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Eröffnung der Orgelkonzerte

Eröffnung der Orgelkonzerte Eröffnung der Orgelkonzerte

NACHKLANG

Erstes Einsiedler Orrgelkonzert vom Dienstag, 19. Juli. An der Orgel: Stefano Bertoni, Einsiedeln. Werke von Johann Sebastian Bach, Louis Vierne. Mit der Toccata und der Fuge in d-Moll BWV 538 von Johann Sebastian Bach eröffnete Stefano Bertoni die Reihe der Orgelkonzerte 2022.

Bei den durchgehenden Sechzehnteln der Toccata kam mir eine Studienkollegin in den Sinn, die Barockmusik als «Nähmaschinenmusik » bezeichnete. Johann Sebastians Nähatelier … Glasklar und sehr sorgfältig zeigte der Organist dann das Thema und die Einsätze in den verschiedenen vier Stimmen der Fuge. Ich hatte das Gefühl von meditativem Versinken bis zur Schlusssteigerung der grossen kontrapunktischen Form.

Nach dem hell klingenden D-Dur-Schlussakkord der Bach-Fuge kam es mir vor, als ob beim Beginn des Prélude, dem ersten der sechs Sätze von Viernes Orgel-Sinfonie, das Licht ausgeschaltet wurde. Düster kamen die Klänge in ganz anderen Farben daher als bei Bachs Musik. Zwischen den beiden Komponisten liegen ja auch 200 Jahre Musikgeschichte. Klare melodische Strukturen in der Barockmusik und nun in der Sinfonie in d-Moll von Louis Vierne ganz neue, verwischte und raffinierte Klänge und aufgelöste Formen. Trotz der enormen Länge des Werkes – etwa 40 Minuten – wurde es mir nie langweilig. Der Organist wuss-te mit den Klangfarben zu spielen und mich immer wieder zu überraschen und zu packen. Ganz toll der 4. Satz – Allegro vivace. Ein tanzartiges Stück mit einem ruhigeren Mittelteil, bei dem mir in den Sinn kam, dass der Komponist eine Denkpause brauchte, um zu überlegen, wie er nun weiterfahren soll.

Bei dieser Vielfalt der Klänge und den Formteilen, die immer wieder durchbrochen wurden, dachte ich an die schwere Sehbehinderung des Komponisten. Er sucht Wege durch sein grosses Klangatelier, er sieht sie nicht, hört und spürt sie aber – und verläuft sich auch immer wieder etwas … Das Finale der Sinfonie erinnerte dann an die bekannte Toccata von Charles-Marie Widor, dem Lehrer von Vierne.

Ich danke dem Organisten Stefano Bertoni für die interessante Führung durch das Klangatelier von Louis Vierne, der die französische Orgelmusik nicht nur als Komponist, sondern auch als Pädagoge bereichert hat.

Marcel Schuler

Marcel Schuler schreibt in der Kolumne «Nachklang» seine Eindrücke nieder. Er tut das aus persönlicher Sicht und erhebt dabei keinen Anspruch, auch für andere Konzertbesucher sprechen zu wollen.

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