Der Englishman in Einsiedeln
Daniel Sigrist ist eigentlich immer reif für die Insel – verleiht er doch seinem britischen Lebensgefühl sichtlich Ausdruck
Als «Spleen» bezeichnet der Engländer einen Tick. Einen liebevollen Hang zu verrückten Ideen. Auch Daniel Sigrist hat einen netten «spleen» – in seiner Wohnung stösst man an allen Ecken und Enden auf den «Union Jack».
WOLFGANG HOLZ
Die Queen hat die britische Flagge auf dem Dach des Buckingham Palasts. Daniel Sigrist aus Einsiedeln hat den «Union Jack» fast überall um und an sich. Als Gürtelschnalle seiner Jeans, beispielsweise. Auf dem Fussabstreifer vor der Haustüre. Als Schlüsselbrett. Als Handtuch in der Küche. Als dekoratives Hochzeitsgeschenk seiner Töffkollegen vom TC Crows in Gestalt eines originellen offenen Benzinkanisters. «Union Jack» sogar auf dem Pyjama seines Sohnes Selbst im ehelichen Schlafgemach des 42-Jährigen hängt riesig gross eine Plache mit dem blau-rot-weissen Zickzack, mit der er jeweils auf Reisen seinen britischen Triumph-Töff überspannt und gleichzeitig als Zelt. Ja, sogar auf dem «Pischi» seines anderthalbjährigen Sohns Louis prangt der «Union Jack». Seine gemütlich eingerichtete Wohnung, in der er mit seiner Familie lebt, sieht aus wie ein British Museum der privaten Art. Wie ist es zu diesem speziellen England-Spleen gekommen?
«Eigentlich hat alles mit der Supertramp- Schallplatte ‹Crime of Century› angefangen», erklärt Daniel Sigrist. Sagt’s und steht sofort auf, um aus dem Wohnzimmer jene heissgeliebte Scheibe anno 1974 zu holen. Musik wie eine Bibel für ihn
«Diese Platte hat mich vom ersten bis zum letzten Ton fasziniert », schwärmt der Lokführer, der für die Südostbahn mit dem Voralpenexpress oft auf der Strecke von St. Gallen nach Luzern unterwegs ist. «Diese Musik war für mich wie eine Offenbarung, ja fast wie eine Bibel», erzählt der Einsiedler. Auch alle seine anderen Lieblingsbands seien stets englische Gruppen gewesen: die Stones, die Beatles, Led Zeppelin, Status Quo und natürlich die Pogues. «England setzt nicht nur immer Trends in der Musik und in der Mode, England ist ein faszinierendes Land», schwärmt der frühere Forstwart, der wegen einer Verletzung an seinen Handgelenken vor drei Jahren auf den Beruf des Lokführers umsattelte.
Gleich hin und weg vom «English way of life» Nach dem ersten Trip ins «United Kingdom» war er völlig hin und weg vom «English way of life»: Urchige Pubs, süffiges Bier, rockige Musik und gut gelaunte, schrullige Engländer im Smalltalk. Als er später per Motorrad durch Wales, Schottland und Irland tourte, hatten ihn auch die lyrischen Landschaften mit sanften Hügeln, sattgrünen Wiesen, Steinmauern und uralten Eichen in Beschlag genommen. Auch die wunderschönen Küsten und vor allem die vielen Klippen mit spektakulären Buchten dazwischen haben ihn fasziniert. «Nur wasserfest sollte man für dieses Abenteuer sein», sagt Daniel Sigrist und lächelt.
Linksfahren kein Problem
«Das letzte Mal war ich 2018 mit meiner Triumph von Dover bis Cornwall in Südengland unterwegs », erzählt Daniel Sigrist sehnsüchtig. Das Linksfahren in England mache ihm nichts aus. Im Gegenteil. «Ich habe eher Schwierigkeiten, danach in Einsiedeln wieder rechts zu fahren», sagt er und lacht. Es sei ihm schon passiert, dass er den Schnabelsberg mit seiner Triumph links runter geprescht sei. Die Liebe zu der englischen Töff-Marke habe er vor 13 Jahren entdeckt. Seitdem nennt er einen Oldtimer («My lady») und eine «schöne Strassenmaschine » von Triumph sein eigen.
«Ich liebe Meatpies» «Von den Engländern kann man viel lernen. Sie sind höflich, freundlich und lustig – und vor allem wissen sie sehr gut, wie man Feste feiert», sagt der Einsiedler. Sie würden sich auch nicht genieren, mal einen Seich zu machen. Und auch das englische Essen sei viel besser als sein Ruf. «Ich liebe Meatpies», verrät er. Meatpies sind jene legendären, üppigen Pasteten, in denen sich alles Mögliche an Fleischlichem verbirgt. «Natürlich mag ich auch Fish und Chips.» «Royals wichtig für den Zusammenhalt des Landes» Und wie gut ist sein Englisch? «Ich habe bis jetzt noch immer ein Bier bekommen und bin nicht verhungert», erklärt er und lacht verschmitzt. Selbst die «Royals» findet er als basisdemokratisch verwurzelter Schweizer irgendwie skurril. «Sie sind auf jeden Fall wichtig für den Zusammenhalt des Landes. Es ist schade, dass sie immer wieder in den Medien so verrissen werden.» Apropos Medien. Dort hat in den letzten Monaten vor allem ein Wort dominiert – der «Brexit ». «Ich finde den Brexit super», bekennt der Union-Jack-Fan. Er sei noch nie ein Freund der Europäischen Union gewesen. Durch den «Brexit» seien die Engländer auch zu guten Partnern für die Schweiz geworden. Nach Grossbritannien auswandern wolle er aber nicht. «Dafür bin ich zu fest in Einsiedeln verankert», räumt er ein.
Auch seine Ehefrau mag England sehr gern Und was meint eigentlich Ehefrau Nina (27) zu seinem ausgeprägten England-Spleen? «Sie mag England auch sehr gerne», versichert Daniel Sigrist. Sie liebe ebenfalls die Musik, gebe Tanzkurse, spiele Gitarre und singe auch. «Sie ist schon mit ihrer Freundin Laura zusammen in den Ferien in England als Strassenmusikantin aufgetreten.» Cool. Really cool.
«Von Engländern kann man viel lernen. Sie sind höflich, freundlich und lustig – und vor allem wissen sie sehr gut, wie man Feste feiert.»
Daniel Sigrist, England-Fan