Proteste vor der Haustür von Regierungsrat Michael Stähli
Jetzt kreuzen Massnahmengegner auch in der Schweiz am Wohnsitz von Politikern auf. Betroffen ist der Schwyzer Bildungsdirektor Michael Stähli.
KARI KÄLIN / JÜRG AUF DER MAUR
In Deutschland veranstalten Massnahmengegner seit einigen Wochen sogenannte Corona- Spaziergänge, die auch schon zu Häusern von Politikern geführt haben. Diese Art des Protests ist jetzt auch in der Schweiz angelangt, in der man doch stolz darauf ist, dass so-gar Mitglieder des Bundesrats im Tram zum Büro fahren und Politikerinnen und Politiker privat nicht behelligt werden.
So versammelten sich am Montagabend rund zwanzig betroffene Eltern vor dem privaten Wohnsitz von Bildungsdirektor Michael Stähli (Die Mitte) im schwyzerischen Lachen, um gegen die Maskenpflicht an der Schule zu protestieren.
Die Versammlung verlief zwar ohne weitere Zwischenfälle, sie ist in dieser Art aber ein Novum. Vor der Eingangstür des Regierungsrats wurden verschiedene Zettel deponiert. «Hände weg von unseren Kindern», hiess es etwa oder «Bitte lassen Sie uns frei atmen».
Für Experte «neuartige Entwicklung» in der Schweiz
Regierungsrat Michael Stähli, der nicht zuletzt mit Interviewaussagen zu einer Demonstration in Schwyz von vergangener Woche den Zorn der Gegner und Gegnerinnen der Maskenpflicht auf sich zog, hält den Ball flach. «Ich kann bestätigen, dass die erwähnte Kundgebung stattgefunden hat. Weitere Einzelheiten kommentiere ich nicht.» Ein Polizeisprecher sagte, es lägen keine Hinweise auf strafbare Handlungen vor. Stähli stell-te schon vor der Protestaktion in Aussicht, die bis Ende Februar installierte Maskenpflicht laufend zu überprüfen und vielleicht schon vorher aufzuheben.
Der Schwyzer SVP-Nationalrat Marcel Dettling sprach am letzten Freitag noch persönlich bei Stähli vor, um ihn zu einer sofortigen Aufhebung der Maskenpflicht an der Schule zu bewegen.
Dass sich diese Woche nun Demonstranten vor dem Anwesen des Regierungsrates dafür stark machten, findet Dettling falsch: «Das passt nicht zur Schweiz. Auch Magistratspersonen haben ein Anrecht auf Privatsphäre. » Eine Unmutsbekundung direkt vor der Haustür: Das sei in jedem Fall eine «neuartige Entwicklung für die Schweiz», sagt Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften.
Baier stuft den Vorfall trotz friedlichen Verlaufs als «bedenklich » ein. Auch wenn die Massnahmenkritiker das möglicherweise nicht beabsichtigt hätten, werde indirekt durchaus eine Drohung ausgesprochen, die sage: «Wir wissen, wo du wohnst; du kannst dich nicht sicher fühlen.» Aus seiner Sicht sei das Verhalten klar zu verurteilen. «Massnahmengegner haben sich an die in einer Demokratie vorgesehenen Wege der Bekundung von Protest zu halten und dürfen nicht derart ins Private eindringen.» Immer mehr Drohungen gegen Politiker Bei vielen Menschen liegen die Nerven wegen der Pandemie blank. Nicht immer verhalten sie sich gewaltfrei wie bei der Aktion in Lachen. Als die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli im August einen Impfbus einweihte, wurde sie von einem Mann attackiert, der Apfelschorle über sie schüttete. Sie sei «total erschrocken» und habe so etwas noch nie erlebt, sagte Rickli.
Eine Zielscheibe von Hass ist Bundesrat Alain Berset. Eine «Arena»-Diskussion mit ihm stand Ende August unter Polizeischutz. Mitglieder des Bundesrats, des Parlaments, der öffentlichen Verwaltung und der kantonalen Regierungen sind in der Pandemie vermehrt Drohungen ausgesetzt.
Im vergangenen Jahr zählte das Fedpol 1215 Drohungen (2020: 885). In 120 Fällen (2020: 64) erwies sich das Eskalationspotenzial als so gross, dass das Fedpol zum Beispiel die Gefährder aufsuchten oder Strafanzeige erstatteten.