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«Vereinbarkeit von Familie und Beruf lässt zu wünschen übrig»

«Vereinbarkeit von Familie und  Beruf lässt zu wünschen übrig» «Vereinbarkeit von Familie und  Beruf lässt zu wünschen übrig»

Franz Camenzind vom Verein Tagesschule Bezirk Einsiedeln fordert die Einführung von schulergänzenden Betreuungsangeboten, die öffentlicher Natur sind: «Diese hätten ein grosses Entwicklungspotenzial und wären professioneller ausgerichtet als ein privates Projekt.»

MAGNUS LEIBUNDGUT

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie am 7. März von der Ablehnung der schulergänzenden Betreuungsangebote im Bezirk Einsiedeln erfahren haben? Ich war überrascht und konsterniert: Die Vorlage war unbestritten und wurde von sämtlichen Parteien begrüsst. Nur die RPK meldete im Vorfeld der Urnenabstimmung Vorbehalte an. Vielleicht hätte man aktiver agieren müssen, indem man zum Beispiel ein Podium organisiert hätte. Auch haben im Abstimmungskampf Statements gefehlt von Leuten, die den ganzen Prozess mit dem Konzept begleitet haben. Das Scheitern der Vorlage ist ein politischer Scherbenhaufen. Pech war wohl, dass Corona herrschte und der Abstimmungstermin in die Ferienzeit fiel: Die politische Landschaft verhielt sich träge und statisch. Die Stimmbeteiligung war ausserordentlich tief. Welche Gründe haben den Ausschlag gegeben für das Nein an der Urnenabstimmung? Das ist nicht ganz einfach zu beantworten und öffnet das Feld für allerlei Vermutungen und Spekulationen. Gut möglich, dass die Leute aus den Vierteln nicht verstanden haben, dass sich das Projekt auf das Dorf beschränkte und die Viertel zurückgestellt wurden. Hinzu kommt ein fehlender Lead in der ganzen Diskussion – wie man eine solche Abstimmung in einem doch konservativen Umfeld gewinnen kann: Viele dachten wohl, schulergänzende Betreuungsangebote brauche es nicht im Klosterdorf. Die Folgen des Neins an der Urne: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf lässt im Bezirk Einsiedeln nach wie vor zu wünschen übrig.

War die Vorlage zu teuer?

Ich glaube nicht, dass es an den Kosten in der Höhe von 250’000 Franken gelegen hatte, dass die Vorlage abgelehnt wurde. Die Kosten waren durchdacht und vorsichtig abgemessen: Man achtete behutsam darauf, dass die Vorlage finanziell nicht überladen wurde. Das ist auch der Grund dafür, dass man die Viertel vorerst in der Vorlage nicht berücksichtigte: Um die Kosten möglichst tief zu halten und dem Konzept an der Urne damit mehr Chancen einzuräumen. War das Nein der Rechnungsprüfungskommission (RPK) matchentscheidend? Die Vorbehalte der RPK gegenüber der Vorlage mögen eine Rolle gespielt haben: Die Kommission kritisierte eine Doppelspurigkeit und fehlende Wirtschaftlichkeit. Allerdings finde ich es nicht ganz lauter, wenn die RPK in ihrer Kritik Bezug auf ein privates Projekt nimmt und dieses als ausreichende Alternative bezeichnet. Gut möglich, dass auch persönliche Animositäten und ein fehlender Dialog zwischen RPK und Bezirk den Konflikt unnötig angeheizt hatten. Wieder einmal hat sich bewahrheitet, was der Volksmund im Klosterdorf sagt: Wenn die RPK Nein sagt zu einer Vorlage, hat es diese schwer an einer Urnenabstimmung.

Wurde die Vorlage vom Verein für Familien- und Jugendberatung torpediert?

Torpediert würde ich nicht sagen: Vertreterinnen des Vereins waren von Anfang an in der Arbeitsgruppe des Bezirks mit dabei und traten an der entsprechenden Bezirksgemeinde klar für die Vorlage auf. Dann gab es aber offenbar Flugblätter und Leserbriefe im «Einsiedler Anzeiger » aus jenem Umfeld, die Kritik an der Vorlage übten: Mitarbeiterinnen im Chinderhort sorgten sich um Arbeitsplätze, falls die schulergänzenden Betreuungsangebote vom Stimmvolk angenommen würden. Mit anderen Worten: In den Leserbriefen offenbarte sich ein schwelender Konflikt über eine unselige Konkurrenzsituation zwischen einem privaten Projekt eines Vereins und einem öffentlichen Projekt des Bezirks.

Wie soll es jetzt mit dem Verein Tagesschule Bezirk Einsiedeln weitergehen? Wir sind uns am Überlegen, wie es weitergehen soll: Noch ist nicht in Stein gemeisselt, ob sich der Verein Tagesschule Bezirk Einsiedeln auflösen wird. Wichtig erscheint uns eine geordnete Übergabe des berechtigten Anliegens, ein öffentliches Angebot in Sachen Schülerbetreuung zu schaffen. Wir hoffen auf ein Ja zur kantonalen Initiative «Ja zur bezahlbaren Kinderbetreuung für alle», die im Herbst 2022 zur Abstimmung kommen wird. Der Bezirk hält sich derweil zurück: Müsste dieser in der ganzen Diskussion eine aktivere Rolle übernehmen? Dem Bezirk sind wohl erst einmal die Hände gebunden: Er kann kurz nach dem Nein an der Urne nicht gleich mit einer nächsten Vorlage kommen mit einem ähnlichen Inhalt. Ein bis zwei Jahre nach einer Abstimmungsniederlage muss man schon verstreichen lassen: Sonst ist es aus der Sicht der Stimmbürger und -bürgerinnen eine Zwängerei. Ich finde es auch aus diesen Gründen nicht ganz in Ordnung, dass der Verein für Familien- und Jugendberatung bereits zum jetzigen Zeitpunkt mit einer Umfrage und Bedarfsabklärung in den Vierteln beim Bezirk vorprescht. Auffällig oft kommt es an einer Urnenabstimmung in Einsiedeln zu einer Abfuhr: Kommt darin ein Misstrauen der Politik des Bezirksrats gegenüber zum Ausdruck? Grundsätzlich vertrauen die Stimmbürger wohl der Politik des Bezirksrats, auch wenn sie nicht blind zu jeder Vorlage Ja und Amen sagen. Bei häufiger Ablehnung von Vorlagen sind die Mitglieder unserer Exekutive wach und engagiert genug, um sich die wesentlichen Fragen zu Kommunikation und Leadership zu stellen, die es im heutigen Umfeld braucht. Zudem ist der Bezirksrat gefordert in einer komplexen Situation: Einerseits fehlt es an Geld, um Infrastrukturvorhaben zu realisieren. Andererseits soll gespart werden an allen Ecken und Enden, auf dass der Steuerfuss im Bezirk Einsiedeln gesenkt werden kann. Darin kommt eine gewisse Paradoxie zum Ausdruck, in welcher der unselige Steuerwettbewerb auch eine bestimmte Rolle spielt. Würde die Einführung eines Bezirksparlaments, das dem Bezirksrat auf die Finger schauen würde, die politische Situation verbessern?

Ein interessanter Vorschlag! In der Tat könnte die Einführung eines Parlaments im Bezirk Einsiedeln zu einer Verbesserung der politischen Landschaft beitragen. Allerdings erachte ich die Chancen als eher gering, dass die Einsiedler Ja sagen würden zur Einführung eines Parlaments. Im Grunde genommen hat die RPK die Aufgabe, dem Bezirksrat auf die Finger zu schauen. Ideal wäre, wenn die Parteien paritätisch ihrer Stärke entsprechend in der RPK vertreten wären.

Ist der Verein für Familien- und Jugendberatung aus Ihrer Sicht eine undurchsichtige und widersprüchliche Organisation? Undurchsichtig und widersprüchlich als Organisation sicher nicht: In Zusammenhang mit dem Aufbau der öffentlichen schulergänzenden Betreuungsangebote stellen sich Fragen in Bezug auf die Mitarbeit in der Arbeitsgruppe wie auch in der oben erwähnten Konkurrenzsituation mit der Vorlage des Bezirks.

Halten Sie den vom Verein für Familien- und Jugendberatung geführten Chinderhort an der Fuchsenstrasse für eine valable Alternative? Für die Eltern, die jetzt dringend ein Angebot brauchen, sicher. Ein öffentliches Betreuungsangebot kann aber damit nicht verglichen werden: Dieses hätte ein grosses Entwicklungspotenzial und wäre professioneller ausgerichtet als ein privates Projekt. Aufgabenhilfe und Schülerbetreuung wären zum Beispiel besser aufgehoben in einer Organisation, die nahe mit den Schulen zusammenarbeitet.

Franz Camenzind ist Vorstandsmitglied im Verein Tagesschule Bezirk Einsiedeln: «Das Scheitern der Vorlage ist ein politischer Scherbenhaufen. » Foto: Magnus Leibundgut

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