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«Ich bin völlig überwältigt»

«Ich bin völlig überwältigt» «Ich bin völlig überwältigt»

Interview mit Nicole Kälin aus Gross, die an chronischen Schmerzen leidet und auf eine Spendenaktion viel Zuspruch erfährt

Sie ist ein junger Mensch. Und doch leidet die 26-jährige Nicole Kälin aus Gross täglich an starken Schmerzen. Deshalb hat sie eine Spendenaktion ins Leben gerufen, um sich eine neue Schmerztherapie leisten zu können. Die Resonanz ist unglaublich.

WOLFGANG HOLZ

Frau Kälin, Sie haben eine Spendenkampagne mit dem Titel «Für weniger Schmerzen und mehr Lebensqualität» gestartet. Warum?

Ich habe ständig starke und immer länger anhaltende Schmerzen und brauche viel Erholung von teilweise mehreren Tagen. Vor allem abends sind die Schmerzen fast unerträglich. Deshalb möchte ich alles versuchen, um weniger Schmerzen und somit mehr Lebensqualität zu haben. Nach vielen verschiedenen Medikamenten hat nun mein Schmerzarzt den Vorschlag gemacht, es mit medizinischem Hanf zu versuchen. Die Therapie wurde vom BAG bewilligt und die Kosten belaufen sich für drei Monate auf 2500 Franken. Die Krankenkasse will aber diesen Betrag nicht übernehmen. Da ich von einer kleinen IV-Rente lebe, kann ich diesen Betrag nicht selber finanzieren. Deshalb habe ich die Spendenaktion gestartet. Viele Leute haben Ihnen ja schnell und spontan Geld gespendet. Hat Sie dieses enorme Echo überrascht und sehr gefreut? Ich bin völlig überwältigt und unheimlich dankbar über die sehr lieben Worte, welche mir zugesendet werden und die positiven Rückmeldungen. Ich schätze die wahnsinnig grosse finanzielle Hilfe sehr. Ich möchte mich bei allen herzlich für Ihre Unterstützung bedanken! Die vielen lieben Nachrichten motivieren mich sehr, weiter zu kämpfen, lebensfroh und positiv zu bleiben. Wie viel Geld ist denn bis jetzt zusammengekommen? Den aktuellen Stand kann jeder unter gofundme.com nachsehen. Am 3. November war der Stand bei unfassbaren 19’000 Franken. Herzlichen Dank für Ihre grosszügige Unterstützung! Wie können Sie denn dieses Geld nun einsetzen, um Ihre Schmerzen zu lindern? Dieses Geld verwende ich für Therapien und Behandlungen. In den nächsten drei Monaten werde ich mir davon diese Therapie finanzieren. Danach werde ich in Zukunft bestimmt weiterhin sehr dankbar um dieses Geld sein, um weitere Behandlungskosten und Therapien finanzieren zu können. Warum zahlt Ihnen Ihre Krankenkasse nichts für die benötigten Schmerzmittel? Medizinischer Hanf ist kein kassenpflichtiges Medikament. Deshalb kann die Krankenkasse die Kosten ablehnen. Bei mir wird die Situation nach drei Monaten neu evaluiert, ob die Krankenkasse zukünftig die Kosten übernehmen wird. Warum haben Sie denn so starke Schmerzen? Warum kann man Ihre Krankheit nicht heilen?

Bis jetzt hat leider keine der verschiedenen Therapien eine Heilung bewirken können. Die Krankheit fing aus dem Nichts an. Meine Knie- und Fussgelenke schwollen an, die Oberfläche meiner Beine schmerzten mich so sehr, dass ich nicht einmal Hosen anziehen konnte. Durch einen im Rückenmark eingesetzten Neurostimulator konnten die Oberflächenschmerzen gemindert werden. Aber erneute Schübe verschlimmern und verändern die Schmerzsituation immer wieder, wodurch neue Schmerzprotokolle versucht werden müssen. Bis im Sommer 2017 war ich eine aktive Joggerin und Reiterin und durfte mit viel Freude und Engagement meinen Traumberuf als tierärztliche Praxisassistentin ausüben. Inzwischen kann ich wieder zweimal pro Woche zwei Stunden lang in der Tierarztpraxis arbeiten.

Wie können Sie Ihren Alltag überhaupt bewältigen, wenn Sie den ganzen Tag von Schmerzen geplagt sind?

Je nach Aktivität brauche ich nach etwa zwei Stunden eine Pause. Ich teile mir meine Kräfte im Alltag ein und muss jeden Tag so nehmen, wie er kommt. Es gibt bessere Tage und auch Tage, da schaffe ich es kaum aus dem Bett vor Schmerzen.

Was bedeutet für Sie mehr Lebensqualität? Schmerzfrei zu sein? Für mich bedeuten weniger Schmerzen mehr Lebensqualität zu haben. Schmerzfrei ist mein absolut grösster Traum! Mehr Lebensqualität fängt schon bei kleinen Freiheiten an, wie etwa selbstständig die Wohnung verlassen zu können. Woher nehmen Sie täglich die Kraft, mit Ihrem Schicksal fertig zu werden und so aufgestellt zu sein? Ich war schon immer ein lebensfroher und positiver Mensch,was mir in meiner Situation sehr hilft. Im Alltag versuche ich mich abzulenken und dem Schmerz möglichst wenig Raum zu geben. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Situation nur temporär ist und hoffentlich irgendwann vorbei sein wird und sich mein Leben wieder normalisiert. Haben Sie Freunde und Bekannte, die Ihnen helfen und Mut zusprechen?

Ich bin sehr dankbar, viele liebe Menschen in meinem Umfeld zu haben. Ohne so eine tolle Unterstützung wäre vieles nicht möglich oder kaum erträglich. Sie verbringen Ihre Freizeit gerne mit Pferden. Können Sie dabei Ihre Schmerzen ein Stück weit vergessen? In meinem Leben spielten Pferde schon immer eine zentrale Rolle. Zusammen mit Pferden oder auch mit anderen Tieren kann ich die ganze Geschichte und meine Schmerzen etwas verdrängen und neue Energie für den täglichen Kampf sammeln.

Wie sieht ein perfekter Tag für Sie aus? Das ist eine sehr schwierige Frage. Mein grösstes Ziel ist es, eines Tages schmerzfrei zu sein und wieder laufen zu können. Momentan sind Tage, in denen Krankheit und Schmerzen möglichst wenig Aufmerksamkeit bekommen, gute Tage. Ich schätze das Zusammensein mit lieben Freunden und Bekannten sehr, um mich ablenken und etwas durchatmen zu können und um tolle Erinnerungen zu erhalten für die schwierigen Tage.

Was ist Ihr grösster Wunsch für die Zukunft?

Mein allergrösster Wunsch ist ein schmerzfreies Leben! Mein Ziel ist es, wieder als Fussgängerin unterwegs zu sein und wenn möglich wieder auf meinen Pferden reiten zu können.

«Mein allergrösster Wunsch ist ein schmerzfreies Leben!»

Nicole Kälin, Gross

Der Umgang mit Tieren hilft ihr, ihre Schmerzen für eine Zeitlang zu vergessen: Nicole Kälin mit ihrem Büsi Hugo im Rollstuhl. Foto: zvg

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