«Die Schüler fühlen sich geprellt»
Johannes Eichrodt, Rektor der Stiftsschule Einsiedeln, steht Red und Antwort zu den Sonderregelungen für die Mittelschulen
«Es ist eine gute Lösung, die schriftlichen Maturaprüfungen abzuhalten», sagt Johannes Eichrodt, Rektor der Stiftsschule Einsiedeln: «Nicht ideal ist, dass der Erziehungsrat das zweite Semester streicht.» Damit würden Maturanden um ihre guten Leistungen und Vornoten gebracht, die nun nicht mehr für die Abschlussprüfungen gezählt würden.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wie kommt die Sonderregelung für die Mittelschulen seitens des Schwyzer Erziehungsrates bei Ihnen an? Einerseits bedeutet die Sonderregelung eine Erleichterung für die Maturanden an der Abschlussprüfung, weil sie eine Rundungsregel zugunsten der Schüler vorsieht: Die Noten werden mathematisch gerundet, was die Chancen, die Matura zu bestehen, erhöht. Auf der anderen Seite fällt die Streichung des zweiten Semesters negativ ins Gewicht: Gerade die guten Schüler werden geprellt, weil nun ihre Noten aus dem laufenden Semester nicht für die Maturaprüfung angerechnet werden. Das ist unschön: Denn dadurch wird es wohl schwieriger für die Maturanden, die Abschlussprüfung zu bestehen.
Bevorzugt das Erziehungsdepartement damit die öffentlichen Schulen?
So weit würde ich nicht gehen zu behaupten, mit dieser Regelung würden die privaten Mittelschulen benachteiligt. Fakt ist, dass die Stiftsschule Einsiedeln IT-mässig gut entwickelt ist und es geschafft hat, im zweiten Semester Leistungsnachweise im Onlineunterricht zu erstellen – nicht zuletzt durch solide Lernkontrollen. Die Stiftsschule nimmt ihren Bildungsauftrag sehr ernst und hat sich an die Vorgaben gehalten und bewertete Leistungsnachweise erbracht. Nun zählen laut Entscheid des Erziehungsrats nur die Noten aus dem ersten Halbjahr. Darüber sind Schüler wie Lehrpersonen in Einsiedeln betrübt. Zwei Wochen vor den Maturaprüfungen kommt dieser Entscheid alleweil überraschend. Kann sich die Stiftsschule dagegen wehren?
Man könnte möglicherweise ein Wiedererwägungsgesuch einreichen. Obwohl ein solches Gesuch an keine Fristen gebunden wäre, käme es womöglich zu spät: Die Zeit ist sehr knapp, am 25. Mai starten die Maturaprüfungen bereits. Im Rückblick auf das ganze Prozedere wäre naheliegend gewesen, eine Lösung anzustreben mit einer Jahrespromotion: So machen es etwa die Kantone Luzern und St. Gallen. Der Kanton Schwyz hat dieses Jahr für die Volksschulstufe ausnahmsweise ebenfalls die Jahrespromotion beschlossen. Sind Sie einverstanden damit, dass die schriftlichen Maturaprüfungen abgehalten werden sollen? Es war für die Schulleitungen im Kanton Schwyz vollends unbestritten, zumindest schriftliche Maturaprüfungen abzuhalten. Ich kann allerdings den Protest der Schülerschaft ein Stück weit nachvollziehen, weil die Maturanden im Kanton Schwyz ja ganz zu Recht Gleichberechtigung bezüglich Durchführung der schriftlichen und mündlichen Maturaprüfungen fordern. Das ist hingegen ein Problem, das die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) lösen müsste. Sind Sie überrascht davon, dass sich 73 Prozent der Einsiedler Stiftsschüler gegen die Durchführung der Maturaprüfung ausgesprochen haben?
Nein, das überrascht mich nicht. Hier geht es ja nicht zuletzt auch um einen Akt der Solidarität. Bereits die landesweite Petition, welche die Maturaprüfungen verhindern wollte, hat Anklang gefunden. Sie ist jedenfalls auf fruchtbaren Boden gefallen. Es ist nicht auszuschliessen, dass gewisse Kantone just wegen dieses Schülerprotests die Abschlussprüfungen abgesagt haben. Können Schüler mit identischen Vornoten in verschiedenen Kantonen unterschiedliche Maturitätsentscheide erhalten?
Das ist so, wenn man nun etwa einen Schwyzer Maturanden mit einem Zürcher Maturanden vergleicht: Die Vornoten haben nun naturgemäss in Zürich ein grösseres Gewicht als in Schwyz, weil dort gar keine Prüfung stattfindet. Die Vornoten entsprechen in allen Fächern der Maturanote. Ist die Lernfähigkeit der Maturanden überprüfbar in Zeiten von Homeschooling? Sie sprechen schwierige Familienverhältnisse an, die eventuell die Chancen von Maturanden mindern könnten, die Abschlussprüfung zu bestehen. Ich glaube nicht, dass dies gross ins Gewicht fällt: Maturanden sind aufgrund ihres Alters in der Lage, sich selbstverantwortlich auf die Prüfung vorzubereiten – auch in Zeiten des Fernunterrichts. Jugendliche werden im Unterschied zu jüngeren Kindern weniger durch schwierige Verhältnisse beeinflusst.
Macht es aus Ihrer Sicht Sinn, dass jeder Kanton die Maturitätsprüfung auf seine Art und Weise handhabt und dann ein Flickenteppich entsteht? Ich bin vollumfänglich dafür, dass die Bildungshoheit bei den Kantonen bleibt. Es entspricht überhaupt nicht unserem föderalistischen System, wenn die Bildung von einer Zentrale aus gesteuert und dirigiert würde. Vielmehr bietet der Föderalismus die Chance, dass wir die Bildung verantwortungsvoll wahrnehmen und handhaben. Unser System bietet ja just den Vorteil der Nähe: Verantwortungsträger und Organe sind nah zusammen, das bringt Qualität im Bildungswesen durch gegenseitige Kontrolle mit sich. Ist es angesichts der aussergewöhnlichen Umstände der Maturaprüfung bei Nichtbestehen der Prüfung möglich, einen fundierten Rekurs einzulegen? Ja, in jedem Fall, wie auch sonst. Es ist ja nun auch nicht so, dass jeder Maturand automatisch die Prüfung bestehen würde, einfach deswegen, weil heuer aussergewöhnliche Umstände herrschen und «freundlich» korrigiert würde. Denn sonst wären ja diese Prüfungen ein Witz.
In der Stiftsschule Einsiedeln gehen die Wogen hoch: Die Streichung des zweiten Semesters stösst bei Schülern und Lehrern auf Unverständnis. Foto: Magnus Leibundgut