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Vom Wert von Krisen

Vom Wert von Krisen Vom Wert von Krisen

SEITENBLICK: GLAUBEN UND ZWEIFELN

PATER THOMAS FÄSSLER

Sein lebendiger Glaube sei ein wertvolles Geschenk, schrieb ich letzthin einem deutschen Gymnasiasten, der im letzten Jahr vor seinem Abitur steht und uns über unseren Instagram- Kanal kontaktiert hatte. Denn schliesslich sei er ein starkes Fundament, auf das man sein Leben bauen kann, schenkt es doch Hoffnung, Vertrauen und Freiheit.

Wieso aber sollte der Glaube frei machen und Hoffnung schenken? Weil der gläubige Mensch darauf vertrauen kann, dass da jemand ist, der ihn in seinem Leben begleitet – und zwar einer, der es gut mit ihm meint und darüber hinaus all das tun kann, was er tun will.

Keine Situation ist gottlos und damit sinnlos Als gläubiger Mensch bin ich vom Vertrauen getragen, dass keine Situation gottlos und damit sinnlos ist. Schliesslich hat uns Jesus selbst versprochen: «Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt» (Matthäusevangelium 18,20). Spätestens im Nachhinein können gerade herausfordernde Krisenzeiten, in denen wir so richtig durchgeschüttelt werden, besondere Gnadenzeiten sein, in denen Gott am Werk war – nicht um uns zu plagen natürlich, sondern um uns weiterzubringen. Denn Reifen und Wachsen ist nicht immer einfach. Vielmehr muss man in diesem Prozess oft umdenken, loslassen, umkehren.

Krisen wie schon lange nicht mehr Wir erleben zurzeit Krisen, wie wir sie als Gesellschaft schon lange nicht mehr erlebt haben. Da war etwa die Covid-Pandemie, die für uns alle eine einschneidende Erfahrung war. Ebenfalls aufgeschreckt hat uns ein neuer Krieg in relativer Nähe, der wirtschaftliche Herausforderungen mit sich bringen wird, deren Ausmasse wir heute noch kaum abschätzen können: Inflation, steigende Lebenskosten, Energieknappheit, Arbeitslosigkeit.

Und nicht zu vergessen die ökologische Krise, die uns schon länger bedrängt: Umweltverschmutzung, Artensterben, Klimaerwärmung. Alle drei Krisen sind fundamental, treffen sie doch unsere Lebensnerve. Und sie zeigen uns deutlich, dass wir an Grenzen kommen. Ihre Botschaft ist klar: So, wie wir bislang gelebt haben, kann es offensichtlich nicht weitergehen. Wir betreiben Raubbau ans uns, an den Mitmenschen und an der Natur. Es braucht ein Umdenken, neue Lösungen.

Immer aufwärts, immer besser? Die Krisen fordern nicht nur die Gesellschaft, ja die Weltgemeinschaft als Ganze heraus, sondern auch jede und jeden von uns ganz persönlich. Haben wir vielleicht noch vor wenigen Jahren eher gedankenlos dahingelebt, in der Meinung, dass es wohl auf immer so weitergeht, immer aufwärts, immer besser, so werden wir nun zu Antworten und Entscheidungen herausgefordert: «Wie soll es mit mir weitergehen – Wie will ich eigentlich leben – Was gibt meinem Leben Sinn – Worauf will ich bauen?» Und plötzlich drängen sich auch die grossen Fragen der Menschheit in mir auf: «Woher komme ich eigentlich – Wieso bin ich hier – Wohin gehe ich?» Diese Fragen fordern uns existenziell heraus. Sie prägen unser Leben, die Art und Weise, wie wir leben.

Was lösen die gegenwärtigen Krisen bei mir aus?

Ich kann nun wieder den Bogen zur Schulbank schlagen: Das Wort «Krise » kommt nämlich vom altgriechischen «krinein», was so viel wie «trennen», «(unter-)scheiden» bedeutet. Mich selbst führt dies zu den Fragen: Was lösen in mir die gegenwärtigen Krisen aus? Will auch ich umdenken, mich von etwas trennen, mich unterscheiden von dem, was ich früher getan habe – wie ich mit anderen, der Natur und mit mir selbst umgegangen bin? Was – oder vielmehr ob – Krisen, die ich erlebe, auch die ganz persönlichen, etwas Positives bewirken, indem sie mich weiterbringen, liegt also in erster Linie bei uns. Es ist in unserer Hand, ob wir etwas daraus machen. Insofern kann also auch eine Krise ein wertvolles, sinnerfülltes Geschenk sein, wenn auch vielleicht erst auf den zweiten Blick.

«Ob Krisen, die ich erlebe, auch die ganz persönlichen, etwas Positives bewirken, indem sie mich weiterbringen, liegt also in erster Linie bei uns.»

Pater Thomas Fässler

(*1984) ist seit 2006 Mönch im Kloster Einsiedeln. Er studierte Theologie, Geschichte sowie Latein und unterrichtet an der klösterlichen Stiftsschule, wo er auch als Schulseelsorger und Ministrantenbetreuer tätig ist.

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