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«Wir Knöppel spielen im Mauz so lange, bis wir umfallen»

«Wir Knöppel spielen im Mauz  so lange, bis wir umfallen» «Wir Knöppel spielen im Mauz  so lange, bis wir umfallen»

Knöppel sorgen mit ihrer kompromisslosen Mischung aus derbem Punkrock, wüstem Gefluche, lustigen Reimen und tiefgründigen Gedanken für Furore. Der 49-jährige Sänger und Gitarrist Daniel «Midi» Mittag – auch bekannt als Jack Stoiker – steht Red und Antwort.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie kommen Sie dazu, ausgerechnet im Klosterdorf Einsiedeln aufzutreten?

Nun gut, auch St. Gallen, wo ich herkomme, und Freiburg, wo ich lebe, haben einen klösterlichen Hintergrund: Von daher sind mir Kirchen und Klöster wohl vertraut – zumindest nicht vollends unbekannt. Wie der Mauz aber schliesslich auf Knöppel gekommen ist, weiss ich auch nicht so genau. Jedenfalls ist es an der Zeit, endlich Corona hinter uns zu lassen und uns wieder auf den Bühnen aufzuwärmen. Knöppel werden als Begründer des Genres «Wichser-Rock» bezeichnet. Was ist das genau? Eigentlich wollte ich ursprünglich auf Englisch singen – und in dieser Sprache sind Begriffe wie «Motherfucker» und «Fucking » wohl bekannt und gängig. Im Deutschen fehlen der-weil anrüchige Wörter, die im Gebrauch sind. Und als ich einmal begonnen habe, auf Mundart zu singen, konnte ich nicht mehr zurück ins Englische. Als Jack Stoiker habe ich im Jahr 1999 eine CD veröffentlicht, auf denen Songs über das Wichsen zu hören sind. Mit der Zeit konnte das Publikum Hits wie «Wa chönd d’Vögel deför» und «Uf em Liintuech» immer besser mitsingen. So hat das eine das andere ergeben: Das Konzept des ers-ten Knöppel-Albums («Hey Wich-sers ») war, dass in jedem Song einmal das Wort «Wichser» vorkommt. Dieses Wort wurde dann zu einer Art Klumpen für Knöppel.

Knöppel singen Songs über das Masturbieren und gelten als primitivste Band der Schweiz. Wie sehen Sie sich selbst? Jack Stoiker, das gebe ich zu, war schon ein bisschen ein Trash-Projekt. Etwa siebzig Prozent sind Blödelei gewesen und etwa dreissig Prozent Botschaft, schätze ich. Heute mit Knöppel haben sich die beiden Zutaten prozentual angenähert. Im zweiten Album von Knöppel («Faszination Glied») geht es zwar eigentlich ständig um Glieder, Penisse und Genitalien, aber eigentlich ist es nie schlüpfrig. Ich finde, wir sind keine primitive Band. Ich will kein plumpes Hingerotze und Schwanzgewitzle, sondern mindestens einen zusätzlichen Twist, der auch die etwas weniger niederen Instinkte kitzelt. Ich habe auch schon einmal über Depressionen und tragische Liebe gesungen. Musik machen ist ein Gegengift zu meinem Bürojob als Informatiker und das Gegengift zur Familie.

Ist Knöppel eine Assoziation an den Glockenklöppel, den Schwengel oder vielmehr eine Verballhornung von Roger Köppel?

Weder noch. Eigentlich wollten wir Knüppel heissen: ein Name wie aus dem Bilderbuch. Leider war der Name schon besetzt durch einen DJ. Dann haben wir uns auf Knöppel geeinigt, was genial ist. Denn das ö entspricht dem dänischen und norwegischen ø: Ein quergestelltes, schräges Ding durch das o, das allerdings eher einem Knüppel denn einem Glied ähnlich sieht (lacht). Dass Roger Köppel we-gen unseres Namens unter die Räder gerät, ist derweil reiner Kollateralschaden und nicht beabsichtigt.

Wieso proben Sie nie? Fehlt es Ihnen an einem Probenlokal? Die Tatsache, dass wir eigentlich nie gemeinsam proben, unterscheidet uns von anderen Kapellen. Marc Jenny ist ein seriöser professioneller Musiker, der probt sowieso und für sich selbst. Ich kann nicht proben, weil ich so viel Text habe, dass ich spätestens nach einer Stunde vollends heiser bin. Bleibt unser Schlagzeuger René Zosso, der probt dann halt alleine nach unseren Vorgaben. Und wenn ich neue Lieder geschrieben habe, macht es natürlich viel mehr Spass, diese gemeinsam mit Publikum zu lernen, als zu dritt im muffigen Keller.

Ist Rock’n’Roll tot und Garagen- Punkrock nicht längst Geschichte?

Doch, das ist schon so: Wir spielen Punkrock aus Nostalgie- und Heimweh-Gründen. Ich lebe ja seit dreissig Jahren nicht mehr in meiner Heimatstadt St. Gallen: Dort war ich in meiner Jugendzeit mit der Punkrock-/ Hardcore-Szene verbunden. Unsere Musik ist allerdings nicht einseitig ausgerichtet: In ihr kommen verschiedene Musikstilrichtungen zum Ausdruck. Haben Sie musikalische Vorbilder?

Neben Motorhead ist das die australische Punkrock-Band Cosmic Psychos, die Garage Rock spielt und den Grunge von Seattle massgeblich beeinflusst hat. Ihren Musikstil könnte man mit «kunstvollem Punk-Lärm» bezeichnen, irgendwo zwischen The Birthday Party und den narkotischen Ramones. Eine Band mit einer gesunden Portion Humor.

Wie haben Sie Ihre Jugend in St. Gallen erlebt? Ich war in den 90er-Jahren sehr angetan von Grunge, hörte lie-bend gerne «Nevermind» von Nirvana und besuchte Konzerte von Bad Religion in der Grabenhalle. Mit Hardrock konnte ich definitiv nichts anfangen – das war nicht meine Welt: Diese Star-Musiker wollten mit den Groupies nach den Konzerten kuscheln gehen. Währenddem Punkmusiker lieber mit allen ein Bier trin-ken wollten. Natürlich habe ich damals auch den FC St. Gallen kennengelernt: Und mich bereits damals gewundert, dass Fuss-ball kaum ein Thema war in der Mundart-Musik. Ein neues Album steht auf dem Programm von Knöppel: In welche Richtung geht es ab? Das neue Album kommt poppiger, kommerzieller daher: Schnellere, melodiösere Sounds erklingen. Aber keine Panik: Wir bleiben – zumindest textlich – unseren Erkennungsmerkmalen treu (lacht). So vollends bierernst meinen wir die Texte schon nicht. Hauptsache, sie sind lustig. Texte zu schreiben ist schon richtige Arbeit, ernste erst recht.

Der Mauz in Einsiedeln ist ein kleiner Club: Lieben Sie es, wenn es familiär zu- und hergeht? Ich mag es, wenn es voll ist. Ich bin da durchaus ehrgeizig: Wenn man sich einmal an volle Konzertsäle gewöhnt hat, ist man beleidigt, wenn plötzlich weniger Leute kommen. Allerdings spiele ich lieber in kleineren Klubs: Da geht es lockerer zu und her, gleichzeitig ist das Publikum verbindlicher – in grossen Sälen sind die Besucher in erster Linie einfach Konsumenten. Mir ist in grösseren Schuppen auch immer etwas unwohl, wenn da Security- Leute mit Funkgeräten um die Bühne weibeln.

Würden Sie sich selbst als Stoiker bezeichnen – wo Sie doch als Jack Stoiker bekannt sind? Die Stoiker habe ich im Lateinunterricht an der Kantonsschule St. Gallen kennengelernt. Der Klang des Wortes gefiel mir vor allem: Stoiker tönt einfach cool. Mit der griechischen Philosophie der Stoa konnte ich weniger was anfangen: Das war doch so rich-tig eine Oberschichts-Philosophie. Das passt nicht wirklich zu mir: Ich entstamme der Unterschicht (der Oberschicht in einem reichen St. Galler Viertel) – das prägt einen für das ganze Leben. Welche Werte vertreten Sie?

Das Politische hat mich immerzu sehr interessiert – und Punk ist ja auch politisch. Ich habe die Grabenhalle als eine Art Gegenwelt zur Kurt-Furgler-Ideologie kennengelernt, welche die Stadt St. Gallen der 80er- und 90er-Jahre geprägt hat. Unterdessen erachte ich die Politik als ein ziemlich toxisches Territorium, an das ich nicht mehr so gerne andocke. Ein SVP-Wähler, der selber Vater ist, hat mit mir mehr Ähnlichkeiten als ich mit mir selbst, wie ich vor zwanzig Jahren war. Das ganze Links-/ Rechts-Schema sehe ich unterdessen viel differenzierter. Die Politik sollte ihre Scheuklappen ablegen: Wieso soll ein Nazi nicht ein Konzert von Knöppel besuchen? Ich hätte nichts dagegen.

Wohin bewegt sich die Welt? China und Indien holen auf. In zwanzig bis dreissig Jahren wird auch Afrika emporkommen. Ich bin ein Optimist und sehe, wie sich manches auf unserer Erde zum Besseren entwickelt. So nimmt die Armut auf unserem Planeten ab. Klar gibt es auch Kritisches zu vermerken: der Klimawandel, das Überfischen der Meere, die Kriege. Aber deswegen bin ich kein Anhänger von Dystopien. Was erwartet das Publikum am 7. Mai, um 20.30 Uhr, im Mauz? Den Support mache ich gleich selber: Im Vorprogramm zu Knöppel trete ich als Jack Stoiker auf. Wir von Knöppel spielen diesen Frühling ein paar kleinere Shows in ausgewählten Clubs – und geben dabei quasi ungeschminkten Einblick in die Entstehung unserer neuen Songs. Und natürlich, um die monatliche Routine hochzuhalten, werden auch ältere Hits zu hören sein – zum Mitsingen. Wir Knöppel spielen im Mauz an diesem Abend so lange, bis wir nicht mehr können – bis wir umfallen.

Samstag, 7. Mai, 20.30 Uhr, Mauz Music-Club, Zürichstrasse 38, Einsiedeln: Die «Es geschehen Wunder: Knöppel proben!»-Frühlings-Tour 2022. Abendkasse: 25 Franken. Vorverkauf: 20 Franken (der Vorverkauf für Konzerte im Mauz läuft exklusiv über showticket.ch).

«Jack Stoiker, das gebe ich zu, war schon ein bisschen ein Trash-Projekt.» «Ich habe auch schon einmal über Depressionen und tragische Liebe gesungen.» «Musik machen ist ein Gegengift zu meinem Bürojob als Informatiker.» «Dass Roger Köppel wegen unseres Namens unter die Räder gerät, ist reiner Kollateralschaden.» «Das Politische hat mich immerzu sehr interessiert – und Punk ist ja auch politisch.»

Knöppel spielen lyrischen Punk über das Landleben, singen Songs über das Masturbieren – und sind das Schweizer Rock-Phänomen der Stunde: Marc Jenny, Daniel «Midi» Mittag und René Zosso (von links).

Foto: zvg

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