«Wir suchen neue Pflegeeltern»
Der in Einsiedeln beheimatete Verein Netzwerk Familien baut sein Angebot im ambulanten Bereich aus
Neben Familienplatzierung und Wohnen für Jugendliche im Jugendheim «Alte Post» bietet der Verein Netzwerk Familie neu auch ambulante Beratung und Begleitung an. Für junge Erwachsene bietet er schon länger ein begleitetes Wohnen an. Geschäftsleiterin Susanne Schwyzer steht Red und Antwort.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wie verhält sich das Angebot zur Nachfrage bei den Pflegefamilien?
Wir hatten bis jetzt mehr Anfragen für Platzierungen als Familien, die gerne Pflegekinder aufnehmen würden. Deshalb suchen wir neue Pflegefamilien. Was geschieht mit den Kindern, für die keine Familie gefunden werden kann? Für diese müssen die Anfrager ausserkantonale oder andere Lösungen finden. Zudem bieten wir neben Familienplatzierung, stationärem Wohnen im Jugendheim «Alte Post» in Oberarth und dem begleiteten Wohnen in Goldau seit April 2019 auch eine sozialpädagogische Familienbegleitung an. Dank diesem Ausbau im ambulanten Bereich können Kinder in belasteten Familien verbleiben, die wir umfassend beraten und betreuen.
Wieso gibt es immer mehr Kinder und Jugendliche, die nicht mehr in ihrer Familie aufwachsen können?
In früheren Zeiten waren Trennungen von Eltern aus moralischen und finanziellen Gründen viel seltener. Eine Scheidung galt als unschicklich. Frauen konnten es sich oft gar nicht leisten, sich scheiden zu lassen, weil ihnen nach der Trennung das Geld fehlte. Heute sind die meisten Frauen im Arbeitsleben integriert. Als Folge davon, dass sich Eltern trennen, leben viele Kinder in Patchwork-Familien. Das kann mitunter zu Problemen führen. Schwierig haben es auch Kinder, die bei Alleinerziehenden aufwachsen. Ihr Verein wird also nicht von sich aus aktiv? Nein, das macht die Kesb. Und das ist auch gut so. Klar ist, dass in der Vergangenheit viel Unglück über die Familien gebracht wurde, wenn Kinder von ihren Familien getrennt wurden. Natürlich kommt es auch heute noch vor, dass eine Mutter in einer psychiatrischen Klinik behandelt werden muss. Doch man nimmt ihr nicht das Kind weg. Dieses wird vielmehr in einer Pflegefamilie oder vorübergehend in einem Heim platziert, bis die Mutter wieder gesund und in der Lage ist, für ihr Kind zu sorgen. Wie hat sich die Arbeit für Pflegefamilien verändert im Vergleich zu früher?
Die Arbeit wurde sehr professionalisiert: Heute nehmen Pflegeeltern an Weiterbildungen teil und werden mit einer Supervision begleitet. Die Anforderungen sind hoch: Die Pflegeltern sollten über ein gesichertes Grundeinkommen, einen guten Leumund, ausreichend Wohnraum und genügend Zeit verfügen.
Dürfen auch Homosexuelle Pflegekinder aufnehmen? Regenbogen- und Patchworkfamilien sind willkommen. Jeder Erwachsene kann eine Pflegeplatzbewilligung beantragen, auch Alleinstehende, mit oder ohne Kinder. Wichtig ist, dass auch die Kinder der Pflegefamilie mit der Aufnahme eines Pflegekindes einverstanden sind. Ideal ist, wenn intakte Familienbeziehungen und ein soziales Netz bestehen und wenn die Pflegeeltern über Geduld, Humor, Gesundheit und Belastbarkeit verfügen. Werden Pflegeeltern für die Arbeit entlöhnt?
Die Pflegeeltern erhalten eine Entschädigung. Dieses kann aber nicht ein reguläres Einkommen ersetzen. Geld zu verdienen darf aber nicht der Grund sein, diese Aufgabe anzunehmen.
Wo orten Sie das grösste Spannungsfeld bei der Familienplatzierung?
Pflegeeltern müssen darauf achten, nicht einen Loyalitätskonflikt bei den Pflegekindern auszulösen.
Neu bieten Sie auch begleitete Besuche. Was beinhalten diese?
Begleitete Besuche ermöglichen Eltern, die ihr Besuchsrecht nicht autonom ausüben können, an der Entwicklung ihrer Kinder und deren Wohlergehen teilzuhaben. Gleichzeitig erhalten die Kinder die Chance, sich ein eigenes Bild von ihren Eltern zu machen und sich aktiv mit ihrer Herkunft zu befassen. Im Rahmen der begleiteten Besuche werden Kontakte und emotionale Bindungen zwischen Eltern und Kindern aufgebaut und weiterentwickelt. Die Begleitpersonen unterstützen Kinder und Eltern beim Kontaktaufbau und orientieren sich dabei an den Bedürfnissen der Kinder.
Können Sie hierzu eine konkrete Situation beschreiben?
Meist handelt es sich hierbei um Trennungssituationen, wenn etwa ein Streit zwischen Vater und Mutter um das Kind ausgebrochen ist. Dann ist es zum Beispiel nicht möglich, dass der Vater das Kind allein treffen kann. Dann springen wir als neutrale Drittperson ein und begleiten dieses Treffen.
Wie geht der begleitete Besuchstreff über die Bühne? Die begleiteten Besuchsnachmittage finden in einer Kindertagesstätte in Goldau statt. Diese ist auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet. Es gibt einen grossen Spielraum, eine Küche sowie einen Spielplatz draussen. Übergabebegleitungen finden vor oder nach den Besuchstreffs statt.
Sind denn heutzutage Familien weniger in der Lage als früher, ihre Kinder zu erziehen? Es scheint, dass die Zahl der belasteten Familien zugenommen hat. Kinder zu erziehen, ist heute eine grosse Herausforderung, wie früher auch. Wie tangieren die sozialen Medien und die Digitalisierung die Erziehung? Sie haben einen grossen Einfluss auf die Erziehung. Eltern können ihre Kinder nicht einfach von diesen Medien ausschliessen. Im Gegenteil: Kinder fordern Gleichbehandlung und vergleichen sich mit ihren gleichaltrigen Kameraden, die alle auch schon ein Smartphone haben. Die Frage stellt sich also für Eltern, was die Norm ist in diesem Bereich. Und wie auf welche Art und Weise Regeln durchgesetzt werden sollen. Können Sie schildern, wie sich Ihr Verein entwickelt hat? 1984 entstand im inneren Kantonsteil das Projekt «Offene Familie », zwei Jahre darauf wurde eine Interessensgemeinschaft gegründet, die sich darauf auf den ganzen Kanton ausdehnte. Im Jahr 1993 wurde die IG Familienplätze gegründet. Seit 2019 heisst die Organisation «Netzwerk Familie». Für unser Angebot Familienplatzierung sind wir auf der Suche nach neuen Pflegefamilien und führen hierzu am 5. November einen Infoanlass in Pfäffikon durch. Wie finanziert sich Ihr Verein?
Wie erhalten Beiträge vom Bund für unser Jugendheim in Oberarth. Die Hauptlast tragen die Gemeinden, aus denen unsere Klienten kommen. Unsere Rechnung geht gut auf, weil wir schlanke Strukturen aufweisen und vergleichsweise wenig Mitarbeiter haben.
Werden Sie vom Kanton Schwyz unterstützt?
Der Kanton Schwyz beaufsichtigt uns als Organisation. Finanzielle Mittel erhalten wir nicht. Wenn es Ihren Verein nicht gäbe, müsste dann der Staat diese Arbeit übernehmen? Ja. Dann müssten der Staat oder andere Organisationen diese Aufgaben übernehmen.
Aus welchem Grund ist Ihr Verein ausgerechnet im Klosterdorf beheimatet?
Einsiedeln liegt an zentraler Lage im Kanton Schwyz. Von hier ist es nicht weit in den inneren wie den äusseren Kantonsteil. Auch nach Oberarth zu unserem Heim und zum Besuchstreff in Goldau ist der Weg kurz. Wie fällt Ihre Bilanz Ihrer bisherigen Tätigkeit als Geschäftsleiterin des Vereins Netzwerk Familie aus?
Als sehr positiv erlebe ich die Zusammenarbeit mit unseren engagierten Mitarbeitenden und Pflegefamilien. Ebenso positiv erlebe ich die Zusammenarbeit mit unserem Vorstand. Was brennt Ihnen besonders unter den Nägeln? Die grösste Herausforderung ist und bleibt für uns, dass die Passung zwischen Pflegekindern und Pflegefamilien stimmt. Zudem sind wir auf der Suche nach neuen Pflegefamilien, damit wir allen Kindern einen Platz anbieten können.
Am 5. November organisiert der Verein Netzwerk Familie um 19.30 Uhr, im Hotel Schiff, an der Unterdorfstrasse 21 in Pfäffikon, einen Infoanlass. Informationen sind zu finden unter www.netzwerkfamilie.ch.
«Eine Scheidung galt als unschicklich. Frauen konnten sich es oft gar nicht leisten, sich scheiden zu lassen.» «Es kommt auch heute noch vor, dass eine Mutter in einer psychiatrischen Klinik behandelt werden muss.» «Es scheint, dass die Zahl der belasteten Familien zugenommen hat. Kinder zu erziehen, ist heute eine grosse Herausforderung.» «Der Kanton Schwyz beaufsichtigt uns als Organisation.
Finanzielle Mittel erhalten wir nicht.»
Susanne Schwyzer, Geschäfsleiterin von Netzwerk Familie, schildert die Perspektiven ihres Vereins als durchwegs positiv.
Foto: Magnus Leibundgut