«Ich bin überzeugt, dass uns Berufspolitiker auf Gemeindestufe nicht guttun»
Das Verhältnis zum Bürger wurde «ungeduldiger und anspruchsvoller», sagt Martin Wipfli, Präsident des Bezirks- und Gemeindeverbands.
JÜRG AUF DER MAUR
Im Mai finden in den Bezirken und Gemeinden Wahlen statt. Verschiedene Gemeinden ha-ben bereits erklärt, sie hätten Mühe, die Ämter zu besetzen. Woran liegt das? Die Fragestellungen in der politischen Arbeit sind komplexer geworden und das Verhältnis zwischen den politischen Behörden und Wählern anspruchsvoller, ab und zu auch etwas ungeduldiger. Dies führt häufig zu weniger Dankbarkeit und mehr Kritik gegenüber der Arbeit der Gemeinderäte. Auch der Umgangston ist in der Politik wesentlich rauer geworden. Nicht alle können damit umgehen und wollen sich das antun. Die Pandemie hat diesen Trend verstärkt. Stösst das Milizsystem an Grenzen? Ja, weil die Arbeitslast zunimmt, die Anerkennung und Dankbarkeit für Geleistetes hingegen stetig abnimmt, die Anspruchshaltung fordernder wird und die Entschädigung für die geleistete Arbeit vergleichsweise gering ist. Wir brauchen neue Wege und korrekte Entschädigungen,um unser Milizsystem am Leben zu erhalten. Gerade Frauen haben doch auch Mühe mit dem zunehmend schärferen Umgangston. Gibt es so etwas wie eine coronabedingte Unlust auf ein Amt? Die Pandemie hat uns alle gefordert. Der kommunale Politiker ist den Menschen in seiner Gemeinde häufig sehr nahe, und viele Auswirkungen der Pandemie ha-ben uns Menschen betroffen gemacht. Entscheide wurden auf Stufe Bund oder Kanton gefällt, was letztlich richtig ist, aber viele Auswirkungen haben wir auf kommunaler Stufe wahrnehmen können, da das soziale Leben in unserem direkten Umfeld stattfindet. Die Schwyzer Gemeinden haben in diesem Zusammenhang einen sehr guten Job gemacht, aber die Situation ist ermüdend. In diesem Sinne kann man durchaus sagen, dass Corona zu einem politischen Verdruss geführt hat, was zu einer Unlust auf ein politisches Amt führt. Sollten die Jobs besser bezahlt werden? Grundsätzlich muss dies jede Gemeinde autonom für sich entscheiden. Eine Entschädigung sollte fair sein und auch die Sozialleistungen korrekt berücksichtigen. Ich meine damit, eine Entschädigung für ein politisches Exekutivamt auf kommunaler Ebene im Milizsystem sollte beispielsweise auch eine Pensionskassenregelung beinhalten.
Das heisst?
Ich bin gleichzeitig auch davon überzeugt, dass Berufspolitiker unserem politischen System auf Stufe Gemeinde nicht guttun. Man sollte kein Exekutivamt anstreben, weil man Geld verdienen will. Der Ansporn sollte von innen kommen, dass man für die Wähler da sein und etwas gestalten will. Ein Politiker sollte dem Souverän dienen. Schübelbach hat als erste Gemeinde nun einen Gemeindepräsidenten im Vollamt. Ist das die künftige Realität? Dies ist schwierig zu beurteilen. Was für Schübelbach richtig sein mag, muss für eine andere Gemeinde nicht das Gleiche bedeuten. Der Wähler von Schübelbach hat einem Sachgeschäft zugestimmt, und ich respektiere die-sen Entscheid. Die Zukunft muss weisen, ob andere Gemeinden im Kanton Schwyz folgen werden. Sie sind selber Gemeindepräsident. Haben Kollegen von Ihnen ähnliche Wünsche und Absichten für ein Vollamt?
Ich kann mir nicht vorstellen, im Vollamt als Gemeindepräsident von Feusisberg tätig zu sein. Ich habe bis jetzt diesbezüglich auch von anderen Kollegen noch nichts gehört. Gleichzeitig werden die Gemeinderäte reduziert. Das ist doch ein Widerspruch. Auf noch weniger Schultern lastet mehr Verantwortung. Das muss nicht ein Widerspruch sein, sondern ist ein Hinweis darauf, dass kleinere Gremien effizienter arbeiten. Die Belastung eines Exekutivamtes auf kommunaler Ebene hängt im Wesentlichen von der Aufgabenteilung zwischen der politischen Behörde und der Verwaltung ab. Dabei ist es meines Erachtens wichtig, dass die Verwaltung alle operativen Aufgaben wahrnimmt und die politische Behörde sich auf die strategischen Themen und die Kontrollen konzentrieren kann. Fast alle grösseren Gemeinden im Kanton Schwyz folgen heute diesem Muster der Arbeitsteilung.
Derzeit läuft auch im Finanzbereich vieles. Die Staatswirtschaftskommission und die Regierung «beineln» aus, wie die Aufgaben- und Finanzströme neu geregelt werden sollen. Was wünschen sich die Gemeinden?
Der innerkantonale Finanzausgleich muss so gestaltet werden, dass keine Fehlanreize geschaffen werden. Diese Problematik wurde erkannt, und der Wille zur diesbezüglichen Korrektur ist sehr breit abgestützt. Im indirekten Soziallastenausgleich zwischen dem Kanton und den Gemeinden gibt es noch Handlungsbedarf. Dort warten wir nun auf die Vorschläge der Stawiko und der Regierung.
Was wünschen Sie sich?
Wir wollen als Gemeinden dem Kanton keinen Wunschkatalog zustellen. Dies wäre in unserem System nicht korrekt. Wir möchten als Gesprächspartner mit unseren Anliegen ernst genom-men werden. Dies war bis jetzt fast immer der Fall. Im Kanton Schwyz funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Gemeinwesen sehr gut und konstruktiv. Dem Steuerzahler bringt es doch letztlich wenig, ob er dem Kanton Steuern schuldet oder der Gemeinde. Was macht den Unterschied? Aus der Sicht des Steuerzahlers betrachtet, ist dies richtig. Finanztechnisch gesehen muss man dies jedoch differenzierter betrachten. Jede Steuersenkung des Kantons kommt dort am meisten an, wo auch am meisten abgeschöpft wird. Dies kann so gewünscht sein, muss aber nicht immer als gerecht empfunden werden.
Was bedeutet das?
Zukünftig müssen wir darauf achten, dass wir frei werdende Mittel nicht nur für Steuersenkungen einsetzen, sondern auch, um unseren Lebensraum, bestehend aus Kanton und Gemeinden, aktiver und attraktiver zu gestalten. Wir können immer noch in unsere Infrastruktur, Bildung/ Tagesstrukturen und Umwelt/ Landschaft investieren und damit neue Wege gehen.
Den Schwyzer Gemeinden geht es eh gut. Einige konnten auf 2022 hin die Steuern senken. Aber nur vom Kanton heisst es, er schwimme im Geld? Den Schwyzer Gemeinden geht es grossmehrheitlich gut, weil einerseits die Gemeinderäte mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln sehr sorgfältig und haushälterisch umgehen und andererseits die Einwohner an den Gemeindeversammlungen den politischen Behörden auch auf die Finger schauen. Einige Gemeinden könnten aber durchaus noch über etwas mehr Mittel verfügen. Was schlagen Sie als Lösung vor? Wir sollten die Fragestellungen rund um den indirekten Soziallastenausgleich schneller angehen und eine offenere Kommunikationskultur pflegen. Allenfalls müssten der Regierungsrat und die Gemeinden eine entsprechende Arbeitsgruppe ins Leben rufen, um nach neuen Lösungsansätzen zu suchen. Die Corona-Pandemie hat die Gesellschaft stark durchgeschüttelt und Gräben geöffnet. Täuscht es, oder konnten sich die Gemeinden schön aus den Konflikten heraushalten? Wir haben uns nicht schön aus dem Konflikt rausgehalten. Die politischen Behörden der Gemeinden stehen immer an vorderster Front. Die Gemeinden konnten während der Pandemie mit viel Fingerspitzengefühl viele schwelende Konflikte abfedern und die entsprechenden Auswirkungen häufig etwas mildern. Wie waren die Gemeinden betroffen?
So wie jeder von uns, aber auf vielfältige Weise, und trotzdem mussten wir alles am Laufen halten. Das gelang den Gemeinden gut. Insgesamt hätte ich mir aber gewünscht, dass die Gesellschaft solidarischer gewesen wäre und wir uns vor allem auch den jungen Menschen mehr gewidmet hätten. Rechnen die Gemeinden mit Langzeitfolgen etwa wegen des Long-Covid-Problems, das noch nicht gelöst ist? Es könnte ja mehr wirtschaftliche Sozialhilfefälle geben?
Bis jetzt sehen wir keine diesbezüglichen Tendenzen.
Ziehen Sie auch Positives aus der Corona-Krise? Für die Gemeinden, für sich und/oder die Gesellschaft als Ganzes? Viele persönliche Kontakte ha-ben mir gezeigt, wie wichtig es ist, verschiedensten Menschen oder Gruppen zuzuhören und dann gemäss deren Anliegen nach Lösungen zu suchen. Es war wichtig, dass wir uns entlang den Realitäten bewegten, keine Panik verbreiteten und wenn immer möglich darauf achteten, dass die sozialen Begegnungen in vielfältiger Weise möglich waren. Dadurch ist in vielen Gemeinden etwas zusammengewachsen. Dies ist sicher positiv.
Und Negatives?
Wir müssen auch wahrnehmen, dass wir während der Pandemie das Zutrauen von Menschen verloren haben. Spaltungen hat es gegeben, und hier dürfen wir nicht wegschauen. Hier müssen wir den Mut haben, einen Schritt auf diese Menschen zuzugehen und wieder Vertrauen zu schaffen.
Er sieht Grenzen des Milizsystems erreicht: Der Präsident des Verbands Schwyzer Gemeinden und Bezirke, Martin Wipfli. Foto: Jürg Auf der Maur