Zwischen Freude und Schock
Die Schulen in Einsiedeln sind dicht. Es gibt keinen Unterricht mehr in der Schule. Die Kinder müssen zu Hause bleiben. Das sind die Massnahmen, die der Bundesrat beschlossen hat, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Das wirft Fragen auf.
WOLFGANG HOLZ
Die Mitteilung des Bezirks Einsiedeln, die vergangenen Freitag an sämtliche Erziehungsberechtigte der Schulen Einsiedeln verschickt wurde und auf der Homepage des Bezirks aufgeschaltet ist, liest sich spartanisch. «Eltern selbstverantwortlich»
«Der Bundesrat hat die Schliessung aller Schulen per Montag, 16. März, bis vorerst 4. April beschlossen. Der Präsenzunterricht ist an sämtlichen obligatorischen Schulen in der Schweiz untersagt», heisst es da. «Dies bedeutet, dass für lhr Kind der Unterricht ausfällt, und Sie selber für die Kinderbetreuung verantwortlich sind. Dies gilt auch für den Musikschulunterricht.» Der Kanton werde zusammen mit den Schulträgern prüfen, ob und in welcher Form allenfalls Betreuungsangebote an den Schulen eingerichtet werden können. Entsprechende Entscheide und weitere Informationen dazu erfolgen. «Es ist uns zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht möglich, lhnen weitere lnformationen bekannt zu geben. Über weitere Entscheide des Kantons werden wir Sie auf dem Laufenden halten.» Soweit die offizielle Mitteilung. Wer von Behördenvertretern des Bezirks Einsiedeln Näheres zur weiteren Regelung und zu Betreuungsangeboten für die Schüler erfahren möchte, erhält die Information, dass «striktes Kommunikationsverbot» herrsche. Nur der Kanton dürfe dazu informieren.
«So haben wir dies aber nicht formuliert», rechtfertigt sich Patrick von Dach, Sekretär des kantonalen Bildungsdepartements. Man habe lediglich die lokalen Behörden aufgefordert, Anfragen zum weiteren Corona-Krisenmanagement an das Bildungsdepartement zu richten.
Betreuungsangebot «sehr restriktiv» Fakt ist, dass der Kanton bis spätestens nächsten Montag, 23. März, garantieren will, dass sämtliche gemeindliche und kommunale Schulträger «so rasch wie möglich» ein Betreuungsangebot für ihre Schüler einrichten werden. Genauer gesagt für solche, die über keine anderen Betreuungsmöglichkeiten verfügen. «Dieses Angebot richtet sich nur an Kindergärtler und Primarschüler», sagt von Dach. Und es sei «sehr restriktiv geplant». Man wolle damit verhindern, dass sich auf diese Weise viele Kinder an den Schulen aufhalten.
Will heissen: Das Betreuungsangebot ist in erster Linie für Schüler von Eltern gedacht, die im Gesundheitswesen arbeiten. Sowie für Kinder, deren Eltern in ihrem privaten oder nachbarschaftlichen Umfeld keine Möglichkeit finden, ihre Sprösslinge betreuen zu lassen. «Diese Eltern können sich bei der jeweiligen Schule oder dem jeweiligen Kindergarten anmelden und angeben, an welchen Tagen sie Betreuung brauchen », sagt von Dach. Allerdings erst nach Abklärung anderer Möglichkeiten. Mittagstisch für die Schüler gibt es keinen.
Was den Ersatzunterricht der Schüler zu Hause anbelangt, sollen laut von Dach individuelle Lösungen für Primarschüler und Oberstüfler gefunden werden. «Die älteren Schüler haben ja oft schon einen Computer oder Laptop zu Hause.» In diesem Fall könnte man über elektronische Arbeitsformen nachdenken. Bei den Primarschülern seien schriftliche Aufgaben denkbar oder, «dass sie etwa ein Buch lesen müssen».
Facebook-Aufruf für Eltern Während der Kanton und die kommunalen Behörden sich also derzeit den Kopf zerbrechen über die konkreten Betreuungsangebote an den einzelnen Schulen, hat der Elternverein Einsiedeln schon gehandelt. «Wir haben auf Facebook und auf unserer Homepage einen Aufruf geschaltet mit der Möglichkeit für Eltern, sich zu melden, falls sie dringend ein Betreuungsangebot brauchen», erklärt Stephanie McMinn, die Präsidentin des Vereins. Der Beitrag auf Facebook sei bereits über 6600-mal angeklickt worden. «Es haben sich bereits einige Eltern unter der angegebenen E-Mail-Adresse zurückgemeldet, die anderen helfen wollen, wenn sie noch keine Möglichkeit gefunden haben, ihr Kind unterzubringen», erklärt McMinn. Eine tolle Sache.
Vor allem Eltern, die nicht Homeoffice machen könnten, aber zum Arbeiten gehen müssten, seien in der jetzigen Situation die Hauptbetroffenen. «Einer Mutter konnten wir schon helfen, einen Platz zu finden.» Tanz auf der Strasse – aber …
Und wie geht es eigentlich den Schülern und Lehrern in Einsiedeln, die vom Unterrichtsstopp und den Schulschliessungen am direktesten betroffen sind? Zahlreiche Schülerinnen und Schüler tanzten vergangenen Freitagnachmittag vor Freude über die nun beginnende schulfreie Zeit vor dem Migros-Center an der Eisenbahnstrasse.
«Uns wird es nicht langweilig zu Hause», sagen die einen. Anderen wiederum ist die plötzlich so völlig schulfreie Zeit nicht ganz geheuer. «Wir haben gerade Bücher für den Ersatzunterricht zu Hause abholen müssen», sagt ein Sek-Schüler und deutet auf seinen prallvollen Rucksack. Er würde lieber in die Schule gehen. Denn so ganz ohne Unterricht fehle ihm die Tagesstruktur. Auch einer Oberstüflerin ist es etwas mulmig zumute. «Ich freue mich so mittel», sagt sie. Schliesslich sei die Schulschliessung ja eine Massnahme, um das gefährliche Coronavirus einzudämmen.» Zum anderen habe ich Angst, dass die Behörden uns aufgrund der jetzt schulfreien Zeit später die richtigen Ferien streichen.» «Geschichtsträchtig, aber noch nicht greifbar» Für die Lehrpersonen ist der Unterrichtsstopp auch noch sehr gewöhnungsbedürftig. «Es ist ein geschichtsträchtiges Ereignis, aber für mich noch nicht greifbar», gibt eine Lehrperson zu. Eine junge Lehrerin, die gerade auf dem Weg zur ausserordentlichen Lehrerkonferenz ihrer Schule ist, strahlt dagegen Elan und Optimismus aus: «Das ist jetzt eine spannende Entwicklung und eine Herausforderung für uns, die Situation mit dem Ersatzunterricht in den Griff zu bekommen.» Zur Gelassenheit und Besonnenheit ruft Martin Birchler auf. Der 65-jährige Einsiedler ist seit 42 Jahren Primarlehrer und wird diesen Sommer pensioniert. Er selbst hat es als Bauernkind auch schon erlebt, dass er mehrere Wochen zu Hause in Quarantäne bleiben musste und nicht in die Schule gehen konnte – weil die Maul- und Klauenseuche unterm Vieh grassierte. «Man sollte den Schülern, wenn der jetzige Unterrichtsstopp länger als drei Wochen dauert, eben freiwillige Angebote zum Lernen geben.»
Als ob der Unterricht erst vor fünf Minuten zu Ende gegangen ist: Ein verwaistes Klassenzimmer im Schulhaus Brüel – drei Tage nach dem Entscheid des Bundesrats, wegen dem Coronavirus alle Schulen im Land zu schliessen.
Foro: Wolfgang Holz