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So wurde er gekidnappt – «als Gast» von Bakhrom Sadirow

So wurde er gekidnappt – «als Gast» von Bakhrom Sadirow So wurde er gekidnappt – «als Gast» von Bakhrom Sadirow

CLAUDE BAVAUD

3.2.97

An einem Wintermorgen,die Sonne hatte eben den Nebel durchbrochen und die düsteren Alleen der tajikischen Hauptstadt Dushanbe in blendendes Licht getaucht, verliessen wir den Sitz der UN-Beobachtermission in Tajikistan an der Uliza Gorki No. 7, um auf verschneiten Strassen nach Garm, einer Ortschaft im Osten Tajikistans zu fahren. Der österreichische Teamleader, Major Gottfried Hoinig des dortigen UN-Beobachter-Postens, war erkrankt und brauchte einen Arzt.

4.2.97

Wir schöpften nur kurz Verdacht, als wir hinter Obigarm auf halbem Weg nach Dushanbe in einer Rechtskurve mit Felswand von einem rasenden roten Niva voll bärtiger, wilder Männer überholt wurden und Augenblicke später aus unserem Bordfunk auf einem UNMOT-Kanal einen kurzen Ausruf in einer fremden Sprache vernahmen. Valentin im ersten Fahrzeug funkte uns ebenso kurz: «Rezvon», fragte er. Der Gedanke tauchte immerhin auf. Die Kidnapper waren nervös

Ein paar Kilometer danach geschah es. In einer langgezogenen S-Kurve in der Nähe einer einsamen Bushaltestelle mit einer Quelle wurden unsere Fahrzeuge von drei bewaffneten Männern in zusammengewürfelten Uniformen angehalten, ein vierter rannte, sein Gewehr im Anschlag, aus einem Haus über das Feld von rechts her auf uns zu, ein fünfter tauchte an der Strassenböschung links von uns auf und schoss lachend einen einzelnen Schuss ab. Der Knall tönte gedämpft, es kam mir vor, als ob er aus einer anderen Wirklichkeit zu uns herübergeweht wäre. Ich sah alles und glaubte nicht, was geschah. Da stand vielsagend der rote Niva von vorhin am Strassenrand. Unser Fahrzeug kam zu einem brüsken Halt, auch der UNMOT 65 vor uns hielt an, was wir nur halb wahrnahmen, da wir gerade sehr mit uns beschäftigt waren und von vielen Eindrücken heimgesucht wurden. Niklaus und Gottfried auf den Vordersitzen sprangen aus dem Wagen. Auf vorgehaltene Kalaschnikows reagierten sie jeweils wie routinierte Infanteristen, sie warfen sich zu Boden. Mich dünkte das übertrieben.

Mit Kalaschnikow in Schach gehalten Unsere Kidnapper waren nervös, aber wussten, dass wir wie alle Militärbeobachter der UN-MOT unbewaffnet waren. Gottfried und Niklaus wurden zu mir auf den Rücksitz kommandiert, wir drückten uns auf dem engen zur Verfügung stehenden Raum zusammen, da der andere Rücksitz mit Gepäck belegt war; einer der soeben in unser Leben getretenen Gesellen, ein sehr hektischer Mensch, hockte sich ans Steuer, ein zweiter, etwa 40-Jähriger, der mit seinem schwarzen satt anliegenden Kopftuch einem Seeräuber glich, kniete auf den Beifahrersitz vor uns, Rücken gegen das Armaturenbrett und hielt uns mit seiner Kalaschnikow in Schach. Meine Kollegen waren kreideweiss.

Alles «normalna» Der Seeräuber grinste, sagte, alles sei «normalna», als ob Entführungen das Normalste der Welt wären und wir würden schon bald wieder frei sein. Zuerst wurde mit uns auf der vereisten Strasse versehentlich eine 360-Grad-Drehung knapp ohne Überschlag durchgeführt, dann jagte der Chauffeur mit seiner afghanischen Rundmütze hinter dem von einem weiteren Entführer eher gerittenen als gefahrenen Toyota Unmot 65 Valentins und Davlats eine schmale, schneebedeckte Strasse hinauf. Die Sonne schien heiss. Wir beschworen den Mann, langsamer zu fahren, mir fiel sogar der russische Ausdruck ein.

Der Mensch wollte jedoch nichts, auch kein Russisch hören. Der Wagen schlingerte. Wir fuhren mit Wucht frontal in einen Schneehaufen, der Seeräuber zuckte mit keiner Wimper, auch das war für ihn «normalna ». Rückwärtsgang, aufheulender Motor, neuerlich rasanter Start, wir wurden wie in einem Bob von einer Schneewand gegen die andere geworfen. Bei einem Haus an der Strasse abrupter Stop. Der Wagen Valentins versperrte die Strasse. Einer war ausgestiegen, ging ins Haus, kam zurück. Er trug eine Pistole am Gürtel.

Schneepflug verjagt Und weiter gings, im gleichen Tempo bergan. Ein Schneepflug vor uns wurde mit einer Salve aus einer zum Fenster hinausgehaltenen Kalaschnikow verjagt. Er fuhr schon im nächsten Augenblick, eine lächerliche Schneise pflügend, ins nahe Schneefeld. Nach einer kleinen Senke schraubte sich das Strässchen einen verschneiten Bergkegel empor.

Dieser Text ist ein Auszug aus Claude Bavauds persönlichem 48-seitigem Bericht über seine Geiselnahme in Tadschikistan. Der Einsiedler Arzt stammt aus Bottens VD. Seine Vorfahren sind zur Zeit der Hugenottenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert aus Frankreich in die Waadt eingewandert. Er wurde 1941 in Bern geboren und hat an der Universität Bern Medizin studiert. Seit 54 Jahren ist er mit Ehefrau Heidi Bavaud verheiratet; sie haben 2 Kinder und 5 Enkel. Seit 1976 führt er eine eigene Praxis in Einsiedeln, mit einem Unterbruch von 1990-1998, Jahre, in denen er, meist in Begleitung seiner Ehefrau unter anderem in Lesotho, Rwanda, Tadschikistan und Kamerun als Arzt gearbeitet hat.

Fahrt ins Ungewisse: Karategintal im Osten von Tadschikistan. Fotos: zvg

Bakhrom Sadirow, der Mann und Anführer mit der Pistole am Gürtel. Im Hintergrund sind Mudschahedin-Rebellen zu sehen.

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