«Jeder kann Meinung behalten»
Die 25-jährige Einsiedlerin Sandra Auf der Maur nimmt Stellung zum Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung
Geht es nach Bundesrat und Parlament, soll öffentliches Hassreden gegen Lesben und Schwule strafbar werden. Dies findet auch Sandra Auf der Maur: «Homophobie ist nicht mehr normal, sondern inakzeptabel.»
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wird unsere Welt besser, wenn am 9. Februar ein Verbot von Aufrufen zu Hass gegenüber Homosexuellen angenommen wird? Ja, das hoffe ich. Naturgemäss schrecken ein Verbot und ein Bestrafen die Stimmbürger erst einmal ab. Fakt ist, dass ein jeder seine eigene Meinung behalten kann, aber dass dank der Vorlage niemand mehr mit Hass und Diskriminierung Homosexuellen schaden soll. Halten Anstand und Respekt Einzug in unserer Gesellschaft, wenn die Anti-Rassismus-Strafnorm auf Homosexuelle ausgeweitet wird?
Ja. Die Strafnorm bietet den Vorteil, dass die Leute über die Diskriminierung von Menschen aufgrund der sexuellen Orientierung nachdenken und sich damit befassen, wie öffentliche Äusserungen, die Homosexuelle verletzen, ein Klima des Hasses schüren. Dies gefährdet das friedliche Zusammenleben der Gesellschaft. Haben Sie im Klosterdorf Hass oder Diskriminierung erfahren? Gewalt habe ich noch nie erlebt, hingegen – wie jede andere Lesbe oder jeder Schwule – verbale Ausfälligkeiten. Beschimpft wurde ich in der Tat schon mehrmals, dies allerdings in Zürich, nicht in Einsiedeln. Im Klosterdorf werden Vorurteile nicht so direkt geäussert, das läuft in Einsiedeln eher hintenherum. Hingegen habe ich in der Arbeitswelt hier im Klosterdorf und auch an anderen Orten durchaus Ressentiments erlebt. Können Sie das konkret schildern?
Ich habe im Arbeitsprozess auf meine Bewerbungen hin über hundert Absagen erhalten. Naturgemäss lässt sich hier nun nicht so einfach ableiten, ob meine Homosexualität den Ausschlag gegeben hat, dass ich den Job nicht gekriegt habe. Fakt ist, dass sich dank des neuen Gesetzes strafbar macht, wer einer Person wegen ihrer sexuellen Orientierung eine öffentlich angebotene Leistung verweigert. So oder so hat mein Berufsberater eine Grenze überschritten, indem er mir empfohlen hatte, dass ich mich anpassen und anders kleiden solle. Das empfand ich als sehr respektlos und verletzend.
Ist es im Klosterdorf spürbar, dass die Einsiedler wenig begeistert sind davon, dass gleichgeschlechtliche Paare die gleichen Rechte wie heterosexuelle Paare haben sollen? Nein. Ich glaube vielmehr, dass im ganzen Kanton Schwyz eine konservative Einstellung prägend ist und man deswegen die Ehe für alle ablehnt. Das erstaunt auch nicht wirklich, weil doch hierzulande die SVP federführend ist, die gegenüber Homosexuellen eher ein distanziertes Verhältnis hat. Im Alltag von Einsiedeln kommt diese Sicht der Dinge allerdings kaum zum Tragen. Spürbar werden solche Vorurteile in der Regel nicht.
Wird das Klima derzeit eher wieder repressiver angesichts dessen, dass vermehrt Gewaltakte gegen Homosexuelle bekannt geworden sind? Man liest derzeit viel davon in den Medien. Ich finde es auch gut und wichtig, dass darüber berichtet wird, dass aufgezeigt wird, welche Taten geschehen. Die Anhäufung von Gewaltakten gegen Homosexuelle kann allerdings auch ein Stück weit dem Zufall geschuldet sein. Es gibt eine Minderheit unter den Homosexuellen, die sich dem Komitee «Nein zu diesem Zensurgesetz!» angeschlossen hat – unter anderem, weil sie nicht zu einer «speziell schützenswerten Minderheit» degradiert werden wollen. Ich kann das ein Stück weit nachvollziehen: Homosexuelle wollen möglichst «normal» erscheinen und nicht unbedingt ein Sonderzüglein fahren. Allerdings bringt ein Blick in die Realität die Tatsache zum Vorschein, dass Vorurteile nicht automatisch verschwinden. Schwarze etwa werden dank der Anti- Rassismus-Strafnorm auch geschützt, indem man nicht mehr «Neger» sagen darf.
Eine weitere Kritik beruht auf der Befürchtung, dass mit einer solchen Strafnorm die Verantwortung von der Zivilgesellschaft an den Staat delegiert würde. Schön, wenn es mit der Zivilgesellschaft funktionieren würde. Aber ich habe da meine Zweifel: Kann die Zivilgesellschaft den ehemaligen SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi, der Homosexuelle als Fehlgeleitete mit einem Hirnlappen, der verkehrt läuft, bezeichnet hat, umstimmen, indem sie ihn in den Senkel stellt? Wohl kaum. Ich fürchte, dass wir keine Wahl haben: Nur mit einem Gesetz können wir uns vor derlei Diffamierungen schützen.
Was darf man eigentlich noch öffentlich sagen und was nicht mehr, falls die Vorlage angenommen wird in drei Wochen? Trotz der Ausweitung der Anti- Rassismus-Strafnorm können weiterhin Schwulenwitze am Stammtisch erzählt werden. Weil der Stammtisch in der Kneipe nicht öffentlich ist. Hingegen sind Social Media öffentlich: Wer in den sozialen Medien Homosexuelle beleidigt, diskriminiert, mit Hassreden eindeckt, wird zukünftig bestraft – genau wie bei der Rassen- oder Religionsdiskriminierung.
Im Abstimmungskampf um diese Vorlage sind Schwule federführend. Wieso bleiben Lesben eher unsichtbar und hinter den Kulissen aussen vor? Schwule werden viel häufiger angegriffen als Lesben. Heterosexuelle Machos gehen eher auf Männer los als auf Frauen, weil erstens schlägt man keine Frauen, und zweitens ist es vielleicht in Ordnung, wenn sich zwei Frauen lieben. Was aber aus Sicht der Heti-Machos gar nicht geht, wenn sich zwei Männer lieben. Das bedeutet eine pure Provokation für heterosexuelle Machos, sie fühlen sich angegriffen. Das führt dazu, dass sich vor allem Schwule im Abstimmungskampf engagieren: Sie müssen sich vor allem schützen. Paradoxerweise haben es aber Lesben in der Gesellschaft an sich immer noch um einiges schwerer als Schwule. Kann man davon ausgehen, dass Homophobie immer noch weit verbreitet ist – auch im 21. Jahrhundert? Homophobie nimmt ab. Nicht zuletzt dank der Öffentlichkeit, dank des Fernsehens, dank Filmen, in denen es selbstverständlich ist, dass Homosexuelle auftreten. Es ist besser geworden im Vergleich zu früher, es gibt Fortschritte. Trotzdem braucht es dieses neue Gesetz, das einen umfassenden Schutz für Homosexuelle bietet. Ist Homophobie auf dem Land ausgeprägter als in der Stadt? Ich denke, das ist in der Tat so. In der Stadt geht es anonymer zu und her. Da fällt man auch weniger auf, wenn man aus der Reihe tanzt, wenn man zum Beispiel ausgefallen gekleidet ist. Dementsprechend ziehen manche Homosexuelle vom Land, wo es oftmals an der Akzeptanz und Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben mangelt, in die Stadt. Allerdings wird diese Intoleranz auf dem Land in der heutigen Zeit vermehrt aufgeweicht. Etwa durch Junge, die in der Stadt studieren und auf dem Land wohnhaft sind: Diese jungen Leute fördern gewissermassen die Toleranz auf dem Land.
Welche Erfahrungen haben Sie in den Vereinen im Klosterdorf sammeln können? Ich war Mitglied beim FC Einsiedeln und habe in diesem Klub mit grosser Freude und Leidenschaft Fussball gespielt. Da war ein so guter Groove in der Mannschaft, sodass dort ein Outing meinerseits gut möglich und sicherlich auf ein gutes Echo gestossen wäre. Im FC Einsiedeln herrscht eine liberale Stimmung diesbezüglich. Geoutet habe ich mich dann mit 14 Jahren, als ich nicht mehr im Verein war. Das war früh genug (lacht)! Jedenfalls ist mein Outing in der Familie und in der Schulklasse gut angekommen. Die meisten Schüler hatten es eh bereits gewusst.
Wie hoch ist das Recht auf freie Meinungsäusserung einzuschätzen?
Dieses kann man gar nicht zu hoch einschätzen. Es ist ganz wichtig, dass es hierzulande das Recht auf eine freie Meinungsäusserung gibt. In vielen anderen Ländern gibt es das nicht. Im privaten Bereich soll dieses Recht denn auch unbeschränkt weiterhin Gültigkeit haben. Anders verhält es sich im öffentlichen Bereich: Hier sollten Hass und Diskriminierung keinen Raum einnehmen dürfen. Homosexuelle wollen einfach wie alle anderen Leute in Ruhe leben können. Niemand sollte in unserer Gesellschaft Schaden erleiden müssen, weil er diffamiert und belästigt wird.
Transmenschen werden in der neuen Strafnorm nicht berücksichtigt. Wie können auch Transmenschen besser geschützt werden? Ausgerechnet diese Gruppe wird in der erweiterten Strafnorm nicht berücksichtigt, nachdem der Ständerat einen entsprechenden Passus ablehnte. Die Behauptung der Gegner, bei Geschlechtsidentität handle es sich um einen schwammigen Begriff, ist haltlos. Der Begriff ist international anerkannt, von der Uno bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Umso verdankenswerter ist es, dass sich die Organisationen der Transmenschen klar für das neue Gesetz einsetzen. Im Gegenzug setzen wir uns weiter dafür ein, dass auch Transmenschen besser geschützt werden. Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Gesellschaft in den letzten zwanzig Jahren verändert? Die Gesellschaft hat sich zum Besseren verändert. Eine positive Rolle spielen hierfür sicherlich die Social Media: Dank den sozialen Medien können Minderheiten aus der Isolation geholt werden und sich besser vernetzen. Naturgemäss haben nicht alle Bereiche unserer Gesellschaft dieselben Fortschritte gemacht: Die katholische Kirche etwa grenzt Frauen und Homosexuelle nach wie vor aus. Trotzdem bin ich nicht aus der Kirche ausgetreten, weil ich finde, dass sie auch gute Sachen macht und den Menschen hilft. Wie sehen Sie als Lesbe der Zukunft entgegen?
Im Klosterdorf fühle ich mich sehr geborgen und lebe zusammen mit meiner Partnerin überaus gerne in Einsiedeln. Vor der Zukunft habe ich keine Angst. Erst recht nicht, wenn in drei Wochen die Schweizer Stimmbürger Ja sagen zum Verbot der Diskriminierung von Menschen aufgrund der sexuellen Orientierung.
Zur Person
ml. Sandra Auf der Maur ist am 7. März 1994 in Einsiedeln geboren und aufgewachsen. Sie hat eine kaufmännische Lehre absolviert und spielte Fussball beim FC Einsiedeln. Zu den Hobbys von Sandra Auf der Maur gehören Lesen, Gamen und Spazieren mit Kolleginnen in der Natur. Sie lebt mit ihrer Partnerin zusammen im Klosterdorf.
«Im Klosterdorf werden Vorurteile nicht direkt geäussert. Das läuft hier eher hintenherum.» «Trotz der Strafnorm können weiterhin Schwulenwitze am Stammtisch erzählt werden.» «In der Gesellschaft haben es Lesben immer noch um einiges schwerer als Schwule.» «Beim FC Einsiedeln wäre mein Outing gut möglich gewesen und sicherlich auf ein gutes Echo gestossen.» «Homosexuelle wollen einfach wie alle anderen Leute in Ruhe leben können.»
Sandra Auf der Maur fühlt sich im Klosterdorf sehr geborgen und lebt gerne in Einsiedeln. Vor der Zukunft hat sie keine Angst. Erst recht nicht, wenn die Stimmbürger am 9. Februar Ja sagen zum Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Foto: Magnus Leibundgut