Die Kirchen leeren sich
Die Zahl der Katholiken und Reformierten in den Landeskirchen des Kantons Schwyz sinkt stark
Die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche ist im Kanton Schwyz auf einem Höchststand. Auch in der reformierten Kirche macht sich ein Aderlass vermehrt bemerkbar: Nicht nur kantonsweit, sondern neuerdings auch in Einsiedeln.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Die Zahl der Taufen hat innerhalb der katholischen Schwyzer Kantonalkirche in den letzten Jahren massiv abgenommen. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Kirchenaustritte verdreifacht: Mit 1423 Austritten aus der katholischen Kirche im vergangenen Jahr ist ein Höchststand erreicht worden.
«Die Religion hat im Alltag der Menschen an Bedeutung verloren », sagt Lorenz Bösch, Präsident der katholischen Schwyzer Kantonalkirche: «Die Kirchenferne wächst, und die Austrittsschwelle sinkt. Wir müssen damit rechnen, dass sich die Austrittsbewegung weiter fortsetzt.» Es gebe im Moment keine Anzeichen dafür, dass sich die-ser Trend ändern werde, erklärt Bösch.
Der Kirchenpräsident führt ins Feld, dass die sichtbare Verankerung von Religion und Kirche in der Gesellschaft abgenommen habe und dass die Kirche vor bedeutenden personellen Herausforderungen stehe: «Vor allem bei Jüngeren schwindet der Bezug zur Kirche. Sie treten eher häufiger aus als Ältere.» Die Individualisierung der Gesellschaft, sexuelle Missbräuche in der Kirche und Positionen von Bischöfen und des Papstes in emotionalen Fragestellungen könnten eine Rolle spielen, wenn sich Leute für einen Austritt entscheiden würden.
«Die Kirche muss sich wieder auf die Menschen zubewegen»
Der Kirche bleibe nichts anderes übrig, als diese Entwicklung bewusst wahrzunehmen und ehrlich und offen damit umzugehen, konstatiert Bösch: «Die Kirche muss sich wieder vermehrt auf die Menschen zubewegen, Raum für Kreativität schaffen, die Seelsorge und die Kommunikation stärken.» In Zeiten des Priestermangels sei es angesagt, dass Laien zukünftig in der Seelsorge eine bedeutendere Rolle spielen würden.
Mit dem Schrumpfen der katholischen Bevölkerung würden auch die Steuererträge mittel- bis langfristig sinken, gibt der Präsident zu bedenken: «Ohne die Bereitschaft des seelsorgerischen Personals, über die Pensionsgrenze hinaus tätig zu bleiben, drohen auch bedeutende personelle Lücken.» Es stelle sich die Frage, ob die Kirche nicht bereits in einer «dynamischen Negativspirale » stehe.
Ab dem Jahr 2030 sinken die Steuereinnahmen stärker
Die Steuereinnahmen seien derzeit vermutlich auf einem Maxi-mum. «Bis in das Jahr 2030 könnte die Entwicklung stabil bis leicht rückläufig sein», hält Bösch fest: Danach würden die Einnahmen stärker rückläufig. 25 der rund 30 Millionen Franken Gesamteinnahmen gehen auf das Konto der natürlichen Personen. Zu beachten sei auch, dass die Kirchensteuern für juristische Personen auch immer wieder politisch zur Diskussion gestellt würden.
352 Austritte verzeichnet die reformierte Kantonalkirche Schwyz im vergangenen Jahr. Dies sei nicht weiter dramatisch, meint Kirchenpräsident Erhard Jordi: «Im Vergleich zu anderen Landeskirchen halten sich bei der Schwyzer Kantonalkirche die Austrittszahlen in Grenzen. Durch die Neuzuzüger bleibt die Mitgliederzahl fast stabil.» Oftmals spiele Ärger über die Kirche eine Rolle beim Austritt Dass es just bei den Neuzuzügern zu zahlreichen Austritten komme, habe mit dem Verfahren zu tun: «Bei einem Wohnortswechsel wird ein Bürger nach der Konfessionszugehörigkeit gefragt », erläutert Jordi: «Das ist der Moment, in dem viele Leute aus der Kirche austreten, weil sie das schon lange Zeit vorhatten. » Oftmals spiele Ärger über die Kirche eine Rolle bei einem Kirchenaustritt: «Die Wirren rund um den Rücktritt des Präsidenten Gottfried Locher haben der reformierten Kirche wohl etwas geschadet», hält Jordi fest: Manchmal treten Leute aus der reformierten Kirche aus wegen Machenschaften in der katholischen Kirche – die Leute würden gar nicht mehr unterscheiden, Kirche sei Kirche.
«Pekuniäre und politische Gründe fallen ins Gewicht»
Hinzu komme eine zunehmende Gleichgültigkeit, die einem einen Austritt aus der Kirche nahelege. Zu guter Letzt würden pekuniäre Gründe (Kirchensteuern sparen) und politische Gründe ins Gewicht fallen: Die Kontroverse rund um die Konzernverantwortungsinitiative etwa hätte einige zu einem Austritt bewogen.
Wenn die Mitgliederzahlen in der reformierten Kirche weiter sinken, müssten Synergien geschaffen werden: Indem etwa Kirchgemeinden gemeinsam eine Jugendarbeit betreiben würden. «Zudem muss die Kirche Angebote schaffen für Bevölkerungsteile, die verloren gehen», führt Jordi aus: «Manche Kirchgemeinden haben Männergruppen gegründet, um den Männern ein spezielles Angebot zu machen.» Und Jugendliche würden oftmals nach der Konfirmation den Bezug zur Kirche verlieren: «Für sie sollten wir neue attraktive Angebote schaffen, auf dass sie motiviert sind, in der Kirche zu bleiben», sagt Jordi. «Bei einer Anbiederung an den Zeitgeist droht Profillosigkeit» Auch in Einsiedeln steigt die Zahl der Konfessionslosen stetig an. «Viele haben den Bezug zur Kirche verloren», erklärt Urs Jäger, Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Einsiedeln: «Hinzu kommt, dass Eltern in der heutigen Zeit Religion und Glauben kaum mehr an ihre Kinder weitergeben.» Eine Individualisierung in der Gesellschaft, ein immer grösseres Freizeitangebot und soziale Medien seien Gründe, wieso Leute aus der Kirche austreten würden.
«Manchmal spielen auch pekuniäre Gründe eine Rolle», betont Jäger: Wegen des Kirchenumbaus in Einsiedeln seien kürzlich die Steuern erhöht worden – prompt seien mehr Leute ausgetreten. Neuzuzüger, die eh schon als Kirchenferne gelten, würden bei der Anmeldung in der neuen Wohnortgemeinde die Mitgliedschaft bei der Kirche gleich kündigen.
«Es ist nicht so, dass die Menschen an nichts mehr glauben würden», führt Jäger aus: «Aber just in der Corona-Pandemie sind uns die Augen geöffnet worden, an welch abstruse Verschwörungstheorien manche glauben.» Die traditionelle Gedankenwelt und Religiosität jenseits von Esoterik sei kaum mehr in Mode in der heutigen Zeit.
«Währenddem in der katholischen Kirche die fundamentalistischen Ränder integriert werden, spalten sich die Evangelikalen ab und treten aus der reformierten Kirche aus», beobachtet Jäger: Auf der anderen Seite sollte sich die Kirche nicht allzu sehr an den Zeitgeist anbiedern, weil sich sonst Profillosigkeit und Identitätsverlust bemerkbar machen würden.
Wie soll die Kirche auf den Schrumpfungsprozess reagieren? «Sicher nicht mit Fusionen von Kirchgemeinden», antwortet Jäger: «Weil dann wäre die Luft schnell ganz draussen aus dem Ball, wenn die lokale Vernetzung und Identifikation abhanden kommen würden.» «Wir wollen den Frauen in der Kirche mehr Raum geben» «In der Zeit der Corona-Pandemie sind viele aus Protest gegen die offizielle Politik aus der Kirche ausgetreten», sagt Albert Schönbächler, Präsident der katholischen Kirchgemeinde Einsiedeln: «Das ist schade, weil für diese Politik der Bund und sicher nicht die Kirchgemeinde verantwortlich gemacht werden kann.» Hinzu komme, dass rund um die negativen Schlagzeilen einige zusätzlich motiviert worden sei-en, aus der katholischen Kirche auszutreten.
Sicherlich gebe es «strukturelle Fehler» innerhalb der katholischen Kirche: Etwa in der Marginalisierung der Frauen würde ein Verbesserungspunkt liegen. «Wir versuchen, in der Seelsorge unserer Kirchgemeinde Gegensteuer zu geben, indem wir den Frauen mehr Raum geben», hält Schönbächler fest: «In unserer Pfarrei soll die Kommunikation, das Miteinander und Füreinander, verbessert werden – es soll auch darüber berichtet werden, was die Seelsorge in unserer Kirchgemeinde leistet.» Bei Austritten aus der Kirche würden immer auch das Geld und Steuerbeträge eine Rolle spielen. «Wenn es die Glaubensgemeinschaften und die damit verbundene Kirchensteuer zur Finanzierung von religiös motivierten Aufgaben wie Seelsorge, Soziales und Bildung nicht mehr geben würde, müsste der Staat und die öffentliche Hand zahlreiche soziale Dienstleistungen übernehmen», fasst Schönbächler zusammen: Er schätzt, dass mindestens die Hälfte der Kirchensteuern von den Kommunen eingezogen werden müssten, um die von der Kirche geleisteten Dienstleistung einigermassen abdecken zu können.
Das Volk Gottes bleibt weg und wird vermehrt konfessionslos: Die Mitgliederzahlen sinken – immer mehr Leute treten aus der Kirche aus. Auch in der Kirchgemeinde Einsiedeln ist ein deutlicher Aderlass spürbar: 167 Katholiken haben im vergangenen Jahr der Kirche den Rücken gekehrt.
Foto: Magnus Leibundgut
Erhard Jordi, Präsident der reformierten Kantonalkirche Schwyz.
Fotos: zvg
Urs Jäger, Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Einsiedeln.
Albert Schönbächler, Präsident katholische Kirchgemeinde Einsiedeln. Foto: Magnus Leibundgut
Lorenz Bösch, Präsident der katholischen Schwyzer Kantonalkirche.