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Einsiedeln vor 125 Jahren – Stelldichein am Marienbrunnen

Einsiedeln vor 125 Jahren –  Stelldichein am Marienbrunnen Einsiedeln vor 125 Jahren –  Stelldichein am Marienbrunnen

Ein Eindruck vom Klosterplatz im Sommer 1897: Fotografieren war damals noch kein Volkssport – aber Marriott C. Morris, ein wohlhabender junger Tourist aus Boston USA, besass bereits eine Glasplattenkamera. Und so erhielt sich sein Lichtbild bis heute.

KARL HORAT

Zufallsfund in einem amerikanischen Archiv: Ein uralter Schnappschuss, dessen Entstehung unzweifelhaft bei den Waldleuten im Finstern Wald zu verorten ist. Frauen mit imposanten Hüten und Männer im Anzug stehen da auf dem Kopfsteinpflaster des Klosterplatzes um den Frauenbrunnen herum. Darin die goldene Statue der Immaculata, der unbefleckten Gottesmutter Maria des italienischen Künstlers Domenico Pozzi aus dem Jahre 1752.

Die Damen sind im sommerlichen «Ginggangrock» aus handgewobenem Leinen. Der Ginggangrock hiess so, weil die bodenlange Schleppe beim Laufen entsprechend schwingende Bewegungen machte. Das wissen wir aus dem Buch von Martin Gyr von 1935 «Einsiedler Volksbräuche ».

«Alt-Jungfäre-plouge»

Pilgerinnen und Pilger, Jung und Alt tranken, wie es schon damals der Brauch war, gerne beim Umrunden des Liebfrauenbrunnens aus allen 14 Röhren einen Schluck Wasser. Da wo sie ihre Trinkrunde begannen, hängten sie einen Rosenkranz oder ein Taschentuch um die Röhre. Gelegentlich – erzählt man sich – hätten halt auch Dorfbuben, welche «alt-Jungfäre-plouge » zu ihren Lieblingsfreizeitbeschäftigung zählten, auf dem Klosterplatz ihr Unwesen getrieben. Einer betagten Chatzenstrick- Wallfahrerin hätten sie den Schirm, den sie zur Orientierung an eine Röhre hängte, unauffällig immer weiter verschoben. So dass die Fromme schlussendlich geschätzt 27 grosse Schlucke aus den Marienbrunnen- Röhren trinken musste.

«Ständligure» Prominent im Bild sind auf beiden Seiten des Brunnens die Arkaden der Kramläden, welche Kerzen und Devotionalien aller Art im Sortiment hatten. «Maria feil halten» war der Beruf der «Ständligure» genannten Verkäuferinnen darin. Wobei uns der zuvor genannte Autor Martin Gyr versichert, das sei keineswegs despektierlich gemeint gewesen. «Guren» sei von girren abgeleitet; besage schwatzen und rufen, um die Pilger kauflustig zu stimmen.

«Eberle, Kälin & Cie.»

Augenfällig im alten Foto auch die Werbungen von «Eberle, Kälin & Cie.». Diese Buchdruckerei und Buchbinderei wurde knapp zwanzig Jahre zuvor vom liberal- radikalen Josef Anton Eberle gegründet und lebte – wie noch viele andere Einsiedler Verlage – gut von der Herstellung und vom Verkauf von frommen Schriften und Heiligenbildchen an die Wallfahrer.

Es gab ja noch kein Radio und kein Kino – aber die Lese- und Schaulust im Volk, das Bedürfnis, Geschichten zu erfahren,war schon so ausgeprägt wie heute. Darum schossen weitere Verlage fast wie Pilze aus dem Boden. Einer der Neuen im Einsiedeln des Jahre 1897 war «Eberle und Rickenbach». Der Unternehmer Heinrich Rickenbach hatte für seine neue Zeitschrift «Mariengrüsse aus Einsiedeln» seinen Einsiedler Jugendfreund, den Müllheimer Pfarrer Johannes Evangelist Hagen an Bord geholt. Der damalige Einsiedler Abt Kolumban Brugger begrüsste die Gründung dieses neuen volkstümlichen und frommen illustrierten Heftes, das nur 17 Rappen pro Heft, beziehungsweise 2 Franken für das Jahresabonnement, kosten sollte. Um zu einem recht spannenden Aufhänger zu kommen, beknieten sie den Winnetou-Verfasser Karl May in Deutschland um eine recht abenteuerliche Erzählung («aber marianisch muss sie sein!») Der Vielbeschäftigte Schnellschreiber liess sich für 100 Mark erweichen. «Ein amerikanisches Doppelduell» sandte er nach Einsiedeln. Der Verlag beauftragte noch den Künstler Fritz Bergen, sie zu illustrieren. So kam es, dass die Einsiedler 1897 schon Winnetou und Old Shatterhand begegneten – in den «Reiseerinnerungen von Dr. Karl May».

Lichtbildaufnahme von Marriott C. Morris vom Frauenbrunnen im Jahr 1897.

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