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Eine Familie mit Orientierungssinn

Eine Familie mit Orientierungssinn Eine Familie mit Orientierungssinn

Flurina Müller aus Einsiedeln und ihre vier Brüder haben sich dem Ski-OL verschrieben.

PETER BIRRER

Der Satz kommt von Corsin, und er drückt aus, dass diese Sport-art für ihn nicht einfach ein Zeitvertreib ist: «Ich bin vernarrt in diesen Sport», sagt der 17-Jährige. Neben ihm sitzen vier seiner Geschwister. Was Corsin sagt, hat auch Gültigkeit für sie, für Flurina (21), Nicola (22), Gian-Andri (19) und Lavio (14). Sie heissen Müller, stammen aus Einsiedeln – und haben sich dem Ski-OL verschrieben.

Ski-OL? Es ist eine Sportart, die abseits der grossen Öffentlichkeit stattfindet, aber hohe Ansprüche stellt. Die Athletinnen und Athleten sind auf Langlaufskiern unterwegs, tragen vor sich ein Kartengestell, dürfen für die Orientierung einen Kompass benützen und sollten die vorgegebenen Postenstandorte so rasch wie möglich anlaufen und quittieren – das Prinzip ist dasselbe wie beim Orientierungslauf zu Fuss. Studium und Sport – mit aller Konsequenz Langlauf und OL – es ist kein Zufall, dass die Müllers eine hohe Affinität dafür entwickelt ha-ben. Ihr Elternhaus steht in Einsiedeln gleich neben der Loipe, und OL steht sowohl bei der Mutter als auch beim Vater hoch im Kurs. Die Liebe zu diesem Sport übernehmen sie und entdecken den Reiz der Kombination mit dem Langlauf. Um voranzukommen, sind die Kinder bereit, einiges an Aufwand auf sich zu nehmen. Einzig Seraina, mit 25 die Älteste, ist nicht mehr spitzensportmässig aktiv. 2016 hörte sie auf.

Nicola hat bereits den Aufstieg in die Elite geschafft. 630 Trainingsstunden hat er im vergangenen Jahr absolviert, das hat er alles fein säuberlich festgehalten. Ihn treibt die Lust auf den Sport tagtäglich an, jede Einheit, sagt er, sei für ihn ein Genuss. Dabei muss er achtsam mit der Zeit umgehen: Er absolviert in Bern ein Medizinstudium, steht im vierten Semester und nimmt in Kauf, dass daneben das soziale Leben oft zu kurz kommt. «Wichtig ist bei allem, das ich mache, die Effizienz », sagt er, «wenn ich etwas anpacke, dann tue ich das mit aller Konsequenz.» Das zahlt sich aus: Nicola Müller ist ein eifriger Medaillensammler an internationalen Anlässen. Seinen bislang grössten Erfolg landete er unlängst an den Weltmeisterschaften in Finnland, als er in der Verfolgung Bronze eroberte. Das soll aber längst nicht alles sein in seiner Karriere, er sagt offen: «Ich möchte einmal Welt-meister werden.» Ehrgeizig und talentiert ist auch Flurina, die an der Pädagogischen Hochschule Luzern studiert und Kindergärtnerin werden will. Trainieren heisst für sie wie für ihre Brüder nicht nur, im Sommer auf Roll- und im Winter auf Langlaufskiern unterwegs zu sein, sondern auch Karten zu studieren, sich ein Gelände einzuprägen und herauszufinden, wo die Schwierigkeiten liegen. Das ist es, was für Flurina Müller einen grossen Teil der Faszination ausmacht: diese Kombination von physisch anspruchsvoller Arbeit und strategischen Aspekten. Einfach loslaufen, das ist nicht zielführend. Wer zur Spitze zählen will, benötigt mehr als einen robusten Körper mit kräftigen Oberarmen und gestählten Beinen. Handlungsschnelligkeit ist gefragt, geistige Flexibilität in heiklen Situationen, die Fähigkeit, die Ruhe zu bewahren – und auch das Gleichgewicht.

Gemeinsam in die Ferien Oft werden intern Erfahrungen ausgetauscht, etwa an spontan einberufenen Familiensitzungen. Dann beugen sich die Müllers über eine Karte, diskutieren und suchen zusammen nach Lösungen, die letztlich allen dienlich sind. «Sport ist bei uns ein ständiges Thema», sagt Flurina, «wir sind eine Familie, die grossen Wert auf Zusammengehörigkeit legt. Normalerweise fahren wir auch alle gemeinsam in die Ferien.» Und: Sie sehen sich gewöhnlich auch an Wettkämpfen, die für alle Kategorien jeweils am gleichen Ort stattfinden.

Nicola und Flurina gehen voran, dahinter folgt der 19-jährige Gian-Andri, der das Sportgymnasium in Davos besucht. «Mich reizen am Ski-OL vor allem die schönen Landschaften», sagt er und erzählt von Wettkämpfen, die er schon in Skandinavien bestritten hat: «Diese wunderbare Natur – ein Traum.» Gian-Andri hat auch schon einige Erfolge gefeiert, zuletzt an den WM im März im finnischen Kemi. Da holte er bei den Junioren Bronze im Sprint und in der Staffel. Dass die mediale Aufmerksamkeit danach überaus bescheiden blieb, stört ihn nicht im Geringsten. «Es hat seine Vorteile, wenn man in aller Ruhe seinen Sport ausüben kann», sagt er, «auch im Erfolg kann ich noch ein ganz normales Leben führen. Das ist für jemanden, der in einer populären Sportart richtig gut ist, manchmal ziemlich schwierig.» Mit Leidenschaft betrieben die Müller-Kinder auch Biathlon und sammelten dabei einige nationale Meistertitel. Das Engagement endete aber, weil das Kleinkaliberschiessen einen immer grösseren Trainingsaufwand erforderte. Hängengeblieben sind sie alle beim Ski-OL. Davon leben, das ist nicht möglich. Aber das hindert auch Gian- Andri nicht daran, viel zu investieren. Ihm geht es nicht um das Finanzielle, sondern darum, sportliche Herausforderungen zu meistern und etwa den Sprung in die Elite zu schaffen wie Nicola: «Ich möchte es an die Weltspitze bringen.» Davor will er Weltmeister bei den Junioren werden.

Der Jüngste hat genügend Vorbilder

Die Ambitionen werden von den Älteren auf die Jüngeren übertragen, also auf Corsin und den 14-jährigen Lavio. Corsin spiel-te, wie Gian-Andri und Nicola, in Einsiedeln auch schon Fussball im Verein, zieht mittlerweile aber den Ski-OL vor. Lavio kickt immer noch bei den C-Junioren, was er «megacool» findet. Aber ihn reizt es mindestens genauso, Ski-Orientierungsläufer zu sein. Und Lavio hat einen grossen Vorteil: Die Suche nach Vorbildern gestaltet sich für ihn nicht sonderlich schwierig, er findet genügend davon in der eigenen Familie.

Die fünf Müller-Geschwister aus Einsiedeln machen erfolgreich Ski-OL (von links): Nicola, Gian-Andri, Flurina, Livio und Corsin, beim KKL in Luzern.

Foto: Eveline Beerkircher

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