«Konflikte kommen immer wieder einmal vor bei uns»
Patrick Klausberger leitet das Zentrum für Asylsuchende in Bennau: «Es kommen vermehrt unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) zu uns in den Biberhof.» Drei Jugendliche gehen in Einsiedeln und ein Kind in Bennau zur Schule.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wie fällt Ihre Bilanz aus nach zwei Jahren Leitung des Asylzentrums Biberhof? Der Betrieb des Durchgangszentrums konnte in dieser Zeit konsolidiert werden. Die Zeit unmittelbar vor meinem Stellenantritt im Oktober 2019 war geprägt durch Herausforderungen der Zusammenführung zweier Asylzentren und Betreuungsteams (die Jugendlichen des Zentrums in Immensee wurden ins bestehende Zentrum der Erwachsenen integriert). Die neuen Zuständigkeiten und Rahmenbedingungen mussten neuen Realitäten angepasst werden. Mit dem Wechsel des Arbeitsorts waren auch Personalfluktuationen verbunden. Neue Mitarbeiter mussten eingeführt und Abläufe erneut etabliert werden. Jetzt verfügen wir über stabile Verhältnisse im Team: Es besteht aus 25 Mitgliedern, die 1260 Stellenprozente besetzen. Welche besondere Herausforderung stellte sich Ihnen? Eine interdisziplinäre Durchmischung des Teams ist im Vordergrund gestanden und konnte erfolgreich umgesetzt werden: Wir haben es geschafft, verschiedene Fachbereiche (Gesundheitswesen, Sozialpädagogik mit Bezugspersonensystem, Empfang, Bildung, Hauswirtschaft und Hauswartung, Verpflegung) unter einen Hut zu bringen. Eine spannende Arbeit, die ich gerne als eine positive Herausforderung bezeichnen möchte. Was hat sich als schwierige Aufgabe herausgestellt? Wir haben einerseits Erwachsene und andererseits Jugendliche im Biberhof: Deren Bedürfnisse unterscheiden sich wesentlich. Jugendliche bleiben länger hier – bis zu zwei oder drei Jahre: Bei ihnen nehmen wir auch einen Erziehungsauftrag wahr. Erwachsene werden demgegenüber nach sechs bis neun Monaten auf die Gemeinden verteilt. Das Zusammenleben stellt sich nicht immer ganz einfach dar: Es mag vorkommen, dass immer wieder einmal Spannungen zwischen Jugendlichen und Erwachsenen ausbrechen: Letztere verstehen es bisweilen nicht so gut, dass Jugendliche von zusätzlichen Integrationsmassnahmen wie Vereinsmitgliedschaften profitieren können. Wogegen eine Mitgliedschaft in einem Verein bei dem kurzen Verbleib der Erwachsenen und Familien wenig Sinn macht. Ebenfalls stellen wir fest, dass in den vergangenen Jahren die Anzahl jener, die eine Traumatisierung erlebt haben, zugenommen hat. Viele unserer Bewohner haben Dinge erlebt, die wir uns kaum vorstellen können. Damit umzugehen ist nicht immer einfach. Für alle Beteiligten. Wo kommen die Spannungen im Alltag zum Ausdruck? Das Kochen ist ein Spannungsfeld: Erwachsene kochen selber, für Jugendliche wird gekocht (am Wochenende kochen diese selber). Es gibt nun Jugendliche, die auch lieber selber kochen würden. Wir wollen jedoch eine ungesunde Ernährung vermeiden und sicherstellen, dass auch Obst und Gemüse auf dem Essplan stehen. Auf der anderen Seite gibt es Erwachsene, die lieber nicht kochen wollen, vor allem alleinstehende Männer, bei denen die Frauen zu Hause kochen. Das Geld ist ein weiteres Spannungsfeld: Asylsuchende erhalten pro Tag 11.50 für Essen und persönliche Hygiene. Für Kleider gibt es halbjährlich einen Betrag und wir haben eine hausinterne Kleiderbörse. Da bleibt kaum Geld übrig, um einmal einen Ausflug mit den Kindern zu machen. Wie kommen Sie finanziell über die Runden? Es gibt einerseits Pauschalen, die vom Bund und vom Kanton vorgegeben sind. Auf der anderen Seite arbeiten wir mit Kostengutsprachen und Offerten. Wenn eine Integrations- oder Bildungsmassnahme angezeigt ist, dann zeigt der Kanton immer Bereitschaft, die Kosten zusätzlich zu übernehmen. Die Vorbereitung auf die Gemeinde ist ihm sehr wichtig. Wenn wir Anschaffungen von über 500 Franken haben, dann müssen wir eine Kostengutsprache vom Kanton einholen und sehr gut begründen, weshalb diese Ausgaben gerechtfertigt sind. Manchmal ist ein teureres Objekt billiger als ein Billiges: Nicht alle Asylsuchenden bringen einen sorgfältigen Umgang mit Geräten mit. Wie ist der rechtliche Status der Asylsuchenden? Bei den Meisten ist das Verfahren bereits abgeschlossen: Sie sind Flüchtlinge oder vorläufig Aufgenommene. Seit der Einführung der beschleunigten Asylverfahren haben wir nur noch wenige Bewohner mit einem offenen Asylverfahren. Die Beiständin der jugendlichen Asylsuchenden ist beim Schwyzer Amt für Migration angestellt, erfüllt aber die regulären Aufgaben wie die Beistände der Kesb. Wie viele Menschen leben derzeit im Asylzentrum Biberhof? Die Kapazität ist bei 60 Personen definiert. Derzeit beherbergen wir 61 Personen. Bei uns leben aktuell vier Familien und 25 unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA). 31 Leute kommen aus Afghanistan, 18 aus dem Irak, 3 aus Somalia, 2 aus Tibet und je 1 Person aus Syrien, Pakistan, Guinea, Ägypten, Nigeria, Marokko und Algerien. Wie entwickelt sich die Zahl der Asylsuchenden? Die Zahl ist aktuell leicht ansteigend – nachdem sie eher stagniert hat im letzten Jahr: Die Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass Grenzen dicht gemacht wurden. Die jetzt leicht ansteigende Zahl ist nicht zuletzt der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan geschuldet. Gut möglich, dass aufgrund der Vorkommnisse in der Türkei und in Belarus Leute aus diesen Ländern zu uns flüchten werden. Auch der jüngst ausgebrochene Bürgerkrieg in Äthiopien könnte dafür sorgen, dass Leute dieses Land verlassen werden. Auf der anderen Seite kommen kaum mehr Flüchtlinge aus Eritrea zu uns: Dafür verantwortlich könnte sein, dass früher Kriegsdienstverweigerung ein Asylgrund gewesen ist und heute nicht mehr. Mit welchen absolvierten Ausbildungen kommen die Menschen zu Ihnen?
Das ist ganz unterschiedlich: Vom Analphabeten bis zum Hochschulabsolventen ist alles dabei. Darunter finden sich Schulleiter aus Irak und Schneider oder Coiffeure aus Syrien, die in ihrem Heimatland einen kleinen Laden geführt haben. Das Ausbildungsziel bei den Kindern und Jugendlichen ist klar festgelegt: Wir wollen sie auf eine Lehre vorbereiten. Bei sehr begabten Jugendlichen ist auch eine Hochschulbildung eine Option. Inwiefern übernimmt der Kanton Schwyz mit der Inbetriebnahme des Containers im Asylzentrum Biberhof eine Vorreiterrolle? Der Schulcontainer «Motirõ» ist ein gemeinsames Projekt mit der Hochschule Luzern unter Begleitung von Safe the Children. Es handelt sich um einen Raum mit modularen Lernwelten, der von der HSLU entwickelt wurde. Die Kinder können den gesamten Raum gebrauchen und je nach Alter werden die Module unterschiedlich verwendet. Eine tolle Sache. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht mit dieser Vorreiterrolle?
Sehr gute Erfahrungen. Denn wir wissen ja nie, welches Alter die neu eintretenden Kinder haben. So können wir nun auf kreative Weise den Raum immer anpassen. Im Container haben wir zudem noch einen weiteren Schulungsraum für Erwachsene und Jugendliche. Die Beschulung, Kurse und Workshops konnten so ausgebaut werden. Die Integration der Asylsuchenden ist das A und O, auf dass später das Leben in den Gemeinden gelingen mag. Wie läuft der Alltag ab im Biberhof?
Sehr strukturiert. Schule und Aufgaben im Zentrum werden ergänzt durch Integrationsmodule: Dort werden Kenntnisse zum Schwyzer Alltag, zum Gesundheitssystem, zum Bildungssystem bis hin zur Krankenkassenabrechnung und Abfalltrennung vermittelt. Die Einhaltung der Hausordnung und ein verbindlicher Ämtliplan sind ebenfalls wichtig: Hält sich jemand nicht an die Vorgaben, zieht dies Sanktionen nach sich. Im Asylzentrum ist es den Flüchtlingen grundsätzlich nicht erlaubt, einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Der Erwerb der deutschen Sprache ist prioritär. Hingegen führt die Caritas Schweiz im Auftrag des Kantons ein Beschäftigungsprogramm für gemeinnützige Arbeiten, wie beispielsweise die Neophytenbekämpfung im Hochmoor oder die Schlagräumungen rund um die Rigi. Ebenfalls versuchen wir, einfache Reparaturen oder Instandsetzungen im Zentrum mit den Hausbewohnern durchzuführen. Wo gehen die Kinder und Jugendlichen in die Schule? Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren besuchen öffentliche Schulen. Neben Arth und Küssnacht besuchen sie nun auch Schulen im Bezirk Einsiedeln: die Primarschule in Bennau und die Oberstufe in Einsiedeln. Wir sind auf der Suche nach Freiwilligen: Zum einen für eine Hausaufgabenhilfe, zum anderen, um mit den Asylsuchenden spazieren zu gehen und ihnen zum Beispiel Einsiedeln zu zeigen. Inwiefern ist die Betreuung der minderjährigen Asylsuchenden anspruchsvoll? Jugendliche in der Pubertät: Das ist ja an sich schon schwierig genug … Kommt hinzu, dass die Jugendlichen oftmals lange Zeit alleine auf ihrem Fluchtweg unterwegs und vielen Gefahren ausgesetzt waren und Hunger, Krieg und Gewalt erlebt haben. Einige waren im Flüchtlingslager Moria in Griechenland, wo die Zustände fürchterlich waren. Das zu verarbeiten, braucht Zeit: Es handelt sich bei diesen Jugendlichen ja um noch nicht gefestigte Persönlichkeiten. Ihnen Grenzen setzen zu können, kann mitunter anspruchsvoll sein. Kommt es hin und wieder zu Gewaltausbrüchen im Biberhof? Konflikte kommen immer wieder einmal vor. Es sind letztlich pubertierende Teenager wie andere auch. Ausserdem ist es relativ eng bei uns: Teilweise teilen sich drei Jugendliche ein nicht eben grosses Zimmer. Als die Taliban in Kabul einmarschiert sind, lagen die Nerven bei den afghanischen Jugendlichen blank. Da kam es auch zu Schlägereien zwischen den verschiedenen Parteien. Mit Diskussionsrunden, psychosozialer Beratung und Präventionsworkshops geben wir Gegensteuer. Wenn es gar nicht geht, dann trennen wir die Parteien mit einem Time-out im Durchgangszentrum Degenbalm in Morschach.
Derzeit beherbergt das Asylzentrum in Bennau 61 Personen: Es leben aktuell vier Familien und 25 unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) im Haus. 31 Leute kommen aus Afghanistan, 18 aus dem Irak.
Fotos: Magnus Leibundgut
Seit zwei Jahren leitet Patrick Klausberger das Zentrum für Asylsuchende: «Jugendliche sind oftmals lange Zeit alleine auf ihrem Fluchtweg unterwegs und waren vielen Gefahren ausgesetzt, haben Krieg erlebt und sind im Gefängnis gesessen.»