«Ich versuche alles zu geniessen»
«BigTalk» mit Daniela Holdener (55) aus Unteriberg
Sie steht auf dem Balkon und winkt einem freundlich zu. Wer bei Daniela Holdener zu Gast ist, fühlt sich sofort wohl. Im Interview erzählt die gelernte Köchin nicht nur, was Tochter und Ski-Rennläuferin Wendy gerne isst, wenn sie zu Hause ist. Sie hat auch ein sympathisches Lebensmotto.
WOLFGANG HOLZ
Frau Holdener, was gibt es bei Ihnen heute zum Mittagessen?
Etwas Schnelles: Ghackets mit Hörnli. Wobei die Hörnli leer sind, dazu gibt es dann Apfelmus und Gemüse. Die Familie isst alles gerne, was auf den Tisch kommt. Kein Wunder. Sie sind ja von Beruf Köchin. Kochen Sie gerne? Ja, Kochen ist meine Leidenschaft. Beruflich koche ich ja für die Dorf-Metzgerei Schnidrig in Einsiedeln so traditionelle Gerichte wie Hafächabis, Speck und Sauerkraut zu Wild. Auch um den Partyservice kümmere ich mich zusammen mit zwei, drei anderen Mitarbeitern. Warum wollten Sie ursprünglich Köchin werden? Meine Eltern haben früher im Restaurant Schlüssel und im Alpina-Haus in Oberiberg gewirtet. Ich wollte schon immer Köchin werden, weil ich mit diesem Beruf aufgewachsen bin, und wir Kinder unseren Eltern in der Gastronomie viel helfen mussten. Auf was achten Sie beim Kochen? Dass es schmeckt oder dass es gesund ist? Auf beides. Wenn ich beispielsweise etwas koche, was in erster Linie schmecken soll, koche ich beispielsweise Älplermagronen. Dieses Gericht ist aufgrund des vielen Rahms vielleicht etwas fett und nicht unbedingt gesund. Aber es schmeckt eben. Wenn ich betont gesund koche, versuche ich, ausgewogene Menüs zu kreieren: mit viel Gemüse, mit Salat. Natürlich auch mit Kohlenhydraten und Fleisch – damit möglichst alle Komponenten enthalten sind. Ich kaufe die Lebensmittel bei uns im Dorf ein, das Fleisch in der Metzgerei, wo ich arbeite. Verraten Sie uns Ihr Lieblingsgericht?
Ich esse vieles gerne. Ein Lieblingsgericht von mir ist beispielsweise paniertes Schnitzel mit Tomatenspaghetti.
Was isst denn Wendy am liebsten, wenn Sie bei Ihnen zu Hause ist? Sie isst gerne Fleischvogel mit Gumelstungis und Gemüse. Dieses Gericht haben wir schon einmal zusammen für einen Sponsor gekocht. Beim Nachtessen schaut Wendy selbst so ein bisschen, was sie gerade braucht und möchte. Klar, eine gesunde Ernährung ist auch wichtig für den sportlichen Erfolg. Was bedeutet es Ihnen persönlich, wenn Wendy ein Weltcup-Rennen gewinnt oder aufs Podest fährt? Erfolg ist nicht das Wichtigste, es ist ja sehr schwierig, auf das Podest zu fahren. Mitfiebern gehört natürlich dazu und natürlich hoffe ich, dass ihre Arbeit belohnt wird. Das Wichtigste ist aber die Gesundheit. Apropos Gesundheit. Im Februar waren Sie am Knie nach einem Skiunfall verletzt, jetzt muss Wendy gerade eine Wadenbeinfraktur auskurieren. Ist Ihr Knie wieder ganz gesund – und wie geht es Wendy? Meinem Knie geht es so weit wieder gut. Ich gehe ab und zu noch in Therapie. Auch Wendy ist auf dem Weg der Besserung. Ihre Verletzung auszukurieren, braucht eben Zeit. Ich habe sie gerade heute Morgen nach Einsiedeln in die Physio gebracht. Was hat Ihnen eigentlich die Goldmedaille von Wendy bei den Olympischen Spielen 2018 in Südkorea bedeutet? Das war ja ein sehr besonderer Erfolg. Ich war damals in Südkorea mit dabei. Wenn man bei einem Rennen fant, ist das eigentlich immer gleich. Aber in Pyeongchang war das doch noch etwas anderes, weil ich wusste und spürte, dass an so einem Rennen noch viel mehr dranhängt – denn Wendy ist ja für ihr Land, für die Schweiz gestartet. Die Emotionen nach so einem Rennen sind deshalb irgendwie noch grösser, weil sich das Ganze wie in einer anderen Liga abspielt. Spüren und sehen Sie, wenn Sie Wendy beim Rennen zuschauen, ob es ein guter Lauf wird? Nein, ich kann das nicht sehen. Mein Mann und meine Söhne können das schon eher beurteilen. Ich schaue die Rennen immer im Stehen an und drücke ihr immer die Daumen. Wenn sie mal ausscheidet, zucke ich kurz zusammen.
Wie trösten Sie Wendy, wenn es mal in einem Rennen nicht so gut gelaufen ist? Dann muss man Wendy erst mal Zeit geben, sich selbst mit der Situation auseinanderzusetzen. Wenn sie nach Hause kommt, nehme ich sie einfach in den Arm. Daheim reden wir nicht viel über die Skirennen, sie soll sich ja erholen. Wenn Wendy heimkommt, ist sie die Wendy. Wenn sie von sich aus über die Rennen reden möchte, sprechen wir natürlich gerne darüber. Wie hat sich Ihre Wahrnehmung im Dorf verändert, seit Wendy so erfolgreich Ski fährt? Sprich: Wie sind die Reaktionen in Unteriberg und in Ihrem Bekanntenkreis, wenn Wendy gewonnen hat?
Es gibt schon Reaktionen. Die meisten Leute freuen sich mit uns. Vor allem an meinem Arbeitsplatz in der Metzgerei bekomme ich viele Reaktionen. Viele sagen, sie drücken uns die Daumen. Oder im Frühjahr kann es sein, dass jemand sagt, dass Wendy jetzt ja wieder ein halbes Jahr Pause hat. Negative Reaktionen haben wir bis jetzt keine
erlebt.
Wendy kann wahrscheinlich nur so gut Ski fahren, weil sie die alpinen Gene ihrer Mutter geerbt hat.
… und die von meinem Mann …
… klar! Sind Sie eigentlich in Ihrer Jugend auch Rennen gefahren?
Ja, ich bin bis ins Alter von 14 Jahren einige IO-Rennen gefahren. Danach habe ich aufgehört, weil ich meine Lehre angefangen habe. Mein Mann ist länger Rennen gefahren. Da ich in Oberiberg aufgewachsen bin, sind wir selbstverständlich immer viel Ski gefahren. Wie ist denn Ihr Fahrstil auf der Piste: Eher Speed oder eher Stil? Ich fahre gerne schnell Ski – natürlich nur, wenn es die äusseren Bedingungen zulassen, und wenn es nicht zu viele Leute auf der Piste hat. Ich mag die Geschwindigkeit. Man muss aber immer konzentriert fahren – vor 20 Jahren habe ich mir ein Kreuzband beim Skifahren gerissen.
Wie sehen Sie eigentlich Mikaela Shiffrin? Sind Sie manchmal neidisch auf sie oder gönnen Sie ihr ihre Erfolge? Es soll immer die Beste und die Schnellste gewinnen. Und im Slalom gibt es ja nicht nur sie, sondern gleich vier, fünf Läuferinnen, die unter sich den Sieg ausmachen. Natürlich haben wir unter uns auch schon gesagt, wenn Shiffrin nicht gesiegt hätte, hätte Wendy wohl schon einige Slaloms gewonnen. Aber das ist keinesfalls negativ gemeint. Früher hat eine Vreni Schneider fast alles gewonnen. Es handelt sich oft um sehr knappe Entscheidungen.
Da ist Jassen deutlich entspannender. Erklären Sie doch mal einem Kartenspielmuffel wie mir, was das Tolle am Jassen ist? Da ist natürlich das Gesellige. Dass man mit Kollegen und Kolleginnen zusammen Zeit verbringt. Man ist nicht allein. Das Spiel selbst bietet Tausende von Varianten – das ist faszinierend. Jeder spielt anders. Das habe ich schon früh erfahren, als ich als Kind in unserer Wirtschaft am Stammtisch immer genau verfolgt habe, wie die Herren dort spielten. Jassen ist selbstverständlich einfach eine Freizeitbeschäftigung und ein Hobby.
Wenn man in der Badi junge Leute beobachtet, fällt auf, dass viele Teenager und Jugendliche Jassen oder Karten spielen. Woher rührt diese Faszination?
Das ist richtig, es wird wieder mehr Karten gespielt als auch schon. Woran das liegt, kann ich nicht erklären. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass man in einer Clique gerne mal etwas Neues ausprobiert. Kann man sich beim Kartenspielen möglicherweise ungezwungener unterhalten – weil man etwas in der Hand hält? Das glaube ich nicht. Wobei wir Frauen grundsätzlich verschiedene Sachen gleichzeitig bestens beherrschen ( lacht). Das heisst, wir können uns problemlos miteinander unterhalten und gleichzeitig Karten spielen. Sie sind eine Ybrigerin. Warum möchten Sie nirgendwo anders leben als in Unteriberg? Hier leben meine Lieblingsmenschen. Natürlich könnte es theoretisch auch anderswo auf der Welt Lieblingsmenschen geben. Aber im Ybrig sind sicher meine Wurzeln. Andererseits verreise ich auch sehr gerne. Was ist das Schöne an Unteriberg?
Es gibt hier alles, was man braucht. Berge, den Sihlsee. Und wenn man schnell mal in eine grössere Stadt fahren möchte wie Zürich oder Luzern, lässt sich das problemlos realisieren – und man ist auch wieder schnell zu Hause. Wo ist es schöner – in Unteriberg oder in Oberiberg? An beiden Orten ist es schön. Ich lebe jetzt seit 35 Jahren in Unteriberg, bin aber in Oberiberg aufgewachsen. Dabei musste ich schon als Schülerin in die Sek nach Unteriberg. Meine Lehre habe ich in Engelberg verbracht – danach bin ich wieder nach Oberiberg zurückgekehrt. Nach Unteriberg bin ich erst gezogen, als ich mit meinem Mann Martin zusammen war. Wir haben uns damals in einem Restaurant in Studen kennengelernt: Ich war Serviertochter, er nahm gerade an einem Firmenessen teil. Das klingt sehr romantisch. Und was machen Sie am liebsten, wenn Sie mal nichts machen?
Dann lese ich etwas, trinke Kaffee, jasse. Ich bin nicht jemand, der Bücher verschlingt. Als Kind ist es mir schon schwer gefallen, Bücher zu lesen. Ich lese einfach gerne Klatschgeschichten in Heftli, die mir meine Nachbarin immer vorbeibringt. Das ist unterhaltsamer Lesestoff. Lesen Sie auch, was über Wendy geschrieben wird? Ich lese alles, was mir in die Hände kommt. Ich habe mich auch schon furchtbar aufgeregt ( lacht). Das kann ich verstehen. Haben Sie denn ein Lebensmotto?
Ich versuche, alles zu geniessen, was kommt. Und ich versuche, gesund zu bleiben. Ich habe mit zunehmendem Alter gelernt, für mich zu entscheiden, was wichtig und unwichtig ist – und dementsprechend setze ich meine Energien ein.
«Mein Mann und ich haben uns damals in einem Restaurant in Studen kennengelernt: Ich war Serviertochter, er nahm gerade an einem Firmenessen teil.»
Daniela Holdener
Idyllische Aussicht von ihrem Balkon in Unteriberg: Daniela Holdener. Foto: Wolfgang Holz