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«Ein trainierter Körper erträgt viel»

«Ein trainierter Körper erträgt viel» «Ein trainierter Körper erträgt viel»

Vor 50 Jahren gewannen die Einsiedler Alois und Alfred Kälin bei Olympischen Spielen überraschend Bronze

Olympia in Peking hat begonnen. Auch Sportler aus der Region jagen nach Medaillen. Ob sie aller-dings so eine Sensation schaffen wie vor 50 Jahren Alfred und Alois Kälin in Sapporo, wo sie in der 4×10-Kilometer-Langlauf- Staffel Dritte wurden, bleibt abzuwarten. Der überraschende Erfolg der Einsiedler ist und bleibt legendär. Bis heute.

WOLFGANG HOLZ

«Häsch Du das Schächteli no?» fragt Alfred Kälin und blickt freudig auf den quadratischen, blauen Karton, in dem sein früherer Staffelkollege Alois Kälin seine Bronze-Medaille aufbewahrt hat. Als die beiden ihre sportlichen Auszeichnungen auf den Redaktionstisch im «Einsiedler Anzeiger » ausbreiten, fällt dem Jüngeren der beiden Langlauf-Legenden sofort auf, dass auch das Band, an dem die Medaille des anderen hängt, länger ist als seines. «Ich habe es anders befestigt », erklärt Alois Kälin.

Olympiasieger abgehängt

Obwohl die beiden Bronze-Medaillen nicht mehr so hell glänzen wie vor 50 Jahren – ihr Erfolg strahlt auch in unsere Tage. Denn dass am 13. Februar 1972 das Unglaubliche geschah, und die beiden Einsiedler zusammen mit Albert Giger und Edi Hauser in der 4×10-Kilometer-Langlaufstaffel in die Phalanx der Skandinavier einbrechen und hinter Russland und Norwegen Dritte werden konnten, klingt noch heute so sensationell wie damals. Es war die allererste olympische Medaille einer Staffel für die Schweiz.

«Ich sehe immer noch Edi Hauser als Schlussläufer im Langlaufstadion in Sapporo – wie er damals dem Schweden und frischgebackenen Olympia- Sieger Sven-Ake Lundbäck auf den letzten Metern davonzog », erinnert sich Startläufer «Fredel» Kälin (73) spontan. Und «Wisel» Kälin vergisst nie, dass er an diesem Tag einen glücklichen Griff in die Wachskiste machte und «ich kurz vor dem Wettkampf noch mit einem weicheren Blau nachwachste. Jeder von uns hat ja damals seine Skier selbst präpariert», sagt der 82-Jährige, der als Staffeldritter ins Rennen ging.

Volksfest in Einsiedeln

Sie hatten zwar lange nicht so viele Loipenkilometer und Wettkämpfe vor Sapporo wie ihre skandinavischen Kontrahenten heruntergespult, aber sie seien alle gut in Form gewesen. «Und es war keiner vor dem Rennen gesetzt, es gab Ausscheidungsrennen vor Ort», betont Alfred Kälin. «Trotzdem war es natürlich ein sehr überraschender Erfolg für alle», geben die Beiden 50 Jahre später bescheiden zu.

Ihr Erfolg lockte allerdings die Massen in Einsiedeln auf die Strassen und sorgte für grosse Begeisterung. Quasi zum Volksfest wurde ihr Empfang auf dem Klosterplatz, wie es ein Foto von den Beiden, wie sie am Marienbrunnen stehen, im «Einsiedler Anzeiger» dokumentiert. «Wir waren mit einem Extra-Zug von Zürich nach Einsiedeln gekommen», erzählt der 73-Jährige. Eine Rado-Uhr als Geschenk

FinanziellprofitierthabendieEinsiedler von ihrem Sensations-Erfolg dagegen kaum. «Als Versicherungsagent für Pensionskassen war die Medaille für mich sicherlich ein Türöffner», räumt Alfred Kälin ein. Aber sonst sei ausser der Rado-Uhr, die sie geschenkt bekommen haben, und die er immer noch stolz am Handgelenk trägt, nicht viel gewesen. «Mir hat der Erfolg sicher geholfen, mit den Skifirmen besser zusammenarbeiten zu können», erwähnt der frühere Offsetdrucker Alois Kälin, der von 1976 bis 2019 sein Sportgeschäft, zuletzt gegenüber des Bahnhofs, betrieben hat.

Ihr Edelmetall sorgte auf jeden Fall dafür, dass der Langlauf in der Schweiz nun vollends boomte. Mit einem gewissen Schmunzeln schaut man sich heute noch gerne jenes Schwarz-Weiss-Filmchen aus den 70er-Jahren an, in dem Alois Kälin die Besonderheiten des Skilanglaufs und der Ausrüstung erklärt und dann im lupenreinen Diagonalschritt den Hang hochsticht, während ihm eine junge Frau, die mitten im Schnee steht, bewundernd zusieht. Fast wie Rotkäppchen im Wald.

«Früher traf man ja gar keine Frauen beim Langlauf, heutzutage sieht man geradezu viele junge Frauen auf der Loipe», bemerkt Alfred Kälin – und beschreibt ein auffälliges Phänomen, was in all den Jahren nach ihrem Sapporo-Erfolg im Langlauf an Neuem entstanden sei: Langlauf sei heute zum absoluten Breitenfitness-Sport geworden. Und auch zum Business.

Skaten beide gerne

«Wäre man nur weiter im Diagonalschritt gelaufen, hätte dies den Tod des Langlaufs bedeutet », bekennt Alois Kälin. Stich-wort Skating. Auch die beiden Kälins im Seniorenalter haben Gefallen am flotten Schlittschuhschritt gefunden. «Skaten macht schon Spass.» Es muss ja nicht immer volle Pulle sein. «Gerade die Schwedentrittloipe ist fürs Skating schon recht streng», räumt «Fredel» Kälin ein. Ausserdem seien die Rennläufer heutzutage viel schneller unterwegs als früher. Wegen der leichteren Kunststoff-Skier. Wegen der viel härteren Schneeunterlage, die durch Pistenmaschinen bearbeitet wird. Und wegen der stärkeren Athletik der Sportler.

«Wir trainierten früher nur für die Beine, die Langläufer tun heute viel mehr für die Arme. Auch die Grundschnelligkeit ist höher», analysiert «Wisel» Kälin. Nicht zuletzt verursachten die Streckenführungen die höheren Geschwindigkeiten. «Die Läufer brettern ja teils mit 60, 70 Sachen die Abfahrten hinunter, da wird es ziemlich anspruchsvoll in den Kurven», so Alois Kälin. Mit dem «Sprint» können sie allerdings nicht viel anfangen. Das habe zu wenig mit Langlaufen zu tun.

Talent, Wille, Organkraft

Und jetzt in Peking? Werden Schweizer Langläufer auch wieder Medaillen holen wie die beiden Einsiedler anno 1972? Wohl kaum. «Dario Cologna ist ein Ausnahmetalent gewesen, hat aber seine beste Zeit wohl gehabt », sagt der 73-Jährige. Insgesamt gebe es in der Schweiz im Vergleich zu den skandinavischen Ländern halt einfach eine zu geringe Grundbasis an Läufern. Langlauf habe im Vergleich zu Ski Alpin einen viel geringeren Stellenwert. «In der Schweiz sind es vielleicht 200 bis 300 Läufer, in Norwegen sind es Tausende», so Alois Kälin. Für einen guten Langläufer brauche es Talent, Wille und Organkraft. «Wir hat-ten damals das Glück, als relativ normale Menschen das zu erreichen, was wir erreicht haben», sagt der 82-Jährige.

Beide noch fit

Und nicht nur das. Wenn man Alfred Kälin mit seinen 73 Jahren und Alois Kälin mit seinen 82 Jahren anschaut, muss man bewundern, wie fit und gesund beide noch sind. Ihr Staffelkollege von Sapporo, Albert Giger, ist leider im Alter von 74 Jahren verstorben. Ist Langlaufen also tatsächlich lebensverlängernd?

«Entscheidend sind unterm Strich die Gene jedes Einzelnen, was die Gesundheit betrifft», ist Alois Kälin überzeugt. Und Gesundheit sei auch eine Glückssache. Allerdings: Wer über gute Gene verfüge und dann auch noch regelmässig trainiere, dem sei eine bessere Lebensqualität beschert. «Ein trainierter Körper erträgt viel – und wir haben im Sport alles überlebt», meint Alois Kälin. Sagts und lächelt seinen Staffelkollegen von einst vielsagend an.

«Früher traf man keine Frauen beim Langlauf, heutzutage sieht man geradezu viele junge Frauen auf der Loipe.»

Alfred Kälin

Alfred und Alois Kälin (rechts) mit ihren Bronzemedaillen, die sie vor 50 Jahren bei Olympia gewonnen haben. Foto: Wolfgang Holz

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