«Wir wollen Männer und Frauen nicht gegeneinander ausspielen»
Morgen vor einem Jahr sorgte der Frauenstreik in der Schweiz für viel Aufsehen. Auch in Schwyz fand eine grosse Demonstration statt. In diesem Jahr gibt es keine Veranstaltung. Die Einsiedlerin Mona Birchler vom Frauennetz Schwyz erklärt im Interview, was sich seitdem verändert hat.
WOLFGANG HOLZ
Frau Birchler, im letzten Jahr fand ein Frauenstreiktag statt. In diesem Jahr gibt es keinen. Warum? Grundsätzlich war es kein Streik, der letztes Jahr stattgefunden hat. Es waren meist Demonstrationen von Frauen und auch Männern, die sich aus der langjährigen Unzufriedenheit über die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft heraus entwickelt haben. Heisst das, dass Sie jetzt zufrieden sind und das sämtliche Forderungen der Frauen, die am letztjährigen Streiktag gestellt worden sind, nun erfüllt sind? Nein. Der Frauenstreiktag war ein kraftvolles Zeichen. Unsere Forderungen wurden bei Weitem noch nicht erfüllt. Die Schweiz ist eine Demokratie, und in uns Schweizerinnen und Schweizern drin steckt sozusagen das Verhandlungsgen. Um Verhandlungen zu führen, braucht es allerdings Zeit.
Was hat sich denn aus Ihrer Sicht seit dem Frauenstreiktag für die Frauen in unserer Gesellschaft wirklich verändert? Es sind viele Themen auf den Tisch gekommen, welche die Frauen schon länger beschäftigen. Aktuell werden viele Vorstösse im Bundesparlament behandelt, die für die Gesellschaft wichtig sind. Etwa die Forderung für eine Elternzeit, der Individualbesteuerung oder die Revision des Sexualstrafrechts.
WiebeurteilenSiedieReaktionen derÖffentlichkeitaufdenFrauenstreik im letzten Jahr? Ich spürte sehr viel Wohlwollen – nicht unbedingt wegen des Frauenstreiks, aber wegen der sachlichen Anliegen, die vorgebracht wurden. Und zwar von Frauen wie von Männern. Die Demonstrationen waren wie ein Ventil. Das Bewusstsein wurde gestärkt, dass sich etwas ändern muss. Schön war für uns zu sehen, dass sich nach den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst der Anteil von Frauen deutlich erhöht hat. Mittlerweile sitzen zehn Prozent mehr Frauen im Nationalrat. Das ist ein fulminanter Erfolg. Auch im Ständerat konnte der Frauenanteil erhöht werden. Wobei es nicht darum geht, die Männer gegen die Frauen auszuspielen: Es geht viel mehr darum, dass auch Frauen ihre Erfahrungen und Ansichten auch in den politischen Prozessen einbringen können. So manche Aktion zum Frauenstreiktag hat aber nur einen Tag bestanden – zum Beispiel das Frauenbier. Jetzt gibt es kein Frauenbier mehr … … das ist ein schlechtes Beispiel. Das Frauennetz Kanton Schwyz führt seit Anfang 2019 monatlich einen Anlass namens Frauenbier durch. Es handelt sich dabei um eine Art Stammtisch für Frauen. Wir haben diesen Namen bewusst gewählt. Bier und Stammtisch werden für gewöhnlich mit Männern in Zusammenhang gebracht. Irgendwann entstand die Idee, am Frauenstreiktag ein Frauenstreikbier anzubieten. Das war eine einmalige Aktion speziell für den 14. Juni 2019. Für unseren Frauen-Stammtisch haben wir das Motto: «Frauen, emanzipiert euch!» Aber nicht nur das Frauenbier ist wieder von der Bildfläche verschwunden. Frauen werden doch nach wie vor diskriminiert. Oder nicht? Viele dieser Diskriminierungen geschehen unbewusst und subtil. Wenn der Chef einer Firma einer Frau einen geringeren Lohn als einem Mann auszahlt, dann ist das oft kein bewusster Entscheid. Der Ernährer der Familie ist der Mann, das steckt tief in uns drin. So sind wir erzogen und sozialisiert worden. Dazu kommt: Es gibt nach wie vor zu wenige weibliche Vorbilder. Deshalb ist es zum Beispiel wichtig, dass auch Frauen in der Geschichte erwähnt werden. Persönlichkeiten und ihre Leistungen werden vergessen, wenn sie nicht öffentlich präsent sind.
«Es gibt in Einsiedeln eine Werner-Kälin-Strasse. Ich behaupte, kaum jemand weiss, um welche Person es sich dabei handelt.
Mona Birchler, Frauennetz Kanton Schwyz
Können Sie ein Beispiel geben?
Ein Beispiel dafür sind Strassennamen. Wie an vielen anderen Orten gibt es auch in Einsiedeln keine einzige Strasse, die nach einer Frau benannt ist. Dafür gibt es eine Werner-Kälin-Strasse. Ich behaupte, kaum jemand weiss, um welche Person es sich dabei handelt. Apropos Einsiedeln. Was hat sich denn in Einsiedeln aus Ihrer Sicht für Frauen verändert? Veränderungen brauchen Zeit, auch in Einsiedeln. Ein Jahr ist eine sehr kurze Zeitspanne. Fakt ist, dass ich mich verändert habe, und dass sich dadurch auch meine Umwelt verändert, weil ich einen anderen Fokus habe. Der Frauenstreik war, wie gesagt, ein kraftvolles Zeichen. Ein Glied in einer langen Kette, in der auch frühere Generationen Grosses geleistet haben. Es handelt sich um einen langen demokratischen Prozess – ein wenig wie ein Marathon. Es geht Schritt für Schritt voran, aber es dauert. Es ist schon viel erreicht, und wir spüren inzwischen eine breite Solidarität. Wir stehen heute auf jeden Fall an einem anderem Punkt als vor einem Jahr. Auch im Frauennetz des Kantons Schwyz erfahren wir viel Wohlwollen und Zuspruch. Neulich hatten wir unseren ersten Frauenlunch nach Corona. Es kamen 24 Frauen, die sich freuten, wieder miteinander im Austausch zu sein. Derzeit finden weltweit Demonstrationen für die Rechte von Schwarzen statt – nach dem Mord eines weissen Polizisten an einem schwarzen Amerikaner. Die Schwarzen kämpfen schon zig Jahre für mehr Rechte und Gleichheit. Auch Frauen kämpfen schon sehr lange für Gleichberechtigung. Sehen Sie da gewisse Parallelitäten? Ja, es gibt Parallelen. In beiden Fällen wird sichtbar, wie tief verankert Denkmuster und Gewohnheiten in einer Gesellschaft sind. Die USA lebt mit einer historisch bedingten tiefen Spaltung, aufgrund der Tatsache, dass der eine Teil der Bevölkerung Sklavenhalter waren, der andere Teil Sklaven. Eine explosive gemeinsame Geschichte, die bis heute nicht wirklich aufgearbeitet ist. Das prägt das Land bis heute. Gewalt von Polizisten bis zur Todesfolge wird toleriert. Ich will den Rassismus in den USA und die Diskriminierung von Frauen bei uns auf keinen Fall miteinander vergleichen. Aber Vorstellungen und Bilder, was ich darf und was ich als normal empfinde, sind auch in unserer Gesellschaft tief verwurzelt. Das lässt sich nicht von heute auf morgen verändern. Tatsache ist: Wir leben nach wie vor in einer männlich geprägten Welt.
Mona Birchler vom Frauennetz Kanton Schwyz sieht im letztjährigen Frauenstreik ein «kraftvolles Zeichen ». In der Hand hält sie Karten von Pionierinnen des Frauenstimmrechts. Foto: Wolfgang Holz