«Die Pandemie hat den Pflegeberuf an seine Grenzen gebracht» – Heute lesen, was morgen im EA steht
Anke Krieg blickt auf ihre ersten hundert Tage in der Institutionsleitung des Alters- und Pflegeheims Ybrig zurück: «Ich bin sehr herzlich und mit offenen Armen willkommen geheissen worden. Mit der Betriebskommission werden wir den
Strategieprozess 2027 starten.»
Magnus Leibundgut
Wie haben Sie Ihre erste Zeit als Leiterin des Alters- und Pflegeheims Ybrig erlebt?
Ein Einleben und Ankommen in einem neuen Betrieb ist für eine neue Chefin wie Mitarbeitenden immer eine neue Herausforderung. Ich bin sehr herzlich und mit offenen Armen willkommen geheissen worden. Nicht nur mit meinen neuen Mitarbeitenden habe ich einen ständigen Austausch: Es hat bereits schon viele nette Momente mit den Bewohnenden und ihren Angehörigen gegeben. Auch den Kontakt zur Dorfbevölkerung bin ich am Aufbauen. Zudem habe ich meine Mitarbeit in verschiedenen Gremien und Qualitätszirkeln aufgenommen, um in den wichtigen Netzwerken präsent zu sein zum Wohle des Alters- und Pflegeheims Ybrig.
Gibt es bei Ihnen noch freie Betten?
Ich habe das Alters- und Pflegeheim Ybrig mit zehn leeren Betten übernommen. Das Haus hat sich dann schnell gefüllt. Letzte Woche hatten wir kurzzeitig eine Warteliste. Momentan haben wir ein Zimmer verfügbar und eine Anfrage.
«Den Stress lassen sich Mitarbeitende nicht anmerken –
sie geben jeden Tag ihr Bestes.»
Wie sieht die Personalsituation in Ihrem Heim aus?
Durch die volle Auslastung und der Tatsache, dass im Alters- und Pflegeheim Ybrig auch nicht alle Stellen besetzt sind, ergibt sich eine herausfordernde Situation für die Mitarbeitenden, die diese aber jeden Tag mit Bravour, Liebe und Hingabe bewältigen – den Stress lassen sie sich nicht anmerken und geben jeden Tag ihr Bestes.
Welche Folgen zieht ein Fachkräftemangel nach sich?
Diese Situation haben wir ja gerade – und ich befürchte diese wird nicht besser.
Wieso geben Pflegerinnen und Pfleger oftmals ihren Beruf wieder auf?
Ich bin schon lange im Gesundheitswesen tätig, und aufgrund eines Wechsels gerade am Anfang der Berufsausbildung und später nach vielen Jahren in der Pflege ist diese Tatsache immer wieder zu beobachten gewesen. Die Pandemie hat den Pflegeberuf an seine Grenzen gebracht, und es hat ein Umdenken bei der Pflege stattgefunden. Ich glaube, die Pflege hat sich von der Politik ziemlich alleine gelassen gefühlt. Bis die Pflegeinitiative greift, werden wohl noch ein paar Jahre ins Land ziehen. Dazu kommt, dass die jüngere Generation heute ein anderes Arbeitsverständnis hat als wir früher: Ihnen ist eine Work-Life-Balance wichtig, nach dem Motto es gibt nicht nur die Arbeit im Leben. Durch die zunehmenden Anforderungen und die Digitalisierung dreht sich das Rad immer schneller – und dies wollen die Jüngeren nicht mehr akzeptieren und suchen den für sie passenden Weg.
Welche Änderungen in der Strategie kommen auf das Alters- und Pflegeheim Ybrig zu?
Mit der Betriebskommission werden wir am 17. Oktober den Strategieprozess 2027 starten: Wir möchten unsere Homepage nach zehn Jahren neu gestalten und auch frischer und lebendiger machen sowie den digitalen Bewerbungsprozess integrieren und die Social Media Anbindung. Allgemein möchten wir weg von diesem negativ anhaftenden Begriff «Alters- und Pflegeheim». Ich glaube, dieser ist einfach «verstaubt». Gerade das Alters- und Pflegeheim Ybrig nehme ich sehr stark als grosse Familie wahr: Bewohnende wie Personal mit den Angehörigen. Wir haben so viele schöne Momente miteinander und lachen auch viel. Das finde ich wichtig!
Alters- und Pflegeheime befinden sich in einem Umbruch: Könnten zukünftig neue Konzepte in Ihrem Heim zur Anwendung kommen?
Das wird die Betriebskommission nach dem Strategieprozess letztendlich entscheiden. Sehr spannend finde ich jedoch den Ansatz von Curaviva (Branchenverband), die Vision «Wohnen im Alter», die dem Bedürfnis eines jeden Menschen entspricht, in allen Lebensphasen selbstbestimmt und individuell zu wohnen und älter zu werden. Diese Vision in die Realität umzusetzen, fände ich für das Alters- und Pflegeheim Ybrig sehr inspirierend. Insofern passt das Konzept «Wohnen im Alter» wunderbar zum Alters- und Pflegeheim Ybrig und ist von den beiden Gemeinden sehr fortschrittlich umgesetzt worden. Auch das Thema Hospizzimmer nehme ich verstärkt wahr. Des Weiteren bin ich überzeugt, dass der Bedarf an geschützten Wohnbereichen (Demenz) in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird –
schon allein aus der Demographieentwicklung her betrachtet.
In welchen Bereichen erkennen Sie ein Optimierungspotenzial?
Optimierungspotenzial gibt es in jedem Betrieb. Die meisten denken immer zuerst an Budgetoptimierung – sprich von der Kostenseite her. Aber oft schlummert auch viel Optimierungspotenzial in der Anpassung von Prozessen. Aber auch Strategieprozesse sind immer wieder zu optimieren und den Rahmenbedingungen anzupassen. Ich bin noch nicht lange genug da, um hier eine qualitativ präzise Antwort geben zu können –
ich denke aber, dass wir im Bereich Digitalisierung und Social Media zu Optimierungspotenzial kommen können: Zum Beispiel eine Zeiterfassung, welche die Daten am Monatsende automatisch in die Personalbuchhaltung übernimmt. Hier ist sicherlich Nachholbedarf – ich möchte aber auch betonen, dass dies mit Investitionen verbunden ist, welche die Betriebskommission und die Gemeinden genehmigen müssen.
Welche Herausforderungen nehmen Sie in Angriff?
Als erstes fokussiere ich mich nach meiner Einarbeitungszeit jetzt auf die Arbeit mit der Betriebskommission und dem Strategieprozess und bin gespannt und erfreut, dies mitbegleiten zu dürfen. Das Alters- und Pflegeheim Ybrig ist sehr stark in der Ausbildung: Ich meine, dass es viel Sinn macht, sich mit dem Nachwuchs zu beschäftigen – gerade vor der Diskussion des Personalmangels in den Pflegeberufen.
Steht das Alters- und Pflegeheim Ybrig vor einer Umwandlung in eine AG oder in eine Genossenschaft?
Wir sind eine unselbständig öffentlich-rechtliche Einrichtung – und ich gehe davon aus, dass dies weiterhin so bleibt.
Was spricht für eine AG, was für eine Genossenschaft?
Eine AG arbeitet gewinnorientiert, was nicht unbedingt im vorrangigen Fokus von Alters- und Pflegeheimen liegt. Es fehlt der Geist der Gemeinnützigkeit! Eine Genossenschaft strebt vornehmlich keinen Gewinn an, sondern sucht für ihre Mitglieder die bestmögliche Erfüllung des Genossenschaftszwecks. Das Prinzip «eine Stimme, ein Genossenschafter» birgt meines Erachtens aber Konfliktpotenzial bei ungleichen Kapitalbeteiligungen.
Aus welchen Gründen hat das Heim im letzten Jahr ein Defizit geschrieben?
Wie bei viele anderen Heime auch, muss man hier primär die Pandemie als Grund heranziehen. Die Abschottung aus dem «Schutzgedanken» heraus war sicherlich in der ersten Phase sinnvoll, brachte aber psychische Auswirkungen auf die Bewohner und deren Angehörige mit sich. Die Auslastung war nicht mehr ausreichend, um den laufenden Betrieb zu decken. Jetzt kommen noch erhöhte Energie- und Sachkosten dazu.
Wie sehen die Perspektiven finanzieller Art in der Zukunft aus?
Mit einer hohen Auslastung sollte es möglich sein, in den nächsten Jahren wenigstens ein leicht positives Ergebnis zu erreichen, das Abschreibung und Zinsen deckt. Die steigenden Kosten im Gesundheitswesen, die hohe Lebenserwartung und der fortschreitende medizinische Fortschritt werden sich fortsetzen. Ich kann hier keine Kehrtwende erkennen.
Ist Sterbehilfe im Alters- und Pflegeheims Ybrig erlaubt?
Nein. Dies wurde vor ein paar Jahren mit einem Prozess begleitet und ganz klar verworfen. Wir sind jedoch Ansprechpartner und helfen weiter. Bisher ist mir keine Person im Alters- und Pflegeheim Ybrig bekannt, die diesen Wunsch geäussert hat.
Wie haben Sie es mit der Religion?
Ich bin reformiert und lebe in Einsiedeln: Ich gehe dort immer wieder gerne in unser wunderschönes Kloster.
Wohin bewegt sich die Welt?
Tempora mutantur et nos mutamur in illis – die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen.