele Stimmbürger und Stimmbürgerinnen Gedanken zur neuen Konzession. Das ist gut so. Kaum eine andere Sachvorlage ist gerade für Einsiedeln so wich-tig wie der Etzelwerk-Vertrag. Nicht zuletzt seiner langen Laufzeit wegen. Je nach Bewertung der vielen Paragraphen kann der eine oder die andere den Vertrag durchaus schlecht fin-den und Nein stimmen. Doch letztlich bringt es niemanden weiter, sollte die Konzession abgelehnt werden.
Im Gegenteil: Nur weil Einsiedeln vielleicht Nein sagt, werden die anderen Verhandlungspartner nicht automatisch einknicken. Es drohen weitere Verhandlungen und am Schluss, wenn keine Einigung erzielt werden kann – sozusagen als schlimmstmögliche Wendung – eine Verfügung durch den Bund. Auf jeden Fall ohne aktive Mitwirkung der Einsiedler und Einsiedlerinnen. Bei der jetzigen Vorlage hingegen sass der Bezirk am Verhandlungstisch. Das Resultat kann sich sehen lassen.
Natürlich würde hierzulande niemand Nein sagen zu tieferen Lasten, höheren Einnahmen und absoluten Garantien. Doch die Verhandlungen waren kein Wunschkonzert. Der Bezirk Einsiedeln dürfte mit der neuen Konzession tatsächlich nicht das Maximum erreicht haben.Aber doch so etwas wie das Optimum.
Sämtliche zwölf Beiträge der Serie «Konzession » sind unter www.einsiedleranzeiger.ch abrufbar.
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