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ZWISCHENLUEGETEN 3

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ERNST FRIEDLI

Meine Grossmutter brauchte es immer, wenn sie mich meinte. Sie nannte mich bis zu ihrem Able-ben nur «Ernstli», was für mich selbstverständlich war, da sie die Katze auch «Mauzli» oder den Hund «Foxli» nannte. Als Kleinkind war ich nämlich, wie Mauzli und Foxli auch, deutlich kleiner als meine Grossmutter. Als ich dann vom Kind (Ernstli) nach dem Stimmbruch zum Jungmann (Ernst) herangewachsen war, lebte meine Grossmutter bereits nicht mehr. Das hat mögliche Spannungen zwischen meiner unstabilen Hormonlage und der grossmütterlichen Zuneigung auf natürliche Art erübrigt. Allerdings hätte ich ihr liebevolles «Ernstli» vermutlich noch länger geduldet. Wir haben uns nämlich immer gut verstanden.

Genügend Jahre nach dem Stimmbruch bin ich dann meinem Klärli begegnet. In ihrem Pass steht als Vorname zwar «Klara ». Aber als ich sie damals im Tanzkurs beim Foxtrott vorsichtig fragte, wie sie heisse, sagte sie mit einem unvergesslichen Lächeln, sie sei «s’Klärli». Dabei blickte sie mir mit einer bezaubernden Intensität in die Augen, was dazu führte, dass der Foxtrott nicht unser letzter blieb. Seither ist Klärli für mich und für alle, die sie kennen, «s’Klärli» geblieben. Auch wenn seit unserem Tanzkurs volumenmässig da und dort einiges hinzugekommen ist.

Ich kann mir nicht vorstellen, sie passkonform einfach «Klara» zu nennen. Höchstens bei todernsten Dingen. Umgekehrt wis-sen wir unterdessen beide: Sollte Klärli mich je «Ernstli!» rufen, dürfte ein echter Ernstfall vorliegen. Ich würde vermutlich mit «Ja, Klara?» antworten.

* Ernst Friedli, 64, seit 31 Jahren verheiratet mit Klärli, geborene Schönbächler. Nichtraucher und Sachbearbeiter im Rathaus, steht unter Amtsgeheimnis. Macht sich in der Freizeit Gedanken zur Weltlage und spürt genau, wann ein Diminutiv keiner

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