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«Die Spitex pflegt längst nicht mehr nur Betagte wie früher»

«Die Spitex pflegt längst nicht mehr  nur Betagte wie früher» «Die Spitex pflegt längst nicht mehr  nur Betagte wie früher»

Sibylle Ochsner, Vizepräsidentin Spitex Schweiz, spricht über zunehmende administrative Arbeiten des Spitex-Personals und über die Chancen der Digitalisierung in der Pflege.

ANJA SCHELBERT

Die Digitalisierung macht auch vor dem Gesundheitswesen nicht Halt (siehe Zusatztext auf dieser Seite). Neustes Beispiel ist die Einführung des vollelektronischen Patientendossiers (EPD). Sibylle Ochsner, FDP-Kantonsrätin und Vizepräsidentin Spitex Schweiz, referierte am Mittwoch am Schwyzer Gesundheitsforum in Schwyz, wo sie über Chancen, Trends und technologische Fortschritte in der Spitex-Pflege aufklärte. Im Interview erzählt sie vom Potenzial, das sie in der digitalisierten Pflege sieht. Welche Chancen birgt die Digitalisierung der Pflege?

Was die Spitex betrifft, kann ich sagen, dass etwa das Rapportieren und Dokumentieren der geleisteten Stunden und die gesamte Dienst- und Einsatzplanung heutzutage ohne digitale Hilfsmittel kaum mehr zu bewältigen wäre. Bereits jetzt verbringt das diplomierte Pflegepersonal zwischen 20 und 25 Prozent seiner Wochenarbeitszeit mit rein administrativen Tätigkeiten.

Für die Angestellten steht aber die Pflege im Vordergrund – das ist ja auch der Grund, warum sie diesen Beruf gewählt haben. Von neuen digitalen Automatismen erwarten wir mehr Zeit für die Pflege am Menschen. Der Anspruch an die Spitex und an ambulante Pflegeleistungen ist gestiegen. Gibt es mehr Pflegebedürftige im Kanton Schwyz als früher? Nicht nur. Die Auslastung hat sich ebenfalls verlagert. Die Spitex pflegt längst nicht mehr nur Betagte, wie dies früher der Fall war. Rund 30 Prozent aller Spitex- Klienten sind heute unter 65 Jahre alt. Das hängt vor allem mit dem Umdenken in den Spitälern und dem Grundsatz «ambulant vor stationär» zusammen. Personen werden nach einem Spitalaufenthalt rasch wieder mobilisiert und entlassen. Die entsprechende Nachsorge zu Hause wird dann zwischen den Spitälern und der Spitex koordiniert und von Letzterer sichergestellt.

Das bedarf eines regen Datenaustauschs, nehme ich an?

Genau. Das neue elektronische Patientendossier würde dabei zum praktischen Instrument. Bislang wurden Gesundheitsdaten und Unterlagen uneinheitlich übermittelt, was oft zu Rückfragen führte. Oftmals waren sie unvollständig, was zu Fehlern bei der Behandlung oder Verzögerung der Heilung geführt hat.

Durch das E-Dossier (EPD) könnten Behandlungs- und Medikationsfehler sowie Missverständnisse minimiert werden, weil alle involvierten Gesundheitsstellen den Krankheitsverlauf detailliert und vollständig kennen. So kann umfassend auf den Patienten eingegangen werden. Und wie verhält es sich mit dem Schutz dieser sensiblen Daten? Das ist sicher eine Herausforderung. Die Daten müssen meiner Meinung nach unbedingt in der Schweiz, nachvollziehbar und jederzeit wiederherstellbar gesichert werden. Die Erfahrung in anderen Branchen, wie beispielsweise dem Finanzwesen, zeigt aber, dass das funktioniert. Wer hat heute kein E-Banking? Beim E-Dossier entscheidet zudem der Patient selbst, wer über seinen Gesundheitszustand wie viel erfährt, indem er verschiedene Vertraulichkeitsstufen festlegen kann.

Das elektronische Patientendossier ist aber nur einer von vielen Schritten in die Digitalisierung. Könnten in ferner Zukunft gar Roboter die Pflege der Menschen übernehmen? Denkbar wäre dies zwar. Ich bin aber überzeugt, dass immer der Mensch für den Patienten im Vordergrund stehen wird. Pflege ist eine sehr persönliche Arbeit – man ist sehr nahe dran, hat intime Einblicke. Viele Gepflegte wollen deshalb lieber von einem Menschen statt einer Maschine gepflegt werden. Potenzial sehe ich eher darin, dass allgemeine Prozesse wie das Rüsten der Medikamente oder das Vorbereiten der Wundauflagen vermehrt maschinell ersetzt werden könnten.

Automatisierung ist in anderen Branchen eher negativ behaftet. Digitalisierung spart dort zwar Kosten, hat oft aber auch direkten Einfluss auf den Personalbestand. Wie ist das in der Pflege? Diesbezüglich sehe ich nur Vorteile. Es ist allseits bekannt, dass gerade in der Pflege ein Personalmangel besteht. Stellen sehe ich deshalb nicht in Gefahr. Kosten können dennoch gespart werden – und was ganz wichtig ist: Pflegefachpersonen würden mehr Ressourcen erhalten, um wieder vermehrt der eigentlichen Pflege nachgehen können.

«Beim E-Dossier entscheidet der Patient selbst, wer wie viel von ihm erfährt.»

Sibylle Ochnser

Sibylle Ochsner Foto: zvg

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