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Sie bekennen Farbe

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Ein Einsiedler Ehepaar hat eine grosse ukrainische Flagge gehisst

Gelb-hellblau strahlt die grosse Flagge vom Balkon des Hauses an der Einsiedler Alp. Farbe bekennen und mit den Menschen im Krieg in der Ukraine mitfühlen – dazu haben sich Madeleine und René Schönbächler entschlossen. Die Flagge hat sie selbst genäht.

WOLFGANG HOLZ

Man kennt die Bilder des Schreckens nun schon seit gut zwei Wochen. Tote auf den Strassen. Zerschossene Häuser. Bombardierte Städte. Familien mit Kindern, die aus Angst vor Grana-ten um ihr Leben rennen. Bilder des brutalen Kriegs der russischen Truppen Putins in der Ukraine. Viele Menschen im Westen fühlen sich hilflos, ohnmächtig, ja wütend angesichts dieser Bilder.

So geht es auch Madeleine und René Schönbächler in der Mythenstrasse 10 in Einsiedeln. Doch sie haben sich entschlossen, wenigstens ein Zeichen zu setzen, zu protestieren gegen «diese mordsmächtige, gemeine und verlogene Politik Putins in der Ukraine», wie die 67-Jährige im Esszimmer ihres schönen Hauses an der Alp klarstellt. «Wir wollen uns solidarisch zeigen und an die Menschen in der Ukraine denken.» Um dies zu tun, kaufte sie flugs Meterware gelber und hellblauer Baumwolle und stückte die beiden Stoffhälften mit der Nähmaschine kurzerhand zusammen. «Dann hat sie mein Mann auf dem Balkon befestigt», so Madeleine Schönbächler. Dort hängt das selbstgemachte Nationalbanner der Ukraine seit dem 26. Februar – also zwei Tage nach der russischen Invasion. Früher schon Flagge gehisst

Es ist nicht das erste Mal, dass die Schönbächlers an ihrem Haus eine ukrainische Flagge hissen. Vor 14 Jahren unternahm das Ehepaar nämlich eine Reise in das slawische Land, um zu sehen, wo ihr Sohn Cyrill 2006 für den Schweizer Bauorden im westukrainischen Drohobytsch für die dortige Caritas Häuser reparierte – damit Obdachlose wieder ein Dach über dem Kopf hatten.

Während ihres Besuchs damals lernten sie auch die Caritas-Leiterin Natalja Holynska kennen, die sie empfing und auf Ausflügen begleitete. Von Nataljas Einladung zum Abendessen bei ihr zu Hause schwärmt Madeleine Schönbächler auch heute noch. «Das war so reichlich – wir waren eigentlich schon nach der Vorspeise satt.» Die Flagge, die das Einsiedler Ehepaar anschliessend von dieser Reise begeistert mit nach Hause brachte und auf dem Balkon aufhängte, «hätten wir jetzt nicht mehr hissen können – weil sie nach all den Jahren völlig zerfetzt war». Ein ungewollt passendes Bild für die momentane Situation in der Ukraine. Kühlschrankmagnete lassen Erinnerungen aufleben Wobei die Liebe für das Land und die Menschen in der Ukraine durch den Krieg für das Ehepaar Schönbächler gleichsam neu entfacht worden ist. «Wir stehen seit dem Kriegsbeginn regelmässig in Kontakt mit Natalja », sagt Madeleine Schönbächler – und Ehemann René (71) zeigt den intensiven E-Mailverkehr auf dem Smartphone. «Nataljas Mutter ist vor wenigen Tagen gestorben, und sie schreibt, dass die Situation furchtbar im Land sei und nur noch Beten helfe », beschreibt Schönbächler die Lage. «Wir haben ihr in den vergangenen Jahren immer etwas Geld geschickt.» Längst hat Madeleine Schönbächler ukrainische Reisesouvenirs aus früheren Tagen auf dem Tisch drapiert.

Kühlschrankmagnete mit einem Bildchen von Truskawez etwa, einer Bäderstadt mit Heilquellen in den Beskiden. Eine Schwarzweissansicht des noblen klassizistischen Theaters in Lwiw – von dort, wo heutzutage Tausende von Flüchtlingen in Zügen vor Putin in den Westen fliehen. Oder eine Emaille-Kachel als gerahmtes Bild, «das ich einmal auf einem Markt gekauft habe, weil es mir so gut gefallen hat».

Schon seit ihrer Kindheit empfindet sie ein Faible für Osteuropa. «Eine Tante gab mir zwei Bände slawischer Märchen zum Lesen, und die Welt dieser Geschichten und Bilder beeindruckte mich offensichtlich sehr», sagt sie und erinnert sich unter anderem an jenes Mädchen in russischer Volkstracht auf dem Bucheinband.

Studienreise nach Kiew Sie sei mit ihrem Mann später gerne immer wieder nach Prag gefahren. 1978, also vor über 40 Jahren, unternahmen sie zusammen mit anderen jungen Leuten eine Studienreise durch die sozialistische Sowjetunion. Dabei standen neben Moskau und den faszinierenden orthodoxen, mit Golddächern verzierten Kirchen in Zagorsk und Wladimir auch Kiew und Odessa auf dem Programm.

Einer «Deschurnaja», einer sogenannten Wachfrau im Hotel, habe sie damals einen Bilderkalender der Schweiz geschenkt. «Mit Händen und Füssen verständigten wir uns.» Sagts und blättert im Fotoalbum, das ihr Ehemann René gebracht hat. «Das hier ist beispielsweise das Fussballstadion von Kiew, und das da die berühmte lange Treppe in Odessa.» Doch nun sind weniger idyllische Zeiten angebrochen. Kiew und Odessa werden täglich von russischem Militär beschossen. «Jeden Morgen hören wir im Radio die neuesten Meldungen über den Krieg in der Ukraine », sagt Ehemann René. Abends verfolge man im Fernsehen dann die Nachrichten. «Zwischendurch muss man aber auch mal raus in die Natur oder etwas Lustiges anschauen – sonst wird es zu viel.»

«Wir wollen uns solidarisch zeigen und an die Menschen in der Ukraine denken.»

Madeleine Schönbächler

«Die alte Flagge hätten wir jetzt nicht mehr hissen können – sie war total zerfetzt.» «Eine Tante gab mir zwei Bände slawischer Märchen zum Lesen, und die Welt dieser Geschichten und Bilder beeindruckte mich offensichtlich sehr.»

Madeleine Schönbächler

«Jeden Morgen hören wir im Radio die neuesten Meldungen über den Krieg in der Ukraine.»

René Schönbächler

Selbst genäht: die ukrainische Nationalflagge auf dem Balkon von Madeleine und René Schönbächler. Fotos: Wolfgang Holz

Reisesouvenirs aus besseren ukrainischen Zeiten.

Erinnerungen an Kiew: René und Madeleine Schönbächler.

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