«Frauen, vernetzt Euch!»
Das Frauennetz Kanton Schwyz feiert sein 20-Jahr-Jubiläum am 16. Oktober in Schindellegi mit einem grossen Fest
Im Jahr 2001 wurde das Schwyzer Frauennetz gegründet. Die Co-Vizepräsidentinnen Diana de Feminis und Claudia Hiestand werfen einen Blick zurück auf das Wirken des Frauennetzes in den vergangenen zwanzig Jahren.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wie fällt Ihr Rückblick auf zwanzig Jahre Frauennetz Kanton Schwyz aus? Claudia Hiestand: Es hat sich viel verändert in dieser Zeit. Seit der Gründung des Schwyzer Frauennetzes im Jahr 2001 verfolgen wir das Ziel, Frauen zu fördern und ihren Anliegen Gehör zu verschaffen – politisch, beruflich und gesellschaftlich. Es tut sich etwas, wenn auch nur langsam. Aber Frauen holen definitiv auf.
Wie kam es zur Gründung des Schwyzer Frauennetzes im Jahr 2001? Diana de Feminis: Es existierte bereits in den Jahren vor der Gründung ein loses Netzwerk von engagierten Frauen. Die Katholikinnen hatten sich bereits im Verein «Kantonaler Frauenbund Schwyz» vereinigt. Auch in Parteien hatten sich die Frauen teils schon selbstständig organisiert. Initiiert wurde die Gründung des Frauennetzes schliesslich von der Gleichstellungskommission des Kantons Schwyz und deren damaligen Präsidentin Birgitta Michel Thenen. Vorbild waren hierfür ähnliche Netzwerke in anderen Kantonen.
Welche Höhe- und Tiefpunkte haben Sie erlebt in diesen Jahren? Diana de Feminis: Die Gleichstellungskommission hat wenig Befugnisse, zu wenig Geld zur Verfügung und wirkt beratend. Sie läuft auf Sparflamme und kann in Sachen Gleichstellung nicht viel verändern. Ursprünglich hatte ein politischer Vorstoss die Schaffung eines Gleichstellungsbüros mit einer beratenden Fachkommission gefordert, aber er scheiterte. Anfang der Zehnerjahre ist das Frauennetz in eine Krise geraten. Die Präsidentin Mona Birchler aus Einsiedeln hat dann wieder frischen Wind und mehr Farbe in das Frauennetz gebracht und neue Aspekte beleuchtet: Der Fokus des Vereins richtete sich fortan nicht nur auf Frauen in der Politik, sondern auch auf Hausfrauen und Frauen in der Berufswelt. Das Netz schaffte es fortan, Frauen zu stärken und Solidarität auszulösen. Unterdessen zählt das Frauennetz über 300 Mitglieder – mit einer steigenden Tendenz.
Welche Ziele setzte sich das Frauennetz Kanton Schwyz vor zwanzig Jahren? Diana de Feminis: Ein hauptsächliches Ziel war es, Frauen in der Politik sichtbar zu machen. Es ging darum, Kandidatinnen für politische Ämter zu unterstützen, ihnen Hilfe in ihrem Wahlkampf zukommen zu lassen. Das Ziel, mehr Frauen in die Politik zu bringen, ist leider verfehlt worden: Vor zwanzig Jahren gab es 15 Kantonsrätinnen, heuer sind es noch elf. In den Nullerjahren war demgegenüber ein Viertel des Parlaments Frauen. Im Schwyzer Regierungsrat, in den Bezirks- und Gemeinderäten sieht es kaum besser aus.
Wieso machen sich Frauen im Kanton Schwyz rar in der Politik? Claudia Hiestand: Das ist ein äusserst vielschichtiges Problem. Zum einen hat es mit der Art und Weise zu tun, wie die politischen Parteien Kandidaten rekrutieren: Sie geben zu rasch auf, wenn eine Frau abwinkt. Die Parteien müssten hartnäckiger sein. Es liegt aber auch an den Frauen selber: Sie haben mehr Selbstzweifel als Männer, trauen sich das Amt gar nicht erst zu. Hinzu kommt, dass es für eine Frau schwierig sein kann, Beruf, Politik und Familie unter einen Hut zu bringen. Manchmal mag es an Details liegen: Es ist ungünstig für Frauen, dass der Kantonsrat immer mittwochs tagt, weil der Mittwochnachmittag schulfrei ist und die Kinder dann zu Hause sind. Eine Verschiebung der Kantonsratssitzung auf einen anderen Tag wurde vom Parlament abgelehnt.
Welche Rolle spielt der viel beschworene Stadt-Land-Graben? Im Zürcher Regierungsrat sind die Frauen in der Mehrheit. Diana de Feminis: Schwyz kann man in der Tat kaum mit Zürich vergleichen, sondern vielmehr mit dem Kanton Thurgau, in dem der Frauenanteil im Parlament ähnlich gering ausfällt. In ländlichen Regionen ist nach wie vor eine traditionelle Vorstellung in der Gesellschaft vorhanden, in der die Rollen von Frau und Mann wie früher verteilt sind. Noch in vielen Köpfen steckt hierzulande die Vorstellung, dass eine Frau an den Herd und nicht in einen Ratssaal gehört. Überraschenderweise hinkt auch unser Nachbarkanton Zug beim Frauenanteil in der Politik hinterher, obwohl dieser doch um einiges urbaner daherkommen mag als Schwyz.
Welche Forderungen stellt das Netz in diesen Zeiten? Claudia Hiestand: Die Forderungen sind ähnlich wie vor zwanzig Jahren: Unter anderem braucht es mehr und vor allem bezahlbare familienergänzende Betreuungsmöglichkeiten. Der Staat müsste hier aktiver werden. Und: Netzwerken ist wichtig. Vitamin B ist wesentlich, um an einen Job zu kommen. Was Männer dank Militär, Vereinen, Service-Clubs und dem Stammtisch seit Urzeiten machen, müssen auch Frauen vermehrt tun: Networking betreiben. Wie gelangen Männer in einen Verwaltungsrat? Sie werden von einem Freund oder einem Kollegen nachgezogen.
In welchen Bereichen hapert es immer noch in Sachen Gleichberechtigung im Kanton Schwyz? Diana de Feminis: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie lässt nach wie vor zu wünschen übrig im Kanton Schwyz: Sobald die Kinderfrage auftaucht, werden traditionelle Rollenmuster wach. Wer reduziert sein Arbeitspensum, wenn das Kind da ist? Meistens ist das die Mutter, der Vater bleibt bei seinen hundert Prozent. Aber man muss auch einen langen Atem haben: Im Herbst 2022 kommt im Kanton Schwyz die Kinderbetreuungsinitiative zur Abstimmung. Und es gibt neuerdings Frauen an der Spitze der Schwyzer Kantonalbank oder des «Boten der Urschweiz ». Sind gleiche Löhne für Frau und Mann bereits erfüllt?
Diana de Feminis: Es gilt doch festzuhalten, dass in dieser Frage eine gewisse Sensibilisierung stattgefunden hat: Für dieselbe Arbeit erhalten Frauen oftmals den gleichen Lohn wie Männer. Das Hauptproblem liegt darin, dass Frauen des Öftern in Berufen arbeiten, in denen sie weniger verdienen. Die Schweiz gehört zu denjenigen Ländern, in denen es noch klassische Frauen- und Männerberufe gibt. Wie könnten Frauen gefördert werden, auf dass sie den Weg in männerdominierte Berufe finden können?
Diana de Feminis: Indem man die Mädchen bereits früher abholt, ihnen schon in der Primarschule Berufe vorstellt, die für sie offen sein können. Naturgemäss ist das Vorleben der Eltern gleichsam matchentscheidend. Dass Frauen auch in die Politik kommen, hierfür ist ein Mentoring- Programm überaus hilfreich.
Was halten Sie davon, eine Frauenquote in der Politik einzuführen?
Claudia Hiestand: Als eine vorübergehende Lösung finde ich das durchaus angebracht – und zwar sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft. Ist die Quote erst einmal erreicht, braucht es sie nicht mehr: Weil sie dann selbstverständlich geworden ist.
Auch in der Teppichetage der Schwyzer Wirtschaft sind Frauen Mangelware. Woran liegt das? Diana de Feminis: Wer will in der heutigen Zeit als CEO 150 Prozent arbeiten müssen? Meist sind das Männer. Nun kommt die Babyboomer-Generation in Pension, und der Fachkräftemangel akzentuiert sich. Höchste Zeit, Job-Sharing auch in Führungsfunktionen einzuführen. Es ist doch nicht mehr zeitgemäss, sein ganzes Leben für einen Job draufzugeben und am Schluss in ein Burnout zu geraten. Es ist an der Zeit, für CEOs flexiblere Arbeitsstrukturen zu schaffen. Die Männer leiden ja selber unter den übervollen Arbeitspensen.
Haben Frauen ein geringeres Interesse, Macht auszuüben – im Gegensatz zu den Männern? Diana de Feminis: Die Erfahrung zeigt, dass die Frauen früher im Haus die Macht gehabt haben. Ich glaube nicht, dass Männer an sich mehr Macht ausüben wollen als Frauen. Doch Männer definieren sich selbst sehr über den Job und leiten Macht direkt via ihre Stellung im Berufsleben ab. Frauen sind womöglich eher sozialer eingestellt, weniger aufs eigene Ego ausgerichtet und mehr an Freundschaften interessiert. Vielleicht zeigen Frauen einen anderen Umgang mit Macht auf: Dass man auch lustvoll mit Macht umgehen kann.
Kämpft das Frauennetz gegen die Erhöhung des Pensionsalters bei den Frauen? Diana de Feminis: Nein, das ist nicht der Fall. Ich persönlich bin dafür, dass Frauen bis 65 Jahren arbeiten sollen – wie die Männer. Wichtig wäre es vielmehr, dass Benachteiligungen der Frauen bei der Altersvorsorge gestoppt würden: Frauen mit kleineren Arbeitspensen erleiden Einbussen. Für Arbeitnehmende in Teilzeit wirkt sich der Koordinationsabzug negativ aus. Wie verhält sich das Frauennetz zu Organisationen, in denen Frauen gar nichts gelten? Claudia Hiestand: Sie meinen die katholische Kirche? Der Kantonale Frauenbund kämpft für die Gleichberechtigung in der Kirche. Und bezüglich des Kantons Schwyz: Im kommenden Jahr feiern wir 50 Jahre Frauenstimmund -wahlrecht auf kantonaler und kommunaler Ebene. Zum einen mit einem Frauenparlament am 5. März im Rathaus zu Schwyz, in dem wir Kräfte bündeln und positive Energie schaffen wollen. Zum anderen mit einem Schwyzer Heft über Frauen: Unter anderem wirken an dieser Schrift die Journalistin Susann Bosshard-Kälin und die Historikerin Susanna Bingisser, beide aus Egg, die Historikerin Kerstin Ochsner aus Bennau und die Fotografin Fabienne Kälin aus Einsiedeln mit.
Können Sie feststellen, dass auch im Kanton Schwyz die meisten Frauen unterdessen emanzipiert sind? Diana de Feminis: Nein, das wäre verwegen anzunehmen. Emanzipation hat ja auch immer mit der Rolle zu tun, die man in der Gesellschaft innehat. Und diese Rolle ist unweigerlich mit der Arbeitswelt verknüpft: Wenn die Hälfte der Schwyzerinnen Hausfrauen sind und keiner Arbeit nachgeht, wirkt sich das auch auf den Emanzipationsgrad der Frauen aus. Ganz abgesehen davon, dass sich dank einer Integration in der Arbeitswelt eine finanzielle Unabhängigkeit ergibt. Wenn die Mutter arbeitet, hat das via Vorbildfunktion eine Auswirkung auf die Kinder, was der Emanzipation förderlich ist. Auch die meisten Männer sind noch nicht emanzipiert. Wäre es an der Zeit, dass ein Männernetz Kanton Schwyz gegründet würde? Diana de Feminis: Die Männer sind in der Tat nicht zu beneiden: Sie werden an ihrer Leistung in der Arbeitswelt gemessen. Wer da nicht mithält – oder gar sein Arbeitspensum reduziert – wird als Weichei abgestempelt. Kein Wunder, wenn auf diese Art und Weise zahlreiche Männer gesundheitliche Probleme erleiden.
Wie hat sich aus Ihrer Sicht das Verhältnis zwischen Frauen und Männer in den letzten zwanzig Jahren verändert? Claudia Hiestand: Es hat sich spürbar verbessert: Der gesellschaftliche Wandel macht sich bemerkbar, die Rollen verändern sich, Frau und Mann sind sich wohl gesinnt und begegnen sich auf Augenhöhe. Ich beobachte zumindest keinen tieferen Graben mehr zwischen den Geschlechtern. Es hat sich viel verändert seit 2001: Das deutliche Ja – auch im Kanton Schwyz – zur «Ehe für alle» spricht Bände. Die entscheidende Weichenstellung für ein Paar ist nach wie vor dann, wenn ein Kind auf die Welt kommt: Dann zeigt sich, ob anvisierte Pläne umgesetzt werden und die Frau im Erwerbsleben bleibt – oder zu Hause beim Baby.
«Es tut sich ewas, wenn auch nur langsam. Aber Frauen holen definitiv auf.»
Claudia Hiestand
«Frauen haben mehr Selbstzweifel als Männer, trauen sich ein Amt gar nicht erst zu.»
Claudia Hiestand
«Dass eine Frau an den Herd und nicht in einen Ratssaal gehört, glauben noch immer viele.»
Diana de Feminis
«Frauen sind sozialer, weniger egoistisch und mehr an Freundschaften interessiert.»
Diana de Feminis
«Frauen zeigen auf, dass man auch lustvoll mit Macht umgehen kann.»
Diana de Feminis
Die beiden Co-Vizepräsidentinnen des Frauennetzes Kanton Schwyz posieren im Klosterdorf: Diana de Feminis (links) und Claudia Hiestand.
Foto: Magnus Leibundgut