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«Ich muss jeweils extrem parat sein»

«Ich muss jeweils extrem parat sein» «Ich muss jeweils extrem parat sein»

Die vierfache Schwingerkönigin ist heute erfahrene Schiedsrichterin im «Donnschtig-Jass». Am Eidgenössischen ist sie Expertin.

SILVIA CAMENZIND

Der «Donnschtig-Jass» hat hohe Einschaltquoten. Macht Sie das vor der Sendung nervös? Nein, ich gehe inzwischen entspannt an den «Donnschtig-Jass » ran. Im ersten Jahr war es extrem mit der Nervosität. Es gab auch eine gewisse Unsicherheit. Inzwischen bin ich ein alter Hase. Kürzlich haben Sie auf den sozialen Medien vorgerechnet, dass Sie an einem Jassabend am TV auf die Schnelle 200 Kopfrechnungen machen. Ganz schön viel, und das neben dem Kommentieren des Spiels und der Kontrolle der Spielweise Ihres Sitznachbarn. Es ist eine Konzentrationssache. Ich habe in der Jasssendung nur fünf Einsätze, dafür fünf intensive. Ich bin immer froh, haben wir nachmittags eine Hauptprobe, in der bereits die richtigen Jasserinnen und Jasser am Tisch sitzen. Da pro-ben wir alles eins zu eins. Da geht es auch um die Finessen, auf die ich in der Livesendung achten muss. Ich muss jeweils extrem parat sein. Vor der Sendung trinke ich immer einen Kaffee und esse Schokolade, um schön wach zu bleiben. Moderator Rainer Maria Salzgeber stellt jeweils spontane Fragen. Irritiert Sie das? Ich kann das relativ gut ausschalten und realisiere gleich, ob er mit mir spricht oder mit den anderen Jasserinnen und Jassern am Tisch. Vielleicht kann ich das, weil ich als Primarschülerin in Doppelklassen unterrichtet wurde. Da galt es immer, dass der einen Hälfte etwas erklärt wurde, während die andere ruhig gearbeitet hat. Dort habe ich gelernt, das auszuschalten, was mich nicht betrifft. Die Sendung ist live. Ist da schon etwas Peinliches passiert?

Jaaa. Und das in der ersten Sendung. Ich habe unleserlich geschrieben, deshalb die Zahl falsch gesagt. Das rote Licht der Kamera leuchtete, und ich wuss-te, ich bin nun bei allen zu Hause gross im Bild. Und ich habe einen Fehler gemacht. Keine Ahnung, wie ich da rauskomme.

Das gab Schlagzeilen.

Ja, nämlich positive. Weil genau das hat mich offenbar sympathisch gemacht beim Publikum. Natürlich will man möglichst souverän und professionell arbeiten, aber überall, wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Steht man dazu, wird ein Fehler auch verziehen. In den Livesendungen können bis zu 5000 Leute vor Ort sein, spüren Sie das? Ich spüre das während der Sendung nicht. Ich bin in meinem geschützten Rahmen im Jasszelt. Um mich hat es immer die gleiche Anzahl Tische. Man spürt es höchstens an der Stärke des Applauses.

Aber auch das können Sie ausblenden?

Genau, so wie früher im Schwingen. Da schaute ich auch nicht darauf, wer in den Zuschauerrängen sitzt. Ich habe mich auf das Schwingen konzentriert.

Sahen Sie die Austragung im Ybrig als ein Heimspiel? Ja, weil ich ein Jahr lang im Ybrig gewohnt habe. Ich kenne die Region sehr gut.

Wie haben Sie den Donnerstagabend erlebt?

Es war eine tolle Sendung und eine gute Stimmung, auch dank perfektem Wetter. Ich durfte diese Woche mit Beatrice Egli den Trailer aufzeichnen, das hat mich riesig gefreut. Auch meine Mutter und mein Bruder waren zum ersten Mal an einer Sendung dabei.

Dürfen Sie Ihr Outfit für die Sendung selber wählen? Etwa einen Monat vor der Sendung habe ich einen Termin in der Styling-Abteilung von SRF in Zürich. Da gibt es Vorschläge. In diesem Jahr konnte ich viel mitentscheiden. Ich darf mich vielseitig anziehen, teils Sachen, die ich privat so nicht tragen würde, aber ich fühle mich immer sehr wohl in den Outfits. Es macht mir grosse Freude, so schöne Kleider tragen zu dürfen, die ich jedoch alle wieder abzugeben habe.

Profitieren Sie von Ihrem Engagement als Schiedsrichterin für Aufträge als Model, Moderato-rin oder Referentin? Ja, die Sendung ist sicher eine riesige Werbeplattform für mich. So bin ich auch nach meinem Rücktritt im Jahr 2019 vom Schwingen medial sehr präsent. Aber es ist nicht so, dass es Anfragen geben würde, die sich direkt auf die Sendung berufen würden. Bleiben Sie so über Ihre Sportkarriere hinaus präsent? Tatsächlich sprechen mich inzwischen mehr Leute wegen des Jassens an als wegen des Schwingens. Oder Leute sagen, sie hätten mich an der Stimme erkannt. Das ist ganz neu für mich. Kann man Sie als Influencerin bezeichnen? Social Media sind Teil meines Standbeins in meiner Selbstständigkeit. Da arbeite ich mit Firmen zusammen. Ich werde aber auch wieder Referate halten und aus meinem Leben erzählen.

Was denn?

Um im Schwingsport erfolgreich zu sein, muss man gross, schwer und ein Mann sein. Das alles bin ich nicht. Ich kann aufzeigen, dass man es auch schaffen kann, wenn man diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Mit gutem Willen, sauberem Training und mit Dranbleiben kann man seine Ziele erreichen. Dies gilt auch für berufliche oder private Bereiche. Sie zeigen Ihre Tochter Lena in der Öffentlichkeit. Andere sind zurückhaltender. Weshalb ha-ben Sie sich dafür entschieden? Es war ein schwieriger Entscheid. Zu Beginn wollten wir unsere Tochter gar nicht zeigen. Sie gehört jedoch zu mir und meinem Leben, und sie immer nur von hinten zu zeigen, fanden wir irgendwie auch doof. Doch ihr Gesicht darf man auf Werbebildern nicht erkennen. Gibt es bei Ihnen Bereiche, die nicht in die Öffentlichkeit getragen werden?

Wenige. Es gibt Fragen, die zu privat sind, die ich nicht beantworte. Ansonsten bin ich sehr of-fen, sehr natürlich. Das will ich vorleben. Das Leben mit meinem Mann Stefan Halter und mit Lena und mir funktioniert und «verhebt». So kann ich auch Vorbild sein. Letzthin trug ich in der Sendung nach einem spontanen Entscheid ein Dirndl. Da hätten wohl viele einen Push-up-BH getragen oder sonst irgendwie nachgeholfen. Ich wollte das nicht, denn ich stehe für die natürlichen Werte ein. Besuchen Sie das Eidgenössische Schwingfest in Pratteln? Ja, ich gehe bereits am Donnerstag, weil ich dort arbeite. Ich bin Werbeträgerin einer Hauptsponsorin. In Basel ist auch ein Tram mit Werbebildern von mir und Aurélie, einer Jungschwingerin, bestückt. Vor Ort werde ich als Expertin Gäste der Bank betreuen.

Sieht die vierfache Schwingerkönigin einen Favoriten? Giger Samuel ist von der Technik her klarer Favorit. Er hat eine gute Postur und eine gute Schwingart, weil er angriffig ist. Ich hoffe einfach, dass er Mentaltraining gemacht hat die letzten drei Jahre. Vor drei Jahren war er ja auch schon Topfavorit, aber es hat nicht geklappt. Haben Sie auch Mentaltraining gemacht? Ja, sonst wäre ich nicht so weit gekommen. Ich bin davon überzeugt.

Hat Ihr Körper unter dem Schwingsport gelitten? Er hat stark gelitten, deshalb bin ich auch zurückgetreten. Im Alltag habe ich keine Schmerzen, aber ich muss jeden Tag aufs Velo, damit es so bleibt. Meine Knie sind stark lädiert und beide operiert. Das eine Knie war der Grund für den Rücktritt, es ist nie mehr ganz gut gekommen. Ihr Mann Stefan Halter ist Bewegungsexperte für Körper und Geist. Profitieren auch Sie von seinem Coaching? Ich profitiere sehr, weil er eine gesunde Einstellung hat zum Leben und zur Work-Life-Balance. Er unterstützt mich und hält mir den Rücken frei. Gehe ich arbeiten, ist er zu Hause und schaut zu unserer Tochter. Er fragt und hinterfragt meine Engagements: Gehst du da gerne? Oder ist es ein Müssen? Was hat sich verändert, seit Sie Mami sind? Ich bin wählerischer geworden, weil die Mobilität etwas eingeschränkt ist. Doch dank der grossen Unterstützung durch meinen Mann kann ich noch immer meinen Traum leben und bin sehr frei. Stefanie Berger sagte kürzlich, sie sei seit der Geburt ihres Kindes fremdbestimmt, frustriert und übermüdet. Das gab heftige Reaktionen. Ich bin froh, dass sie das so ehrlich anspricht. Jede Mutter weiss, dass die erste Zeit übel ist. Man ist sehr dankbar für das Kind und auch für dessen Gesundheit. Doch je nach Verlauf der Geburt hat man Nachwehen: Die Hormone spuken, man hat allenfalls Wochenbettdepressionen, das Kind weint ständig, das Stillen funktioniert nicht. In der Nacht muss man mehrmals aufstehen. Das alles ist extrem anstrengend, das kann man nicht schönreden. Ich bin froh, ist Lena schon eineinhalb Jahre alt.

Wie gut haben Sie sich in Giswil eingelebt?

Sehr gut. Ich hatte Respekt vor diesem Schritt, weil ich doch schon eine alte Eiche bin und grad mein ganzes Leben umgestellt habe. Ich fühle mich sehr wohl hier. Stefan und Lena, meine wichtigsten Personen, sind bei mir. Gibt es noch Heimweh nach Einsiedeln?

Wenn, dann mehr nach meiner Kuh. Sie lebt bei meinem Bruder auf dem Bauernhof. Ich komme gerne zu Besuch und fühle mich gleich wieder zu Hause. Weshalb eigentlich Sonia mit i?

Da müssten Sie meine Mutter fragen. Es ist mein Taufname. Mir gefällt er so. Ich muss jeweils bei der E-Mailadresse explizit darauf hinweisen, damit ich die E-Mails auch erhalte. Meine Schwester heisst übrigens Marian.

«Donnschtig-Jass»-Schiedsrichterin Sonia Kälin besucht noch immer gerne Einsiedeln.

Foto: Silvia Camenzind

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