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Learning by doing

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BRIEF AUS DEN USA

Der bekannte Satz »Learning by doing» reflektiert wohl fast nirgendwo die Realität so stark wie in den USA. Dass in Amerika das Schweizer System der Berufslehren fast unbekannt ist, ist vielen Schweizern bekannt. Dass in Amerika fast alles möglich ist, stimmt tatsächlich.

Meine Tochter ist nun den ganzen Tag im Kindergarten und somit begann Mitte August für mich die klar definierte zweite Phase der Mutterschaft. Während mein Wiedereinstieg ins Berufsleben in der Schweiz mehr oder weniger im bekannten Berufsfeld stattgefunden hätte, taten sich für mich in den USA ganz neue Möglichkeiten auf.

Ich bewarb mich für eine flexible Teilzeit-Stelle bei einer Agentur, welche ungefähr die selben Dienste wie die Schweizer Spitex anbietet. In der Schweiz hätte ich für den Job als nicht-medizinische Betreuerin wahrscheinlich mindestens den Lehrgang als Pflegehelfende des Roten Kreuzes absolvieren müssen. Ich hätte 120 Stunden auf der Schulbank verbracht und anschliessend während eines Praktikums das Gelernte unter Anleitung üben können.

In den USA verläuft alles ganz anders. Ich hatte gerade mal drei Stunden Theorie, bevor ich mit meiner Mentorin zwei Stunden lang eine über 90-jährige Dame, welche einen Schlaganfall hatte, betreute. 20 Minuten nach meiner Lernschicht klingelte bereits mein Telefon und mir wurde sowohl eine Nachtschicht wie ein Einsatz bei einem Senioren, welcher Äpfel in seinem Garten ernten wollte, angeboten. Ich bestand vehement darauf, zumindest das zweite Trainingsmodul, ebenfalls drei Stunden, mit dem Hauptthema Mobilität und Sicherheit, zu absolvieren, bevor ich mit dem Rentner zusammen Äpfel pflückte.

Seither lernte ich auf meinen eigenen Wunsch hin in vier Stunden «alles» über Alzheimer und betreue alleine nun dreimal in der Woche während jeweils drei Stunden eine fast 90-jährige Alzheimer- Patientin. Ich habe also innerhalb von acht Stunden den beruflichen Umstieg geschafft. Statt diesen selbst zu finanzieren, wurde ich erst noch dafür bezahlt.

Meiner Alzheimer-Dame namens Eliana und ihrem Sohn Paul ist es egal, welche Zertifikate in meinem Bundesordner abgelegt sind. Sie sind sehr dankbar, dass ich regelmässig mit einem freundlichen Gesicht erscheine und Eliana erinnert sich mittlerweile sogar an ihre Deutschkenntnisse.

Regula Grenier

* Die Einsiedlerin Regula Grenier- Flückiger (*1973) zügelte 2007 nach Denver im amerikanischen Bundesstaat Colorado, am Fusse der Rocky Mountains. Seit 2011 wohnt sie im Nachbarort Thornton. Dort kamen 2011 Sohn Cody Frederick und 2015 Tochter Stephanie Nova zur Welt.

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