«Das Ja zum Klosterplatz freut mich, das Nein zum Hotelprojekt schmerzt»
Zwölf Jahre lang war Peter Eberle Landschreiber des Bezirks Einsiedeln. Heute Dienstag endet seine Amtszeit.
VICTOR KÄLIN
Wer wird überhaupt Landschreiber oder Gemeindeschreiber? Gibt es da einen speziellen Typ von Mensch? Einer, der sich für die Gesellschaft engagieren will. Er muss eine grosse Leistungs- und Einsatzbereitschaft haben. Und Nehmerqualitäten (lacht). Konfliktfähig sollte er auch sein und sozialkompetent. Und dann sollte er einen auch komplexen Sachverhalt schriftlich verständlich formulieren können.
Hilft auch Humor?
Eher Gelassenheit. Doch, ja: Humor hilft auch. In jedem Fall.
Nie bereut, die Anwaltspraxis aufgegeben zu haben?
Nein. Man muss das Richtige zur rechten Zeit tun. Das war es für mich vor 12 Jahren. Meine Kinder waren grösser geworden, die familiären Verpflichtungen dafür etwas kleiner. Mit kleinen Kindern hätte ich die Stelle nicht angetreten. Warum hören Sie jetzt auf? Altersmässig hätten Sie ja noch einmal kandidieren können … Am 30. Juni endet eine Amtsperiode. Ich hätte nochmals für vier weitere Jahre kandidieren oder nach 2 Jahren zurücktreten können. Es waren fordernde und anstrengende Jahre, in denen ich mit meinen persönlichen Bedürfnissen oft zurückstecken musste. Nun freue ich auf mehr Zeit für die neben der Arbeit schönen Dinge.
Welche ist die grösste Leidenschaft, die Ihnen das Amt geboten hat?
An den Weichenstellungen massgebend mitwirken. An der Ausarbeitung wichtiger Verträge beteiligt zu sein. Die Interessen des Bezirks nötigenfalls vehement vertreten. Da spürte ich den Anwalt in mir. Meine Leidenschaft war es, für den Bezirk immer eine gute und vorteilhafte Lösung zu finden. Gibt es etwas in Zusammenhang mit Ihrer Tätigkeit, das Sie besonders freut? Ich habe meinen Beitrag geleistet, dass den Bezirken im Kanton Schwyz nicht zusätzliche Lasten auferlegt worden sind – zum Beispiel die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb. Die kantonsrätliche Kommission beantragte die Bezirkslösung. Da schrieb der Bezirksrat eine Woche vor der entscheidenden Kantonsratssitzung allen 100 Parlamentariern einen Brief. Ich bin überzeugt, dass das matchentscheidend war.
Ich war auch Mitglied der kantonalen Arbeitsgruppe Justizreform. In dieser war ich der einzige Bezirksvertreter, der sich für die Kantonalisierung der Staatsanwaltschaft stark machte. Die Kantonalisierung wird am 1. Januar 2021 Tatsache und der Bezirk spart jährlich ein paar Hunderttausend Franken.
Sehr gefreut hat mich der Entscheid des Bezirksrates, auf den Eintritt in die Badi zu verzichten. Ich habe den Bezirksrat zu diesem Thema immer wieder «gestupft ». Damit wurde mit geringen Kosten ein echter Mehrwert für die Bevölkerung geschaffen; der Erfolg gibt dem Bezirksrat recht.
Und etwas, woran Sie lieber nicht erinnert werden möchten?
Nicht noch einmal erleben möchte ich die Personalkonflikte zu Beginn meiner Amtszeit, welche zu einer grösseren Rochade im Kader führte – mit positiven Auswirkungen.
Über welche Abstimmung freuen Sie sich am meisten, und welches Ergebnis schmerzt besonders?
Der Klosterplatz freut mich am meisten – trotz der aktuellen Probleme. Das ist ein Jahrhundertwerk und für Einsiedeln zentral. Wie alle Einsiedler freue ich mich auf den Tag, an welchem die «ewige» Baustelle geräumt sein wird. – Was mich heute noch schmerzt, ist das Nein zum Hotelprojekt Einsiedlerhof. Ich bin überzeugt, dass Einsiedeln damals eine grosse Chance verpasst hat. Ein anderer Urnengang war die Volkswahl des Landschreibers oder Wahl und Anstellung durch den Bezirksrat. Wie ist Ihre Meinung?
Meine Abstimmungsempfehlung hätte Ja zur Wahl durch den Bezirksrat gelautet. Die Vorteile für die Rekrutierung sind offensichtlich. Mit der Kandidatur von Patrick Schönbächler hatte Einsiedeln Glück. Wir sind noch einmal davongekommen. Für mich hätte ich aber kein anderes System gewünscht. Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zum Bezirksrat – kollegial, sachlich, distanziert? Kollegial, offen und hin und wieder emotional. Zu allen drei Bezirksammännern Beat Bisig, Hermann Betschart und Franz Pirker hatte ich ein sehr vertrauensvolles und freundschaftliches Verhältnis. Wir arbeiteten kooperativ zusammen, auch wenn wir ab und zu «gestritten » haben. Man kommt nicht immer mit allen gleich gut aus. Wir konnten uns aber immer in die Augen schauen.
Nach meiner Einschätzung war ich recht aktiv und meldete mich in den Sitzungen oft zu Wort. Mein Antragsrecht habe ich aber nur selten ausgeübt; wenn, dann vor allem wenn es um die Interessen der Verwaltung ging.
«Ich bin weder Behördenmitglied, noch Politiker; wenn der Berufsalltag einkehrt, werde ich als Landschreiber nicht im Rampenlicht stehen.» Wie bewerten Sie Ihre am Tag der Wahl gemachte Aussage 12 Jahre später? Zutreffend – mit Zwischentönen. Ich habe mich in der Öffentlichkeit nicht exponiert, bei einzelnen Geschäften aber auch gegenüber Dritten meine Meinung geäussert; dies unter möglichster Wahrung der Loyalität gegenüber dem Bezirksrat. Als Landschreiber sind Sie praktisch von Amtes wegen eine Person des öffentlichen Lebens. Haben Sie sich deswegen persönlich gerade aus dieser Öffentlichkeit zurückgezogen?
Nein. Mich sah man schon vor der Wahl nicht allzu oft in der Öffentlichkeit. Ich hatte schlicht keine Zeit für viele ausserberuflichen Aktivitäten. Ich hatte damit aber auch kein Problem. Obwohl ich in Einsiedeln lebe, wurde ich in meiner Freizeit nicht sehr oft auf mein Amt angesprochen. Einsiedeln bietet ein gewisse Anonymität. Die Leute lassen einen in Ruhe, was auch Ausdruck von persönlichem Respekt sein kann. Häufig die Stammtische besuchen, wäre für diese Funktion aber nicht die beste Strategie …
Müssen Sie nach dem 30. Juni etwas nachholen?
Ja einiges, aber nicht müssen, sondern dürfen. Mehr Zeit für Kultur, Bewegung und Freunde. Wieder mehr Belletristik lesen, mich in Italien aufhalten. In all den Jahren kam doch einiges zu kurz. Sie müssen es wissen: Ist die Bezirksverwaltung organisatorisch gut aufgestellt? Sie ist nicht nur organisatorisch, sondern auch personell gut aufgestellt. Rund acht Personen arbeiten mehr als 2008 … Das ist nicht sehr viel … Ja, das finde ich auch. Die Verwaltung hat sich laufend weiterentwickelt. Das Verwaltungsleitungsmodell funktioniert gut; es gibt aber dennoch immer wieder Optimierungsbedarf. Im Bezirk arbeiten viele motivierte und aufgestellte Mitarbeitende.
Räumlich platzen wir aber aus allen Nähten. Wir haben keine Luxusverhältnisse. Es gibt Mitarbeitende, die arbeiten im Korridor oder in Büros, die gleichzeitig Verkehrszone sind. Welche hauptsächlichen Veränderungen im Bezirksrat, der Verwaltung, aber auch der Öffentlichkeit haben Sie in den letzten 12 Jahren wahrgenommen? Im Bezirksrat gibts etwas weniger Minne und etwas mehr Kampfeslust. Das führt wohl zu besseren Entscheiden. Der Rat hat sich mit den Jahren gewandelt. Er ist kritischer und hinterfragt mehr – auch sich selbst. Das ist wahrscheinlich nur möglich, wenn das Vertrauen gegeben ist.
Die Verwaltung ist meiner Ansicht nach professioneller geworden. Wir haben junge und gut ausgebildete Mitarbeitende. Doch verbessern können wir uns immer.
Was die Öffentlichkeit betrifft, stelle ich fest, dass sie zwar keine «Erregungsgesellschaft» ist, dass aber viel und oft vehement gefordert wird. Zum Beispiel Ruhe vor dem Verkehr, obwohl man sich täglich selbst ins Auto setzt.
Wohin entwickelt sich Einsiedeln? Wo geht es Ihrer Meinung nach in die richtige Richtung, wo in die falsche und wo in überhaupt keine?
Einsiedeln entwickelt sich tatsächlich! In die richtige Richtung geht’s bei der Bildung. Dort konnten wir nach dem Verzicht auf das Grossvorhaben Herrenmatte mit den Aufstockungen den «Knopf lösen».
Eine kritische Richtung schlagen wir bei den Finanzen ein. Ich befürchte, dass es zu grossen Bremsspuren kommt und wir wieder weniger investieren. Das antizyklische Verhalten existiert nur in den Volkswirtschaftsbüchern, nicht aber in den Köpfen der Säckelmeister. Das Hauptübel ist der innerkantonale Finanzausgleich. Die Steuerdisparitäten sind einfach zu hoch. Ein Einsiedler zahlt für die gleichen kommunalen Leistungen noch immer dreimal mehr als ein Feusisberger, was viele gute Steuerzahler fernhält. Da der Kantonsrat nicht in der Lage ist, einen fairen Finanzausgleich zu schaffen, wird es das Volk richten müssen. Da werde ich mich vielleicht auch nach meiner Zeit als Landschreiber noch aktiv zeigen.
Täuscht der Eindruck, oder interessieren sich immer weniger Bürger für die Sache des Bezirks – doch diese dafür umso genauer … Wie sehen Sie das? Sehr treffend formuliert. Man interessiert sich dafür umso mehr für seine eigene Sache. Ich bin aber der Ansicht, dass sich niemand für die öffentliche Sache interessieren muss. Dies nicht tun zu müssen, ist ein Privileg in unserem freien Staat. Natürlich ist mir bewusst, dass die direkte Demokratie unter diesem Verhalten leidet. Doch zum Glück gibt’s den Einsiedler Anzeiger – auch wenn er nicht immer das Richtige schreibt.
Um ein Stichwort kommt man bei Ihnen nicht herum: Die Etzelwerk- Konzession. Als Sekretär der Einsiedler Kommission waren auch Sie gefordert. War die Arbeit für dieses Vertragswerk mit dem Ihrem übrigen Pensum vereinbar? War das Ganze überhaupt zumutbar? Die Pensen waren eigentlich nicht vereinbar. Ich war ja auch noch Mitglied verschiedener Gremien mit Hunderten von Sitzungen. Mein Aufwand wurde etwas kompensiert durch die bereits erwähnten zusätzlichen Pensen für Kommunikation oder Recht. Ich war gezwungen, Prioritäten zu setzen. Gewisse Dinge blieben schon liegen. Ich muss allerdings sagen, dass ich diese Arbeit sehr gerne machte. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis? Ich bin gut zufrieden. Mit der Vorzugsenergie ist für den Bezirk ein spekulatives Element enthalten. Das Fazit, ob es sich gelohnt hat, können wir erst in 80 Jahren ziehen. Wenn ich daran denke, dass die SBB anfänglich alle Infrastrukturen wie zum Beispiel den Willerzeller Viadukt abtreten wollten, haben wir wirklich viel erreicht. Der in Zug erzielte Durchbruch im November 2019 war dann auch einer der freudigsten und emotionalsten Momente meiner ganzen Amtszeit. Eine Riesenerleichterung.
Das Thema bleibt mir erhalten. Im Auftragsverhältnis führe ich die Arbeit als Projektverantwortlicher Neukonzessionierung Etzelwerk für den Bezirksrat und in enger Zusammenarbeit mit dem Bezirksammann weiter. Ich bleibe weiterhin Sekretär der Kommission. Ich nehme 45 Ordner mit nach Hause … doch habe ich mich auch schon gefragt, ob es nicht schöner wäre, diese im Rathaus stehen zu lassen.
Wie aufgeräumt ist Ihr Büro, wenn Sie es an Ihren Nachfolger Patrick Schönbächler übergeben?
Hängig sind gewisse Organisationsfragen und natürlich viele laufende Geschäfte. Die kommunale Richtplanung und danach die Nutzungsplanung lassen bereits grüssen. Das neue Wasserrechtsgesetz wird gerade im wasserreichen Einsiedeln zu einiger Arbeit führen, der Einsiedlerhof bleibt als «grosse Kiste». Der juristische Sachverstand wird weiterhin sehr gefragt bleiben. Was sagte schon Bezirksammann Beat Bisig vor mehr als acht Jahren, wenn ich auf etwas ruhigere Zeiten hoffte: «Und es kommt immer wieder Neues.» Heute weiss ich es: Er hat recht gehabt. Mit welchem Gefühl verlassen Sie das Rathaus? Mit einem guten. Das Volk hat einen fähigen Nachfolger gewählt. Und ich konnte mich in all den Jahren stark einbringen und mich an der Aufgabe persönlich weiterentwickeln. Was will man mehr! Der Einsatz für die res publica ist etwas sehr befriedigendes.
Keine Wehmut?
Nein. Ich freue mich. Es ist gut so und ich werde meine Zeit nicht mit dem Schreiben böser Leserbriefe gegen den Bezirksrat verbringen. Liebgewonnene Personen werde ich aber schon vermissen.
Und was folgt?
Mal sehen. Zu Hause aufräumen. Das Etzelwerk. Etwas beratende Tätigkeit als Anwalt. Viel Zeit in Italien. Vielleicht ein Buch verfassen? Ich bin halt schon der Schreiber.
«Da spürte ich den Anwalt in mir: Immer eine gute Lösung für den Bezirk zu finden.» «Wieder mehr Belletristik lesen.» «Sich nicht für die öffentliche Sache einsetzen zu müssen, ist ein Privileg in unserem freien Staat.»
Am angestammten Platz für die Bezirksratssitzungen lässt sich der scheidende Landschreiber Peter Eberle fotografieren. «Im Büro ists derzeit zu unordentlich.» Foto: Victor Kälin