Er kann das Skispringen noch nicht lassen
Skisprung-Weltmeister Andreas Küttel arbeitet an der Universität von Süddänemark. Dort kommt er tagtäglich in Kontakt mit verschiedensten Sportlern.
PATRIZIA BAUMGARTNER
Andreas Küttel wurde diesen Frühling 40-jährig. 2011 ist der Einsiedler vom professionellen Skisprungsport zurückgetreten und wohnt seither mit seiner Familie in Dänemark. Küttel ist ausgebildeter Turn- und Sportlehrer an der ETH Zürich und hat unterdessen seinen Doktortitel an der Universität von Süddänemark gemacht. Er fand nach seinem sportlichen Karriereende den Wiedereinstieg ins wissenschaftliche Umfeld und arbeitet an der Uni, er unterrichtet als Teaching Assistant Professor und forscht dort.
Küttel selber hat sich einen Namen als Experte gemacht, nicht zuletzt durch seine Doktorarbeit zu den Auswirkungen des nationalen Kontexts auf den Karriereübergang vom Spitzensport ins nach-sportliche Leben in der Schweiz, Polen und Dänemark. Von Zeit zu Zeit ist er als Keynote- Speaker an Tagungen eingeladen. «Ich habe diese Erfahrungen selber gemacht und mich wissenschaftlich damit auseinandergesetzt. » Das gebe ihm Authentizität. Im Rahmen seiner Arbeit an der Universität hat er Kontakt mit diversen Athleten. «Viele Prinzipien sind sich ungeachtet der Sportart ähnlich. Beispielsweise der Umgang mit Stress, Motivation, die Planung des Tagesablaufs, die Kombination mit der Ausbildung und so weiter.» Externe Betreuung
Sporadisch ist er im Winter als Skisprung-TV-Kommentator auf SRF im Einsatz. Ausserdem amtet er als externer Berater für die erste Mannschaft der Schweizer Skispringer. Da Küttel zu 100 Prozent für die Universität arbeitet, bleibt nicht so viel Zeit für die persönliche Begegnung mit «seinen» Athleten. Hier hilft, dass sie sich gut kennen und moderne Kommunikationsmittel zum Einsatz kommen.
Angesprochen auf seine Anfänge als Sportler meint Küttel: «Geografisch muss man am richtigen Ort geboren werden.» In Einsiedeln gibt es bekanntlich eine Tradition des nordischen Skisports, und er stand schon seit er sich erinnern kann gerne auf Skier und sprang über jeden «Hoger», den er finden konnte. Sein Vater, Werner Küttel, war damals Konditionstrainer der Skispringer. «So konnte ich schon in jungen Jahren mit den besten Springern der Schweiz trainieren», was ihn überaus motiviert habe.
Das harte Training zahlte sich aus: Küttels Aktivkarriere im Weltcup dauerte von 1995 bis 2011. Natürlich gab es über all die Jahre viele Highlights. So erinnert sich der Sportwissenschaftler zum Beispiel an seinen ersten Sprung über 100 Meter als 12-Jähriger in Stams. «Ich musste eine Kaffeerunde bezahlen.» Auch die Junioren- WM 1996 in Gallio (ITA) ist ihm in bester Erinnerung, als er Bronze holte und später, als er 2007 den ersten Weltcupsieg vor Heimpublikum in Engelberg errang. Zuvor bejubelte Küttel bereits seinen ersten Weltcupsieg in Lillehammer (2005) inklusive Schanzenrekord (139 Meter). «Ein paar Jahre später durfte ich von dort heimfliegen für die Geburt (Dezember 2009) meines Sohnes Oliver.» Auch der Olympiasieg von Simon Ammann in Salt Lake City (2002) und natürlich sein eigener WM-Titel in Liberec 2009 waren Karrierehöhepunkte. «Speziell waren die Umstände, wie ich es erfahren habe», sagt er. Küttel führte nach dem ersten Grossschanzen-Durchgang und alle machten sich bereit für den zweiten Sprung, als der Wettkampf abgebrochen wurde und der erste Sprung als Schlusswertung zählte. «Ich erinnere mich auch ans Skifliegen unter extremen Bedingungen », erzählt er. Zum Beispiel 2001 in Vikersund war es extrem böig. «Wir hätten eigentlich nicht fliegen dürfen», solche Erlebnisse blieben schon haften. Eine eigene Skisprungschanze
Die grösste der Einsiedler Schanzen, mit Hillsize 117 Meter, ist nach dem Lokalmatador benannt. «Es ist eine super Anlage, wir haben lange dafür gekämpft», erinnert sich Andreas Küttel. Seit 2005 können die Athleten «zu Hause» springen, was extrem wichtig für den Aufbau sei. «Ich springe in den Sommerferien immer wieder gerne von der Schanze.» Küttel ist physisch gut in Form, und das Springen macht ihm nach wie vor Spass. Er kann sich gut vorstellen, auch nächstes Jahr wieder über den Schanzentisch zu flitzen.
Andreas Küttel ist sich bewusst, dass die Einsiedler Schanzen in der Bevölkerung ein Politikum sind. «Ich hielt mich im Frühjahr betreffend der Abstimmung zur Wintertauglichkeit eher zurück», sagt er. Für ihn sei vor allem der Sommerbetrieb wichtig, dafür werde er auch in Zukunft kämpfen und einstehen. Die Schanzen seien zentral für das Nordische Leistungszentrum und für den Skisprungsport in der Schweiz. «Die jungen talentierten Skispringer haben hier die Möglichkeit, Schritt für Schritt an die Weltspitze zu kommen. » Die Masse werde nie Skispringen, das habe man schon 2002 anzureissen versucht. «An Orten ohne Skisprungtradition ist das nicht möglich», ist der Experte überzeugt. Deshalb hofft Küttel, dass die Einsiedler Schanzen mindestens im Sommer betrieben werden können wie bisher.
Der Wissenschaftler Andreas Küttel während eines Referats.
Andreas Küttel (rechts) mit Skispringer Kamil Stoch anlässlich der 100-Jahr-Feier von Polen.
Der Einsiedler betätigt sich nach wie vor gerne sportlich. Fotos: zvg