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«Es herrscht grosser Rassismus»

«Es herrscht grosser Rassismus» «Es herrscht grosser Rassismus»

Elisabeth Kaleja aus Willerzell betreut mit ihrem Ehemann seit Jahren arme Roma-Familien in der Slowakei

Seit 18 Jahren wohnt Elisabeth Kaleja in Willerzell. Doch eigentlich liegt seit Jahren ihr Lebensmittelpunkt 1200 Kilometer entfernt von hier. Und zwar in der Slowakei. Dort hilft die 75-Jährige ihrem Mann bei der Betreuung von Roma-Familien.

WOLFGANG HOLZ

Ein Auto mit slowakischem Kennzeichen auf dem Einsiedler Sagenplatz? Dazu noch mit den Buchstaben «Eliza» auf dem Nummernschild und dem Sticker «Heiweh- Schwiizer» am Kofferraumdeckel?! Das macht neugierig.

Die freundliche, ältere Dame, die gerade in den Wagen einsteigen will, klärt im spontanen Gespräch auf: «Ich heisse Elisabeth Kaleja und wohne in Willerzell. » So weit so gut. Aber warum fährt sie dann ein Auto mit slowakischer Zulassung? «Ich arbeite als Missionarin in Pecovska Nova Ves und helfe bei der Betreuung von Roma-Familien.» Den «Heiweh-Schwiizer»-Aufkleber habe sie auf Anraten ihres Sohnes angebracht – «damit ich nicht immer von der Polizei angehalten werde.» Sagt sie und grinst.

Ein Dorf quasi am Ende der Welt Später kurz gegoogelt, erfährt man, dass Pecovska Nova Ves tatsächlich ein kleines Dorf ist, das im Osten der Slowakei liegt – vier Kilometer entfernt von Sabinov, der nächst grösseren Stadt, und gut 400 Kilometer weit weg von Bratislava, der slowakischen Metropole und dem früheren Pressburg zu Zeiten der k.u.k.-Habsburger-Monarchie. Die Grenze zur Ukraine ist bloss 150 Kilometer entfernt.

Aber wie um alles in der Welt gerät man bloss an dieses Ende der Welt, wenn man in der Schweiz wohnt – 14 Autostunden weit weg? «Zuerst wohnte ich 35 Jahre lang in Unterägeri », erzählt die 75-Jährige, die aus der Ostschweiz stammt. Ihr erster Mann sei früh gestorben. Aus dieser Ehe habe sie vier Kinder – alle erwachsen im Alter zwischen 46 und 53 Jahren. Mann in Zug kennengelernt

In Zug habe sie dann ihren jetzigen zweiten Mann, Marian Kaleja aus der Slowakei, kennengelernt. «Der sass dort auf der Strasse mit seinem Handörgeli und hat für die Passanten Musik gemacht», verrät die weltoffene Seniorin. Mit ihrem 62-jährigen Ehemann, der selbst zur Roma- Bevölkerung zählt, betreue sie nun in einer evangelischen freikirchlichen Gemeinde in Pecovska Nova Ves die lokale Roma- Bevölkerung.

Marian Kaleja selbst absolvierte vor Jahren eine theologische Ausbildung und gründete eine Roma-Kirche in Sabinov. Kein Wunder. Denn im Osten der Slowakei müssen Roma sonntags noch ihren eigenen Gottesdienst abhalten. Sie dürfen nicht in die Kirche, um mit der katholischen Dorfgemeinde gemeinsam die Messe zu feiern.

«Mein Mann ist Pastor, und ich helfe ihm – beispielsweise beim Austeilen von Lebensmitteln im vor Jahren neu erbauten Gemeindezentrum an die zumeist verarmten Roma-Familien», sagt Elisabeth Kaleja. In die Kirche zu den Gottesdiensten – der ersten Roma-Kirche in der Slowakei – würden rund 1000 Besucher passen. «Es herrscht ein grosser Rassimus gegenüber den Roma, die meist auch keine Arbeit in der Slowakei finden und deshalb von der Sozialhilfe leben müssen.»

Rund zehn Prozent sind Roma

In der Tat werden die Roma als Bevölkerungsminderheit in der Slowakei immer noch diskriminiert – und das, obwohl das Land seit 2004 zur Europäischen Union und seit 2009 zur Eurozone gehört. Die Roma wohnen oft noch immer in völlig heruntergekommenen Siedlungen und Hütten mit Blechdächern, nicht selten ohne Strom und Kanalisation, am Rande der Dörfer und Städte. Zudem erhalten sie kaum Hilfs- und Bildungsangebote. Gleichzeitig machen sie einen signifikanten Anteil der Bevölkerung aus. 80 Prozent der 5,4 Millionen Einwohner sind zwar Slowaken – rund zehn Prozent jedoch Roma. Über 60 Prozent der Bevölkerung sind römisch-katholisch, ungefähr 30 Prozent konfessionslos und zehn Prozent protestantisch, freikirchlich oder orthodox. Roma-Siedlung wegen Corona von Polizei einfach abgesperrt «Viele Roma wandern wegen dieses Rasssimus deshalb nach England aus, wo sie Arbeit finden in Fabriken, als Putzpersonal oder in Spitälern», erklärt Elisabeth Kaleja. Die Roma hätten eine sehr spezielle Lebenskultur, seien sehr kinderreich und familienorientiert.

«Neulich, nachdem die Corona- Zahlen auch in der Slowakei wieder deutlich angestiegen sind, hat man ein Wohngebiet von 7000 Roma einfach durch die Polizei abriegeln lassen», berichtet die Willerzellerin. Dabei würden sich die Roma auch sehr vor dem Virus schützen. «Sie haben grosse Angst vor der Krankheit – nicht zuletzt, weil sie auch nicht gerne zum Arzt gehen.» Die Roma-Familien seien sehr gastfreundlich und herzlich und würden Gäste gerne bewirten – auch wenn sie selbst nicht viel anzubieten hätten. Unterstützung erhält Pastor Kaleja auch aus der Schweiz, wo Freunde den Verein Pro Roma gegründet haben.

Viele sprechen deutsch Wenn Elisabeth Kaleja ihrem Mann nicht bei der Seelsorge und bei der sozialen Betreuung der Roma hilft, managt sie den Haushalt. «Wir wohnen in einem Drei-Generationen Haus zusammen mit der Familie meiner Stieftochter, die zwei Kinder hat», beschreibt sie. Dabei spricht die Willerzeller Seniorin, die offenbar schon drei Herzinfarkte und drei Rückenoperationen hinter sich hat, kein Slowakisch. «Viele können hier Deutsch», versichert sie. In ihrer Freizeit malt sie gerne Aquarelle.

«Ich bin jetzt schon seit 20 Jahren dort», sagt Elisabeth Kaleja. Im Turnus von zwei, drei Monaten kehre sie immer wieder nach Einsiedeln zurück. «Ende Oktober fahren wir wieder in die Slowakei.»

«Roma finden meist keine Arbeit in der Slowakei und müssen deshalb von der Sozialhilfe leben .»

Elisabeth Kaleja

Vor einigen Jahren wurde die erste Roma-Kirche in der Slowakei erbaut: In Sabinov bei Pecovska Nova Ves können Roma nun ihre eigenen Gottesdienste feiern. Vorne rechts (fünfte von rechts) ist Elisabeth Kaleja mit ihrem Ehemann Marian Kaleja und Kindern der Familie zu sehen.

Fotos: zvg

«ELIZA»: Elisabeth Kaleja neben ihrem Auto mit slowakischem Kennzeichen. Sie wohnt und lebt an zwei Orten: in Willerzell und – die meiste Zeit – in Pecovska Nova Ves.

Foto: Wolfgang Holz

Statt Blechhütten: Für sechs Roma-Familien wurden bis jetzt sechs Holzhäuser aufgestellt. Diese sind über polnische Spenden finanziert, kosten je 4000 Euro und bieten 40 statt 12 Quadratmeter Platz.

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