Olymp der Schwinger fällt leider aus
Warum der Brünigschwinget eine so grosse Faszination ausübt
Wegen der Coronapandemie musste der Brünigschwinget vom nächsten Sonntag abgesagt werden. Letztmals ist der Bergklassiker 1940 infolge der Generalmobilmachung ausgefallen. In noch früheren Jahren verhinderten die Maulund Klauenseuche und andere Gründe die Durchführung.
WERNER SCHÖNBÄCHLER
Am letzten Sonntag im Juli trifft sich die Schwingerwelt normalerweise auf dem Brünig, der Wasserscheide zwischen den Kantonen Obwalden und Bern. Seit gut einem Jahrhundert ist der Brünigschwinget einer der Höhepunkte in der Agenda eines jeden Schwingerfreundes. Bei näherem Zuschauen stellt sich der Brünigschwinget als Gesamtkunstwerk heraus. So exklusiv ist der Bergklassiker, dass sämtliche Eintrittskarten auf Jahre hinaus ausverkauft sind.
Der Brünigschwinget lässt sich nicht mit anderen Sportveranstaltungen vergleichen. Geld spielt hier nicht so eine grosse Rolle, und die Schwinger sind keine Berufssportler. Nur routinierte Frühaufsteher sind in der Lage, das Gesamtkunstwerk Brünigschwinget mitzuerleben. Gesamtkunstwerk? Ja, weil hier etwas vor sich geht, das den engen Begriff Sport weiter hinter sich lässt. Hier wird nicht nur geschwungen, sondern auch gejodelt, Alphorn geblasen und es fliegen Fahnen durch die Luft. Schon um halb fünf marschieren die ersten der rund siebentausend Stammgäste zur natürlichen Arena, um sich auf den Stufen den seit Jahren gleichen Platz einzurichten. Um Viertel vor sechs läuft es in der Schwingerbeiz wie in einer gewöhnlichen Wirtschaft am Wochenende. Durch die Morgenluft zieht ein Duft von Kaffee und Schnaps, Brissago und Bratwurst, und vielerorts wird schon Karten gespielt.
Punkt acht Uhr beginnt in der Arena das Schwingen. Von Beginn weg sind die Gänge hochkarätig, denn die hundertdreissig Schwinger, die hier mitmachen, gehören zur Elite. Die Zuschauer, die sich kaum einen Gang entgehen lassen, verstehen einiges von der Sache. Es ist eben ein Fachpublikum. Ein Schwingfest ist ein geselliger Anlass, doch im Sägemehl geht es um den Sieg des Ichs. Die Schwinger sind aber fair zueinander. Der Sieger hilft dem Unterlegenen beim Aufstehen und klopft ihm das Sägemehl vom Rücken, wie es Brauch ist.
Die Spannung unter den Zuschauern steigert sich im Laufe des Tages immer mehr. Die Dramaturgie des Gesamtkunstwerks Brünigschwinget nimmt ihren Lauf. In der Naturarena ist die Stimmung fidel, es entstehen improvosierte gemischte Chöre, die sich nicht immer tonsicher produzieren. Doch daran stört sich niemand, die Toleranz ist bemerkenswert. Und es gibt noch einen Unterschied zu landläufigen Sportanlässen. Kampfrichterentscheide werden akzeptiert, Pfeifkonzerte werden nicht geduldet. Und nach dem Schwingfest geht das gemütliche Beisammensein bei vielen Zuschauern noch lange weiter.
Einzigartige Arena Der Schwingplatz ist eine einzigartige Arena für ein Schwingfest. Er gehört seit 1945 dem Schwingerverband Ob- und Nidwalden. Er hat ihn damals für 13’000 Franken gekauft, weitere 70’000 Franken wurden für das frühere Hotel Alpina bezahlt. In den letzten Jahrzehnten wurde ohne Sponsoren und grosse staatliche Beihilfe über eine Million Franken in das Festgelände investiert. Schwingerfreunde haben dabei ihr Portemonnaie geöffnet. Im Schwingen gehört es sich nicht, dass die Arena den Namen eines Sponsors trägt. So wurde der Platz um 35 Zentimeter angehoben und entwässert sowie ein Sportrasen angesät. Anstelle des früher geschlossenen Sägemehlplatzes wurden auf Verlangen des Eidgenössischen Schwingerverbandes vier einzelne runde Sägemehlringe geschaffen. Der Platz wurde bisher nur für schwingerische und folkloristische Anlässe genutzt. Rock- und Popkonzerte fanden bisher keine statt, obwohl schon Anfragen vorlagen. Nicht, dass die Schwinger etwas dagegen hätten. Doch für Nachtveranstaltungen fehlt eine Beleuchtungsinfrastruktur. Zudem ist die Arena mit fast 7000 Zuschauern voll, wohl etwas zu wenig für gewisse Open-air-Veranstaltungen.
Wegen der Maul- und Klauenseuche und anderem fiel der Anlass zwischen 1897 und 1941 mehrmals aus. Von 1941 bis 2019 fand er regelmässig vor 7000 Zuschauern statt. Kopf an Kopf. Das dichte Gedränge gehört zum Brünigschwinget, wie die 80 bis 100 Liter Schnaps, die bereits vor Beginn des Schwingets gebraucht werden. Die Schwingerfreunde hoffen, dass der Anlass im nächsten Jahr wieder am letzten Julisonntag stattfinden wird. Es wäre dann seit 1893 die 116. Durchführung dieses Klassikers.
Martin Grabs Rekord
Wohl nirgendwo kommt die Volksverbundenheit des Nationalsports Schwingen so ausgeprägt zur Geltung wie beim Brünigschwinget. Kein Wunder, dass ein Brünig-Kranz zu den begehrtesten «Trophäen» des Schwingsports überhaupt zählt. Der Rothenthurmer Martin Grab führt die Kranzstatistik mit 14 «Schlaufen» vor Eugen Hasler (13) an. Mit fünf Siegen ist er zusammen mit Eugen Hasler und Ruedi Hunsperger Rekordhalter.
Vom Schwingklub Einsiedeln konnten sich weiter Christian Schuler (7), Thomas Bisig (6), Ernst Reichmuth (5), Franz Schuler (3), Marcel Ochsner (1), René Steinauer (1) und Adrian Steinauer (1) den begehrten «Kopfschmuck» aufs Haupt setzen lassen.
Der Brünigschwinget in der beeindruckenden Arena muss dieses Jahr leider ausfallen. Foto: zvg