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«Überlebensfragen damals und heute»

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SEITENBLICK: MILITÄR UND MILIZ

FRITZ KÄLIN

Sommer 1939 – es wird schon keinen Krieg geben!

Im Chärnehus konnte vom 19. Dezember bis 6. Februar die Ausstellung «Leben und Überleben. Einsiedeln 1939 bis 1945» besichtigt werden. In Interviews erzählten Zeitzeugen, dass selbst am Tag der Generalmobilmachung Ende August 1939 manche Leute nicht mit einem Krieg rechneten. Was rückblickend naiv wirkt, war damals zynischer Realismus. Damit es Krieg gibt, braucht es nicht nur einen Aggressor, sondern auch jemanden, der sich ihm entgegenstellt. Adolf Hitler hatte bis dahin ohne militärische Gegenwehr das Rheinland remilitarisiert, war in Österreich, ins Sudetenland und schliesslich in die ganze Tschechoslowakei einmarschiert. Am 1. September 1939 überfiel er auch Polen. Wieso sollten England und Frankreich für ein damals diktatorisch regiertes Polen einen Krieg riskieren? Doch diesmal erklärten sie Hitler den Krieg – was sogar ihn überraschte. Aber weil die Alliierten nur passiv in Frankreich aufmarschierten, ging Polen alleine kämpfend unter.

2022 – es wird schon keinen Krieg geben Während das Chärnehus an den letzten grossen Krieg erinnerte, berichten die Medien täglich von Truppenaufmärschen im heutigen Euro-pa. Russland, das seit 2014 Teile der Ukraine militärisch in seiner Gewalt hält, bedroht jetzt auch die «restliche » Ukraine. Die Nato, das mächtigste Militärbündnis der Welt, verstärkt nur auf ihrem eigenen Gebiet ihre Truppenpräsenz. Und wie im Sommer 1939 sind auch heute intelligente Leute davon überzeugt, dass es keinen Krieg geben wird. Die Ukraine ist weder neutral noch Mitglied der westlichen Bündnisse. Wenn sie sich nicht verteidigen würde, gäbe es keinen Krieg – aber was für einen Frieden?

2032 – es wird schon keinen Krieg geben

Und wie viel sicher fühlen sich Staaten, die EU- und Nato-Mitglied sind? Beispiel Litauen: Das kleine baltische Land hat letztes Jahr die kommunistische Volksrepublik China erzürnt, weil es in Vilnius eine taiwanesische Handelsvertretung eröffnete. Seither drangsaliert China Litauen wirtschaftlich. Vor 2014 war auch die Ukraine «nur» wirtschaftlichem und politischem Druck aus Russland ausgesetzt. Als Moskau seine Ziele damit nicht erreicht hatte, setzte es seine seit 2008 konsequent modernisierte Armee in Bewegung. China rüstet seit Jahrzehnten massiv

«Wenn sie sich nicht verteidigen würde, gäbe es keinen Krieg – aber was für einen Frieden?»

auf. Schon in zehn Jahren könnten chinesische Kriegsschiffe im Atlantik oder im Mittelmeer so regelmässig patrouillieren, wie es heute die US Navy vor Chinas Haustüre tut. Werden unsere europäischen Nach-barn bis dann militärisch wieder ernst genommen? Die SP Schweiz will jedenfalls, dass die Schweiz nach 2030 keine modernen Kampfflugzeuge mehr besitzt.

Auf wen kann sich die Schweiz verlassen?

Nochmal zurück ins Jahr 1939. Jeder dachte, wenn Hitler die Schweiz angreifen würde, stünde ihr die im Ersten Weltkrieg siegreiche Französische Armee bei. Ein Jahr später war die Grande Nation besiegt.Auch im 21. Jahrhundert verlassen sich seriös regierte Länder nicht blind auf andere Mächte. Nicht, weil sie ihre eigene militärische Abwehrkraft überschätzen, sondern weil sie sich nur auf die eigene Armee wirklich verlassen können. Im Aktivdienst 1939/45 standen die Sozialdemokraten weiter unbeirrt zur Verteidigung der Schweiz, als viele nach Frankreichs Niederlage jeden weiteren Widerstand gegen Hitler für zwecklos hielten. Ein stolzes Erbe, das die heutige SP leider nicht mehr pflegt.

Dr. phil. I Fritz Kälin, geboren 1986 in Einsiedeln, Matura an der Stiftsschule Einsiedeln 2005. Anschliessend Lizentiat/Doktorat an der Universität Zürich 2012/2016. Kälin ist Experte für Sicherheitspolitik und Militärgeschichte und im militärischen Rang als Fachoffizier (Hauptmann) tätig.

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