Das Monatsgespräch im Oktober
Franziska Keller trifft Marina Ivisic, die den «Kick im Leben» liebt und dipl. Pflegefachfrau im Notfall ist
Jahrgang: 1996 Bürgerort: Einsiedeln Geburtsort: Einsiedeln Wohnort: Einsiedeln Wir verabreden uns auf der Gartenterrasse des Restaurants Bären. Schon vor meinen eigentlichen Fragen kommt unser Gespräch in einen besonderen Flow – ähnlich dem positiven Flow, der Marina so viel bedeutet und der sie in ihrem Leben bisher immer geführt hat. Marina ist hier geboren und aufgewachsen, ihre Mutter stammt aus Slowenien, ihr Vater aus Bosnien – deshalb auch ihr Nachname Ivisic, der ihr in der Primarschule manchmal zu schaffen gemacht und sie zur Ausländerin abgestempelt hat. Heute spürt sie kaum mehr, dass sie keine «Hiesige» ist, denn im Herzen ist sie eine.
Als der Kaffee ausgetrunken ist, lädt mich Marina in ihre WG im obersten Stockwerk mit Dachgarten im Haus Ilge ein, wo unsere Unterhaltung länger und über meine Fragen weit hinaus geht. Wie bist du in die neue Woche gestartet? Ziemlich aufregend, ich hatte zum ersten Mal die Schichtleitung in der Notfallstation. Wir hatten einige Nachkontrollen, Röntgen, kleine Verletzungen, aber nichts Gravierendes – das genügte für den Start. Du arbeitest also im Ameos Spital … … ja, ich habe eine Ausbildung zur diplomierten Pflegefachfrau abgeschlossen, ein Jahr auf der normalen Bettenstation gearbeitet, bevor ich in den dritten Stock wechselte, wo wir die neue Geriatrie aufbauten. Jetzt bin ich in der Notfallstation angekommen, wo ich schon immer hinwollte. Im Februar beginne ich mein Nachdiplomstudium «Notfall » und besuche eine einjährige Ausbildung zur «forensik nurse». Das klingt äusserst spannend … Was machst du da genau?
Im Studiengang «forensik nurse» erfahre ich theoretische und praktische Kenntnisse in der klinisch- rechtsmedizinischen Untersuchung von Personen nach tätlichen Auseinandersetzungen oder nach sexueller Gewalt. Dies kann mir gerade im Notfall sehr dienlich sein. Was hast du denn davor getan?
Nach der Schulzeit schloss ich meine Erstausbildung als Dentalassistentin bei Zahnarzt Dr. Spehar ab, ging danach auf Reisen, verbrachte zwei Monate in Amerika und hatte Zeit, mich mit gewissen Themen, auch aus meinem privaten Umfeld, auseinanderzusetzen. Mich faszinierte Medizin schon immer und mich beschäftigten Fragen, warum Ereignisse aus medizinischen Gründen so passieren. Weil ich das herausfinden wollte, entschloss ich mich für die Zweitausbildung zur dipl. Pflegefachfrau.
Es ist ein wunderbarer Beruf. Auch wenn ich nicht allen Menschen helfen kann, so doch wenigstens denjenigen, die auf meiner Abteilung liegen.
Ich stelle mir die Arbeit in der Notfallstation sehr anspruchsvoll vor.
Das ist sie, ja. Man weiss morgens nie, was auf einen zukommt, muss richtig reagieren, aber man ist ja nicht allein, sondern in einem Ärzte- und Pflegeteam. Psychische und physische Stabilität sind wichtige Voraussetzungen, wie auch die Grundbedingung, die Krankheiten der Patientinnen und Patienten nicht zu nah an sich herangehen zu lassen. Ich habe inzwischen gelernt, damit umzugehen. Bist du eine Person, die den herausfordernden Kick braucht? Ja, definitiv. Wenn ich zu lange frei habe, langweile ich mich und vermisse die Arbeit. Was war das Verrückteste bisher in deinem Leben? Sky diving – ich bin aus einem Flugzeug gesprungen. Mit 20 Jahren reiste ich allein durch Amerika, war häufig mit Menschen unterwegs, die ich nicht kannte, denen ich einfach meinem Bauchgefühl nach vertraute. Verrückt finde ich auch, gewisse Ausbildungen zu starten und keine Angst vor dem Leben zu haben. Du bist soeben aus den Ferien zurückgekehrt, wo warst du? Ich fuhr mit meiner Mama nach Bled, in ein kleines Städtchen mit Gletschersee und feenhafter Umgebung in Slowenien, wo wir ihre Verwandtschaft besuchten. Deine Mama ist also gebürtige Slowenien und dein Papa? Er ist in Bosnien geboren und aufgewachsen und kam als Gastarbeiter in die Schweiz. Meine Eltern haben sich dann in Rothenthurm kennengelernt, wo Papa in der Fensterfabrik arbeitete und Mama ihre Schwester besuchte. Zieht es dich nach Slowenien oder Bosnien, um deinen Wurzeln nachzuspüren? Ich bin froh, beide Länder zu kennen, da wir jedes Jahr regelmässig hinfahren und Verwandte besuchen. Ich fühle mich dort nicht als Ausländerin, da ich die Sprachen spreche. Aber ich sehne mich immer nach der Schweiz – meiner Heimat, zurück. Denn ich bin klar Schweizerin im Herzen. Was bedeutet Heimat für dich?
Ich verbinde sehr vieles mit Gerüchen: den Geruch des Klosters, der Natur, dem Wald, wenn der Regen auf den heissen Asphalt trifft … das alles ist Heimat für mich.
Aber auch, die Leute hier zu kennen, meine Freundinnen und Freunde und dass meine Eltern so nah sind. Ich bin hier schlicht dankbar und glücklich. Bist du eine «Hiesige» oder hast du es je zu spüren bekommen, keine waschechte «Hiesige» zu sein? Ich behaupte, ja, ich bin eine. Als Kind bekam ich es schon zu spüren, dass ich von auswärts bin – einfach wegen meinem -ic am Ende meines Nachnamens. Im Spital schauen mich die Patienten manchmal an und fragen mich, warum ich denn so gut schweizerdeutsch spreche. Und dann antworte ich: «Weil ich im ersten Stock dieses Spitals zur Welt gekommen bin.» Wo trifft man dich mit deinen jungen Freundinnen und Freunden hier in Einsiedeln? In einer unserer WGs, in der «Krone», im Sommer am See, mit dem Fahrrad draussen in der Natur – ich bin überhaupt sehr gerne einfach irgendwo unterwegs.
Wenn du könntest, was würdest du hier in Einsiedeln verändern? Ich weiss nicht genau, was ich vermisse. Vielleicht, dass sich die Jugend und die jungen Erwachsenen mehr aktiv am Gemeindeleben beteiligen. Verrätst du uns deine Lebensziele?
Schwierig zu sagen, weil sie sich bei mir schnell verändern. Früher wünschte ich mir, früh Mami zu werden, aber davon bin ich inzwischen abgekommen.
Nur ein Ziel weiss ich mit Bestimmtheit: bei meiner Arbeit so zufrieden und erfüllt bleiben zu dürfen, wie ich es jetzt bin. Und was ist dir wichtig im Leben?
Mein Seelenfrieden.
Foto: Franziska Keller