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Dem grossen Unbekannten den Schrecken nehmen

Die Philosophin Barbara Bleisch sprach im Vögele Kultur Zentrum in Pfäffikon mit Palliativmediziner Steffen Eychmüller über Tod und Sterben. Zentral war, was am Ende des Lebens wichtig ist.

JOHANNA MÄCHLER

Draussen die Ausstellung «Der Tod, radikal normal. Über das, was am Ende wichtig ist». Und drinnen, im voll besetzten Auditorium des Vögele Kultur Zentrums, eine erwartungsvolle Spannung: Es geht um Tod und Sterben.

«Liebe Mitversterbende, warum treibt uns das Thema an? Ist es die Furcht?», fragt Barbara Bleisch. «Ja, denn es ist für alle eine Wahrheit», bestätigt der Gesprächsgast, Palliativmediziner Steffen Eychmüller. Es gebe drei Grundängste: Leiden, nicht genug gelebt zu haben und die Unsicherheit, was dann kommt. «Hundert Prozent der Lebewesen sterben. Man würde leiden, wenn man nicht sterben könnte. Es kann gut sein, dass der Tod auch eine gute Nachricht ist», so eine Umkehrfolgerung.

Wo bleibt das Ich beim Sterben?

Bleisch zitierte den eher jung verstorbenen Theaterregisseur Christoph Schlingensief, für den der Tod «ein Drama sondergleichen » war, weil man «das Leben hergeben muss». Denn zweifellos ist das Alter eines Menschen entscheidend, wie er mit dem Thema umgeht.

Barbara Bleisch zitierte den griechischen Philosophen Epikur: «Der Tod hat also keine Bedeutung für uns; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.» Es sei sinnlos, sich zu fürchten.

Leichter gesagt als getan. Soll man also leben, bis es einen «umnietet»? «Solche Personen zu begleiten ist sehr schwierig, nachdenkliche Dialoge sind nicht möglich», so Eychmüller aus seiner Erfahrung. Die Ganzheit eines Lebens beinhalte heute auch, das Leben verlängern zu können, nicht so ausgeliefert zu sein und letztlich auch die Kontrolle behalten zu wollen. Für viele Menschen sei der Sterbeprozess ein schwieriger Ich-Zustand, den sie mit ihrem Leben nicht zusammenbringen, weil sie die Kontrolle nicht abgeben wollen oder können.

Wie der Mensch stirbt

Generell werde darüber zu wenig gesprochen. Eine der Aufgaben der Palliativ-Medizin ist deshalb das Gespräch. Doch eigentliche «Letzte-Hilfe-Kurse, wie man in den Tod findet», wie Bleisch es nannte, gibt es nicht.

Mit den Sterbenden sprechen, bevor sie nicht mehr sprechen, könne Klarheit darüber bringen, wie sie behandelt werden möchten. Ob allein in einem Raum bleiben oder mit anderen Menschen zusammen sein; ob sie mit oder ohne therapeutische Zusatzangebote wohler sind.

Tröstlich zu vernehmen war, dass in medizinischen Einrichtungen offenbar nur fünf Prozent aller Sterbenden mit körperlichen Schmerzen sterben. Steffen Eychmüller schilderte auf Bleischs Frage, ob und wie man den Moment des Todeseintritts mitbekomme: Das allmähliche Zurückziehen des Menschen hänge damit zusammen, dass der Körper und das Gehirn weniger durchblutet werden. Man gehe während dieser Phase davon aus, dass Sinne wie hören und riechen noch funktionieren, Berührungen noch wahrgenommen werden, dass der Atem langsamer, aber plötzlich auch schneller sein könne.

Keine «finale Umarmung» kaufen

Vor dem Tod trete Bewusstlosigkeit ein, was «gut eingerichtet» sei – aber es gebe keine «letzten Antworten im totalen Geheimnis, trotz Fliegens auf den Mars».

Diesen empathischen und philosophischen Aussagen fügte der Professor und Chefarzt Palliative Care am Inselspital Bern auch ganz praktische Tipps bei:«Leben Sie ein passioniertes Leben, sinnlich, gehen Sie bar-fuss, beugen Sie die Nase über den Ratatouille-Topf, und ganz relevant: Beziehungen zu Menschen, Familie, Kunst, Musik.» Der «Badehosen-Sommer» in den Städten habe ihm gefallen. Denn Fachpersonen könnten am Ende nicht als Ersatzfamilien dienen: «Wir können keine finale Umarmung geben, das kann man sich nicht noch in letzter Minute einkaufen.» Wert des Lebens hoch achten

Täglich wird gestorben. Wie es denn wäre, am Morgen im öV auf einem Bildschirm zu lesen, dass wieder Tausende Menschen auf der ganzen Welt innerhalb eines Tages gestorben sind. Und da wäre auch zu lesen: «Herzlichen Glückwunsch, Sie sind nicht dabei. Machen Sie was draus!» Nicht einfach sich «die Zeit vertreiben» (wo man doch immer zu wenig davon hat), «den Zeitdieben », wie in Michael Endes Roman «Momo», keine Chance geben. Aber da bekomme man auch zu hören: «Wir haben keine Zeit dafür, dass Vater oder Mutter jetzt stirbt», sagt der Chefarzt – ohne zu urteilen. «Sterben ist ein Life-Event. Beim Sterben dabeisein, ist es wert. Man sollte sich die Zeit nehmen, es würdig angehen und prioritär behandeln. » Einige Fragen aus dem Plenum sprachen das Organspenden- Sterben an, das Sterben mit Exit (wo der Tod in ein paar Minuten eintritt). Zu erfahren war auch, dass 75 Prozent aller Menschen daheim sterben. Sterben sei oft ein friedlicher, ruhiger Prozess. Aber: «Es wird auch traurig gestorben, unversöhnt.» Der Sohn, der mit seinem sterbenden Vater nicht mehr sprechen will.

Und auch überraschend: «Ein Sterbender macht sich Sorgen um die Lebenden.» Alexandra Könz vom Vögele Kultur Zentrum entliess ein zugewandtes Publikum; eines, das gern noch geblieben wäre, noch weitere Fragen gehabt hätte. Doch sie konnte darauf hinweisen, dass die aktuelle Ausstellung noch bis am 18. September geöffnet ist.

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