«Frauenpower tut Alpthal gut»
Seit dem 1. Juli ist Luzia Bühner Gemeindepräsidentin in der Schwyzer Berggemeinde Alpthal
Luzia Bühner, die 47-jährige Gemeindepräsidentin von Alpthal, blickt auf ihre ersten hundert Tage im Amt zurück: «Es war eine sehr gute Zeit – es hat Spass gemacht. Es ist schön, dass die Frauenbewegung nun auch das Alptal erreicht hat.»
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wie haben Sie Ihre erste Zeit erlebt im Präsidium der Gemeinde Alpthal? Es war eine sehr interessante, gute und höchst intensive Zeit. Ich kann festhalten: Es hat Spass gemacht (lacht). Haben Sie erwartet, dass es so streng werden würde? Ich habe mir im Vorfeld der Amtsübernahme eigentlich nicht so viele Gedanken gemacht über das Präsidium. Von daher hatte ich nicht allzu viele Erwartungen, wie die Arbeit einer Gemeindepräsidentin aussehen könnte. Ein Sprung ins Wasser war es dann aber doch nicht ganz: Der Abschluss der Verwaltungsschule hat mir eine gute Basis verschafft, um dieses Amt in Angriff nehmen zu können. Unverhofft hat sich Meinrad Steiner als Säckelmeister zur Verfügung gestellt. Mit welchem Notfallszenario haben Sie gerechnet, wenn das Amt des Säckelmeisters weiterhin ver-waist geblieben wäre? Wir sind nicht aktiv auf Mein-rad Steiner zugegangen, um ihn anzufragen, ob er bereit wäre, das Amt eines Säckelmeisters zu übernehmen: Er hat sich von sich aus auf der Gemeindekanzlei gemeldet. Falls sich niemand gemeldet und im zweiten Wahlgang die Person mit den meis-ten Stimmen das Amt nicht angenommen hätte, wäre ein drittes Wahlverfahren gestartet worden. Wir haben keine Notfallszenarien vorgängig in Betracht gezogen und sind im Austausch mit dem Schwyzer Rechtsdienst gestanden. Naturgemäss stellt sich die Frage, was passieren könnte, wenn der Gemeinde auf immer und ewig ein Säckelmeister fehlen würde: Käme es dann zu einer Fremdverwaltung durch den Kanton? Könnte eine Zwangsfusion mit einer anderen Gemeinde beschlossen werden?
In Zukunft wird es nicht einfacher, Freiwillige für die Milizämter im Gemeinderat zu finden. Wäre die Zeit reif, eine Fusion anzustreben? In der Tat war es sehr ernüchternd feststellen zu müssen, dass sich kein Mensch auf unser geschaltetes Inserat mit der Stellenausschreibung für einen Säckelmeister in der Gemeinde Alpthal gemeldet hat. Allerdings ist eine Fusion kein Thema in der Gemeinde: Die Alpthalerinnen und Alpthaler wollen über ihr Schicksal selber bestimmen und streben keine Vereinigung mit einer anderen Gemeinde an. Die Lage von Alpthal ist ja nun auch nicht so beschaffen, dass sich eine Fusion aufdrängen würde: Man hat zwar eine gemeinsame Gemeindegrenze mit Oberiberg und Rothenthurm. Aber diese beiden Gemeinden liegen einfach zu weit weg.
Naheliegend wäre eine Vereinigung mit Einsiedeln. Es gehen ja bereits die Kinder aus Alpthal in Trachslau in den Kindergarten.
Eine Zusammenarbeit gibt es unter anderem auf der Ebene der Schulgemeinde. Eine Fusion mit Einsiedeln wäre rein formaljuristisch ein schwierig Ding, weil es eine Vereinigung über Bezirksgrenzen hinweg wäre. Aber abgesehen davon gäbe es wohl auch mentalitätsmässig Verschiedenheiten zu überwinden: Aus Sicht der dörflich orientierten Alpthaler ist Einsiedeln ein eher städtisch geprägtes Milieu.
War es ein Mädchentraum von Ihnen, Gemeindepräsidentin zu werden? Oh nein, an derlei mag ich mich jedenfalls nicht erinnern: Als ich in der dritten Klasse war, wollte ich Pilotin oder Tierärztin werden. Und sicher nicht Politikerin (lacht). Ich sehe meine Rolle als Präsidentin in Alpthal auch weniger in einem politischen Licht als vielmehr so etwas wie eine Geschäftsführerin der Gemeinde Alpthal. Wie würden Sie sich politisch einordnen?
In der Mitte.
Ist es ein Vorteil oder eher ein Nachteil, dass es keine Parteien gibt in Alpthal? Ich sehe es als einen Vorteil an: Wenn man bei den wenigen Freiwilligen, die sich in der heutigen Zeit für die Ämter zur Verfügung stellen, auch noch Rücksicht nehmen müsste, dass sie in der richtigen Partei sind, würde alles noch komplizierter werden. Parteipolitik kann Leute ausschliessen. Mit dem Schalten eines Inserats auf der Suche nach einem Säckelmeister hat die Gemeinde Alpthal gewissermassen die Arbeit der Parteien im Findungsprozess übernommen. Aber es hat auch nichts gebracht: Niemand hat sich auf das Inserat hin gemeldet. Wie kommt es eigentlich dazu, dass plötzlich die Frauen in der Mehrheit sind im Gemeinderat von Alpthal? Gute Frage! Es scheint, als hätten Männer kein Interesse mehr, das Amt eines Gemeinderats zu besetzen. Es ist nicht mehr so angesagt wie in früheren Zeiten. Und in diese Lücken, welche die Männer hinterlassen, springen denn eben Frauen ein. Frauen engagieren sich von Grund auf stärker für Freiwilligenarbeit: Das ist ihre Domäne. Früher hatten Frauen in der Politik nichts oder wenig zu sagen. Jetzt fallen die Männer aus – und die Frauen übernehmen.
Wie verändert sich die Politik und die Verwaltung in Alpthal durch den Umstand, dass die Gemeinde in Frauenhand liegt? Frauen und Männer sind nicht gleich. Dementsprechend kommt naturgemäss durchaus zum Ausdruck, wenn Frau-en statt Männer das Heft in die Hand nehmen. Vielleicht sind Frauen eher auf die Gemeinschaft ausgerichtet und weniger auf persönliche Ziele. In jedem Fall haben Frauen einen anderen Führungsstil und womöglich auch einen anderen Umgang mit Macht wie die Männer. Tut Frauenpower Alpthal gut?
Ja, das stimmt (lacht)! Es ist doch schön, dass die Frauenbewegung nun auch das Alptal erreicht hat.
Ist es korrekt, dass Alpthal die erste Gemeinde im Kanton Schwyz ist, in der es eine Präsidentin und eine Gemeindeschreiberin gibt? Meines Wissens ist das so, dass die Gemeinde Alpthal in dieser Frage eine Pionierrolle einnimmt. In Muotathal und Ingenbohl gibt es auch Gemeindepräsidentinnen, aber keine Gemeindeschreiberinnen. Grundsätzlich gilt: Alpthal, Sattel und Vorderthal haben mit je vier Gemeinderätinnen den höchsten Frauenanteil. Dies sind gleichzeitig die einzigen Gemeinden, deren Geschicke von mehr Frau-en als Männern gelenkt werden. Dass gleich in drei Gemeinden eine Frauenmehrheit herrscht, ist ein Novum im Kanton Schwyz.
Welche Herausforderungen kommen auf die Gemeinde zu?
Es gilt Strassenbauprojekte und Kugelfangsanierungen voranzutreiben, die Finanzen der Gemeinde im Lot zu halten und die Wasserversorgung sicherzustellen. Weitere Informationen werden an der Gemeindeversammlung vom 7. Dezember folgen.
Wo würden Sie die Probleme verorten, die Alpthal hat?
Die Schülerzahlen haben eine kritische untere Grenze erreicht. Bereits musste der Kindergarten aufgegeben werden. Wir hoffen natürlich, dass die Schule in Alpthal weiterhin Bestand haben wird. Wann erwarten Sie einen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz in Sachen Stimmrechtsbeschwerde?
Das kann dauern. Über die Hintergründe der Beschwerde kann ich Ihnen nichts verraten, weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt. Nur soviel: Wegen der Stimmrechtsbeschwerde bleiben die bisherigen tieferen Preise bei der Wasserversorgung vorerst bestehen. Das wirkt sich auf die Finanzen der Gemeinde aus, weil sie nun weniger Geld einnehmen kann als geplant.
Finden Sie ob all der Pendenzen überhaupt noch die Zeit zum Singen? Oh ja, ohne Singen geht gar nichts. Und im Frauenchor Einsiedeln sind einfach die cools-ten Frauen der Region. Zum Glück haben wir ja jetzt einen Säckelmeister, dessen Arbeit ich bis anhin zusätzlich zum Präsidium auch noch übernommen habe, sodass ich für die Gemeindearbeit ein 40-Prozent-Pensum aufgewendet habe – nebst einem 70-Prozent-Pensum in meinem beruflichen Leben. Dieses werde ich ab dem Januar auf fünfzig Prozent reduzieren, auf dass ausreichend Zeit zum Singen und für die Gemeinde bleibt (lacht).
Wären Sie dafür, dass man aus einem Gemeindepräsidium ein Vollamt machen würde? In einer grösseren Gemeinde macht das grundsätzlich Sinn, wenn man aus einem präsidialen Ehrenamt eine 100-Prozent- Anstellung macht, weil ja auch genügend Arbeit anfällt, um dies zu rechtfertigen. In einer kleinen Gemeinde wie Alpthal bewährt sich demgegenüber das Milizsystem, das ich prinzipiell für eine gute Sache halte. Für das Gemeindepräsidium in Alpthal fällt ein 20-Prozent- Pensum an: Da lohnt sich eine Festanstellung kaum.
Wie würden Sie die Alpthaler beschreiben?
Die Alpthaler sind naturverbunden und zufrieden mit dem, was sie haben – und wollen deshalb keine Veränderungen. Die Gretchenfrage zum Schluss. Wie haben Sie es mit der Religion?
Ich bin von Haus aus reformiert, bin aber aus der Kirche ausgetreten: Ich mache Religiosität nicht von einer Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft abhängig. Der Glaube ist mir wich-tig: Ich kann auch religiös sein, ohne Mitglied in einer Kirche sein zu müssen. Wie kam die Affäre Rabeneck bei Ihnen an? Eine tragische Geschichte, die tiefe Gräben ausgehoben hat: Noch heutzutage gibt es Leute in Alpthal, die wegen der Vorkommnisse rund um den Pfarrer Georg Rabeneck keine Funktionen mehr übernehmen.
Wohin bewegt sich die Welt? Unser Planet ist im Krisenmodus. Preisexplosion an der Tankstelle, Futtermittel- und Getreideausfälle, leere Gasvorräte – der Krieg in der Ukraine zeitigt Folgen. Alleine in Alpthal steigen die Strompreise um mehr als hundert Prozent. Das ist nicht ohne. Wir müssen uns warm anziehen im kommenden Winter.
«Alpthaler wollen über ihr Schicksal selber bestimmen und streben keine Fusion an.» «Es scheint, als hätten Männer kein Interesse mehr, das Amt eines Gemeinderats zu besetzen.» «Frauen engagieren sich stärker für Freiwilligenarbeit – das ist ihre Domäne.» «Frauen führen anders und haben einen anderen Umgang mit Macht wie die Männer.» «Ich kann auch religiös sein, ohne Mitglied in einer Kirche sein zu müssen.» «Unser Planet ist im Krisenmodus. Wir müssen uns warm anziehen im nächsten Winter.»
Luzia Bühner: «Ämter zu besetzen, ist nicht mehr so angesagt wie in früheren Zeiten. In die Lücken, welche die Männer hinterlassen, springen dann eben Frauen ein.» Foto: Magnus Leibundgut