Die Region Einsiedeln erlebt ein Jahr der Wetterextreme
In der Region Einsiedeln ging 2019 ein weiteres Jahr der Wetterextreme über die Bühne. Es war das fünftwärmste Jahr seit Beginn der Temperaturmessungen, stellt Stephan Bader, Klimatologe bei Meteo Schweiz, fest. Und eines, das vier Hitzetage im Klosterdorf mit sich brachte.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Der Blick aus dem Fenster im Klosterdorf fällt für Liebhaber von Schnee und Eis derzeit ziemlich ernüchternd aus: Rundum zeigen sich in Einsiedeln allüberall grüne, apere Hänge. Vom Winter ist keine Spur zu sehen – und das mitten im Januar. Es besteht wenig Hoffnung für Schneesportfans im Klosterdorf, dass sich dies in den kommenden Wochen ändern könnte.
Gemäss Saisonausblick des Bundesamtes für Meteorologie und Klimatologie werden auch die Monate Februar, März und April überdurchschnittlich warm ausfallen. «Schuld» an diesem Witterungsverlauf sei ein starkes Hochdruckgebiet über Mitteleuropa, das sich immer wieder von Neuem aufbaue und Schneetiefs verdränge, berichtet Stephan Bader, Klimatologe von Meteo Schweiz: «Just eine solche konstante Wetterlage hat bereits zu einem ersten Schub einer Reihe von sehr milden Jahren Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre geführt.» Ein Winter mit viel Schnee
Das Klima am Sihlsee hat sich in den letzten vierzig Jahren massiv erwärmt. Das zeigt eine Analyse von regionalen Wetterdaten von Meteo Schweiz (siehe Grafik). Mild und nass, so lässt sich das Wetterjahr 2019 in der Region Einsiedeln zusammenfassen. Gemäss Bader setzte sich der allgemeine Trend zur Erwärmung, der seit den 80er-Jahren beobachtet wird, auch in den vergangenen zwölf Monaten fort.
Nimmt man die durchschnittlichen Temperaturdaten der Wetterstation Einsiedeln, zeigt sich ein deutliches Bild (siehe Grafik): Das bisher wärmste Jahr seit Messbeginn war 2018. Das zweitwärmste Jahr ging 1994 über die Bühne. Es folgen im «Hitze-Ranking » die Jahre 2014, 2015 und 2019 (fünftwärmstes Jahr).
Immerhin gab es im letzten Jahr so etwas wie einen richtigen Winter: Es gab im Klosterdorf ausreichend Schnee zum Langlaufen, Skifahren und Schlitteln. Anfang Februar wurden in Einsiedeln 71 Zentimeter gemessen. Der Frühling gehört zu den Jahreszeiten, in denen die Veränderung des Klimas besonders spürbar wird. Der März 2019 reiht sich da nahtlos ein. Er war in Einsiedeln über zwei Grad wärmer als in der Norm der Jahre 1981 bis 2010. Vier Hitzetage in Einsiedeln
Der April war in allen Belangen durchschnittlich. Der Mai hingegen schlug dann vollends aus der Reihe: Er war der einzige Monat im Jahr 2019, der zu kühl ausfiel. Am 5. Mai kam es in Einsiedeln zu einem Rekordschneefall von 16 Zentimetern! In der Nacht auf den 7. Mai sank die Temperatur gar auf –3 Grad. Am Eröffnungstag in der Badi Roblosen wurden die Badegäste von einer ansehnlichen Schneedecke und einer Wassertemperatur im Sihlsee von fünf Grad empfangen.
Es folgte ein Sommer 2019 mit zwei markanten Hitzewellen (Ende Juni und Ende Juli). In der Regel gibt es in Einsiedeln pro Jahr keinen oder maximal einen Tag, an dem die Temperatur die 30-Grad-Marke übersteigt. Im letzten Jahr verzeichnete das Klosterdorf gleich vier Hitzetage. Damit steht das Jahr 2019 an dritter Stelle in der Hitze-Rangliste. Im Jahr 2003 und 2015 gab es in Einsiedeln fünf Hitzetage. «Extrem warme Sommer sind in den letzten Jahren zum Standard geworden», konstatiert Bader: Der Sommer 2019 mache hier als drittwärmster seit Messbeginn keine Ausnahme.
Schnee wird zur Rarität Auch im Herbst setzte sich der Wärmetrend fort. Der September fiel am Sihlsee wärmer aus als normal. Und im föhnigen Oktober resultierte sogar ein Wärmeüberschuss von rund zwei Grad. Am 13. Oktober stieg die Temperatur im Klosterdorf auf über 20 Grad, am 20. Oktober gar über 21 Grad. Im November zeigte sich dasselbe Bild: Auch dieser Monat war zu warm.
Der Dezember 2019 war dann der extremste Wärmemonat des Jahres. Entscheidend zum Wämeüberschuss beigetragen haben mehrere kräftige Föhnstürme, die am 17. und 20. Dezember durch Einsiedeln brausten und dafür sorgten, dass die Leute im T-Shirt durch das Klosterdorf spazierten. Nass und neblig gestaltete sich dann das Jahresende: Mit einer grünen Weihnacht ging es in das neue Jahr: Von Schnee war weit und breit keine Spur.
«Die Klimaerwärmung führt dazu, dass vermehrt auch Gebiete auf einer Höhe von rund tausend Metern ihre Schneesicherheit verlieren», stellt Bader fest. Einsiedeln liegt auf einer Höhe von 900 Meter. Das ist eine kritische Höhe. Das Klosterdorf muss sich darauf einstellen, dass Schnee und Eis am Sihlsee zur Rarität werden. «Die Erwärmung des Klimas wird sich weiter fortsetzen», resümiert Bader: Solange der Ausstoss an Treibhausgasen wie dem Kohlenstoffdioxid nicht gestoppt werde.
Tourismus im Umbruch Stoppen könnte die Entwicklung einzig ein Zusammenbruch des Golfstroms: Aufgrund der Erwärmung wird vermehrt im Polargebiet Eis schmelzen. Das Süsswasser könnte dereinst den Golfstrom, der Europa mit Wärme versorgt, zum Erliegen bringen.
Dass die Einsiedler also schon bald wieder regelmässig Winter mit viel Schnee und Eis erleben würden, weil der warme Golfstrom zusammenbreche, hält Bader allerdings für eine Illusion: Neueste Untersuchungen hätten aufgezeigt, dass der Prozess eines möglichen Stoppens des Golfstromes nicht kurzfristig erfolge, sondern sich über einen viel längeren Zeitraum hinweg erstrecke.
Für den Tourismus in Einsiedeln bringt der Klimawandel mannigfaltige Veränderungen mit sich. Er steht aufgrund der veränderten Witterungsverhältnisse vor einem massiven Umbruch. Zwei Möglichkeiten stehen im Fokus: Entweder man gibt Skifahren und Langlaufen auf und betreibt auch im Winter einen Sommertourismus. Oder man schafft dank Kunstschnee eine Schneesicherheit im Klosterdorf, sodass auch in schneearmen Jahreszeiten wie in diesem Winter Skisport betrieben werden kann.
Unteriberg und Sihlsee im Blick – vor dem Roggenstock breitet sich mitten im Januar eine schneelose Landschaft aus. Im Vordergrund links ist der Adlerhorst zu sehen: Erst ab einer Höhe von 1500 Metern liegt derzeit Schnee.
Kein Schnee in Sicht: Der Skilift Roggen in Oberiberg steht still. Skifahrer hoffen sehnlichst auf Schneefall und dass sich die Wetterlage endlich entscheidend ändert.
Fotos: Wädi Kälin