Schamlos
KOMMENTAR
Früher ging man bei Seuchen in die Kirche. Am Freitag suchten die Corona-Demonstranten mit dem Klosterplatz zwar ebenfalls die Nähe der Kirche. Aber nicht fürs Gebet, sondern fürs Bild. Mit ihrem unbewilligten Aufmarsch besetzten die (vorwiegend auswärtigen) Kundgebungsteilnehmer damit einen Ort, der symbolisch für Offenheit und Toleranz steht – aber ebenso für eine ungeschützte Verletzlichkeit.
Die Männer und Frauen taten dies zwar äusserst friedlich. Das sei ihnen unvoreingenommen attestiert; doch selbst mit ihrem friedlichen Protest missbrauchten sie die Würde des Ortes und des Ordens, der sich erklärtermassen bemüht, die Pandemievorschriften zu beachten. Diese politische Manifestation hat hier nichts zu suchen. Warum nicht auf dem Brüel, dem Paracelsuspark, in der Allmeind? Platz hätte es genügend.
Und so wirkt es einfach nur verstörend, wie etliche Corona- Skeptiker Massnahmen des Bundes als verfassungswidrig bezeichnen, gleichzeitig aber mit der grössten Selbstverständlichkeit und ohne Wimpernzucken den Klosterplatz beschlagnahmen – entgegen dem Willen der Eigentümer. Es war gerade der Friedfertigkeit des Ortes zu verdanken, dass sie niemand daran hinderte. Die Demonstranten nutzten diese Wehrlosigkeit in einer Weise aus, die schamlos ist. Seite 5
VICTOR KÄLIN