«Mir geht es auch gut»
Ukrainische Flüchtlingskinder lernen an den Schulen in Einsiedeln seit einer Woche Deutsch
Seit Kurzem dürfen ukrainische Kinder und Jugendliche aus Flüchtlingsfamilien in Einsiedeln die Schule besuchen. In zwei Integrationsklassen lernen sie vor allem Deutsch. Der Lerneifer der rund 20 Schülerinnen und Schüler ist riesig.
WOLFGANG HOLZ
Sie können es kaum erwarten: die zehn Mädchen und Jungen, die vor dem Schulhaus Furren warten, dass der Unterricht am Nachmittag beginnt. Lehrerin Sarah Fischlin und Schulleiter Franz Camenzind, der flies-send Russisch spricht, empfangen ihre Schützlinge. Alle warten nur noch auf Olga, die bis jetzt nicht erschienen ist.
«Fünfundzwanzig, vierundzwanzig, …» «Wir gehen schon mal hoch», sagt die Lehrerin nach einigen Minuten und weist ihren Schülerinnen und Schülern den Weg die Treppen hoch bis zum Klassenzimmer. Doch bevor sie dort ankommen, zeigt sie jeweils auf die Schilder an den Wänden anderer Klassenzimmer und spricht vor: «Das ist Zimmer 25, das ist 24, 23 … und hier ist unser Klassenzimmer Nummer 21.» So einfach und anschaulich kann man Zahlen einüben.
Lehrerin Sarah Fischlin hat sichtlich Freude an ihrer neuen Aufgabe. Zusammen mit drei anderen Lehrpersonen werden seit einer Woche jeden Nachmittag von 13.30 bis 16 Uhr ukrainische Jugendliche an der Schule Furren unterrichtet. «Ich denke, es ist unsere Pflicht, den Kindern zu helfen», schildert sie ihre Motivation, sich freiwillig als Lehrkraft für die Integrationsklasse gemeldet zu haben. Sagts und strahlt.
Dass die Jugendlichen zwischen 12 und 14 Jahren, die sie in ihrer Nachmittagslektion betreut, sich auch gleich willkommen fühlen dürfen, lernen sie prompt. «Herzlich willkommen», spricht Sarah Fischlin vor und zeigt auf die Tafel. «Das heisst auf Englisch «welcome» und wie auf ukrainisch? », fragt sie. «Laskovo prosimo», antwortet eine Schülerin sofort.
Dann dürfen alle sagen, wie sie heissen, wie alt sie sind. Inzwischen ist auch Olga noch zur Klasse gestossen. Bei ihr klingt das Ganze auch schon ziemlich gut. «Ich heisse Olga und bin …» Auch die zwölfjährige Anna, die mit ihren Eltern aus Kyiv geflüchtet ist, kann bereits Deutsch – weil sie es in der Schule zu Hause gelernt hat. «Etwa zwei, drei Jahre lang.» «Es ist toll, dass wir hier in die Schule gehen dürfen», meint Sonia (12) aus Bojka. «Dann wird es uns nicht langweilig», freut sie sich. Zusammen mit ihren Mitschülerinnen lebt sie seit wenigen Wochen in Einsiedeln, wo alle in Familien untergebracht sind. «Es ist alles schön hier in Einsiedeln», sagen sie unisono im Gespräch mit dem «Einsiedler Anzeiger» und strahlen zufrieden.
Weg vom Krieg Vor allem fühlen sie sich in Sicherheit – weit weg von den Bomben und Raketeneinschlägen des Kriegs in ihrer Heimat. Weit weg von den heulenden Sirenen und «den bangen Stun-den, die wir im Keller mit unseren Eltern und Grosseltern verbringen mussten», erzählt Sofia aus Ternopil, einer westukrainischen Stadt in der Nähe von Lwiw. «Hier versuchen wir einfach, nicht an den Krieg zu den-ken », betont sie und hofft, dass es bald Frieden in der Ukraine gibt. Putin habe ja versprochen, dass der Krieg am 9. Mai beendet sei.
Auch die vierzehnjährige Margerita, die aus Irpin stammt, wo durch die russischen Angriffe be-sonders viele Häuser zerstört worden sind, sehnt sich nach einem Ende der Kampfhandlungen. «Wir wollen so schnell wie möglich wieder zurück nach Hause», versichert sie. «In die Schweiz kommen wir dann gerne wieder einmal in den Ferien.» «Dialogschnipsel» ordnen Jetzt dürfen die Jugendlichen erst mal weiter Deutsch lernen. Sarah Fischlin hat den Schülerinnen und Schülern inzwischen papierene «Dialogschnipsel» verteilt, die sie sinngemäss ordnen müssen: «Ich heisse Frau Müller, wie heisst Du?» – «Ich heisse Tim. Wie geht es Ihnen?» – «Mir geht es gut. Wie geht es Dir?» – «Mir geht es auch gut.» Sätze des Wohlbefindens, die für die Mitglieder der Integrationsklasse keine Fremdworte sind. Im Nu haben die Schüler die deutsche Konversation auf dem Tisch in die Reihe gebracht. Wenn zwischendurch etwas unklar ist, hilft auch mal ein Brocken Englisch weiter. Sarah Fischlin kann sogar ein paar wenige Wörter Russisch. Tschuttschut.
Bezirk trägt die Kosten Für die Kosten der Integrationsklassen kommt der Bezirk Einsiedeln auf. Welche Kosten dabei exakt entstehen, ist noch nicht klar. «Denn es ist ja noch nicht absehbar, wie lange die Klassen andauern werden», erklärt Raffael Bosshard, Rektor und Abteilungsleiter Bildung und Kultur. Auch an der Primarschule im Schulhaus Kornhausstrasse gibt es ja seit einer Woche eine Integrationsklasse, in der acht Kinder betreut und beschult werden und Deutsch lernen können. Wobei Bosshard versichert, dass man ukrainische Schüler, die gut Deutsch oder Englisch können, den individuellen Fähigkeiten entsprechend – und eben auch kontrolliert – punktuell in Regelklassen integrieren wolle. «Damit sie auch in anderen Fächern unterrichtet werden.» Übrigens erhalten die ukrainischen Kinder täglich Fernunterricht vom ukrainischen Bildungsministerium. «Das finde ich bemerkenswert », sagt Schulleiter Franz Camenzind.
Foto: zl.
«Es ist toll, dass wir hier in die Schule gehen dürfen.»
Sonia (12), ukrainische Schülerin
Lehrerin Sarah Fischlin heisst ihre ukrainischen Schülerinnen und Schüler willkommen.