Alle im gleichen Boot – mit Maske und einem Ziel
Der Fussball Europa League Final in Köln und das Theater Spektakel Zürich sind zwei soeben über die Bühne gegangene unterschiedliche Grossveranstaltungen mit internationaler Ausstrahlung – an der Front dabei die beiden Brüder Andreas und Veit Kälin aus Egg.
MARLIES MATHIS
Dass sich das Leben an verschiedenen Orten unter dem gleichen Himmel noch unterschiedlicher gestaltet als vor der Covid-19-Zeit, wurde dem Dreier-Leitungsteam des Theater Spektakels Zürich, dem auch der Egger Veit Kälin angehört, in der Vorbereitung des berühmten und beliebten Sommerfestivals immer wieder von Neuem bewusst. Was normalerweise mit rund eineinhalb Jahren Vorlaufzeit erfolgt und als Höhepunkt während mehr als 14 Tagen zur Durchführung gelangt, musste dieses Jahr nach der Absage in seiner traditionellen Art innerhalb weniger Wochen auf völlig neue Beine gestellt werden.
Ganz wichtig war dem Trio, nicht nur ein Festival mit jenen Künstlern und Künstlerinnen anzubieten, die noch reisen konnten, sondern nach Wegen zu suchen, wie dennoch Kunst aus fernen Gegenden möglichst viele Menschen in Zürich erreichen konnte. So ist ein Theater Spektakel entstanden, das dezentral in den Quartieren, am und auf dem See, in Installationen, auf einer Picknickdecke, am Sandstrand, im Internet, am Telefon oder am Radio zu erleben war.
Die Besucher wurden dadurch (auf-)gefordert, sich auf den Weg zu begeben, um all die unterschiedlichen künstlerischen Stimmen, die sich in der Stadt Zürich versammelten, zu entdecken und dem Alternativprogramm dieses aussergewöhnlichen Festivals mit Neugier und offenem Herzen zu begegnen. Erstmals wieder im Einsatz
Sozusagen zur selben Zeit wie das zweiwöchige Theater Spektakel in Zürich über die Bühne ging, wurde im europäischen Fussball um die prestigeträchtigsten Titel gespielt, welche zeitlich verschoben und ebenfalls unter speziellen Bedingungen stattfanden.
Wie schon seit Jahren mischt in dieser Organisation der Bruder von Veit, der 44-jährige Andreas Kälin, mit. Mit einer sehr reduzierten Zahl an Mitarbeitern war er für die Planung hinsichtlich Infrastruktur und Signalethik sämtlicher Spiele, inklusive Finale, der Europa League in Köln verantwortlich. So wurden innerhalb von drei Wochen sämtliche letzten Begegnungen im Raum Nordrhein-Westfalen ausgetragen, wobei je ein Viertel- und ein Halbfinal und der Höhepunkt, das Endspiel zwischen Sevilla und Inter Mailand (3:2), in Köln stattfanden.
Die grösste Herausforderung war bei jedem Spiel, alle Vorschriften minutiös einzuhalten, um ja einen Coronafall zu vermeiden, da sonst trotz eines spezifischen Schutzkonzeptes und aller Vorsichtsmassnahmen das ganze Vorhaben wie ein Kartenhaus zusammengebrochen wäre.
So war beispielsweise jeder Eintritt zur Arbeit ins Stadion mit dem Durchlaufen von bis zu fünf Checks verbunden. Unter anderem wurde auch jeden Tag Fieber gemessen und jene, die in Kontakt mit den Spielern kamen, wurden gar jedes Mal auf Corona getestet!
An Trainings- und Spieltagen wurde im Stadion ein sogenanntes Tracking-System aufgebaut, sodass zwischen einzelnen Bereichen nur nach spezieller Kontrolle gewechselt werden konnte. Das Essen habe man übrigens täglich abgepackt und entsprechend kalt erhalten, aber wenn man Hunger habe, sei das egal, erzählte Andreas Kälin rückblickend. Und mit Ausgang sei gar nichts gewesen, schliesslich habe man in dieser Position eine Vorbildfunktion innegehabt.
Mit sehnsüchtiger Freude erwartet Trotz all dieser Massnahmen war die Freude der Spieler riesig, im direkten Kontakt mit einer gegnerischen Mannschaft um den Sieg zu kämpfen, auch wenn die Stimmung sozusagen ohne Zuschauer natürlich fehlte. Doch davon sind die Fussballer selber zum Glück nicht abhängig, auch wenn sie logischerweise die akustische und optische Zuschauer-Kulisse ebenfalls vermissten, entstehen doch Emotionen erst durch eine Atmosphäre im Stadion, und da ist das Publikum vor Ort ein wesentlicher Bestandteil. Fürs Fernsehen, respektive für die Zuschauer daheim, wurde hingegen ein belebender, aber imaginärer Geräuschpegel teilweise einfach eingespielt.
Die Begeisterung, sich endlich wieder auf dem Spielfeld zu messen, überwog aber bei weitem die ungeliebten Nebenerscheinungen, die sich leider, aber logischerweise aus den Coronaregeln ergaben, so zum Beispiel die lästige, aber notwendige Maskenpflicht, die ansonsten während des ganzen Tages für alle galt und strikte einzuhalten war. Dies habe sich aber längst gelohnt, und schliesslich seien sie als Gemeinschaft mit dem selben Ziel alle im gleichen Boot gesessen, lautete das positive Fazit des Egger Projektleiters zu seinem ersten grossen Fussball-Abenteuer nach der coronabedingten Fussball-Auszeit.
Neue Formate ausprobiert Gerade die direkte Interaktion, die zwischen Theaterspielern, Komikern oder anderen Performern und Zuschauern spielen muss, und den Darbietenden erst eine Resonanz auf ihre Arbeit gibt, fehlte hingegen gezwungenermassen an einigen Orten am Theater Spektakel Zürich. Wie kann ein Besucher seine Emotion, seine Freude oder Begeisterung ausdrücken, wenn nur zwei Augen über der Maske hervorschauen? Oder wie kann ein Künstler die unmittelbare Wirkung, die er auf seine Zuschauer ausübt, spüren und darauf reagieren, wenn er durch eine Art Wand von ihnen getrennt ist?
So sei denn die allgemeine Stimmung sehr ruhig gewesen, auch bedingt durch den bescheideneren Publikumsaufmarsch, aber dafür hätten leisere oder intimere Produktionen und Programmformate ihren Platz am diesjährigen Festival gefunden und hätten eine ganz neue Ambiance geschaffen, was ihn persönlich sehr gefreut habe, fasst Veit Kälin seine Eindrücke zusammen. Nebst dem, dass er dankbar sei, dass sie als Veranstalter vielen Leuten endlich wieder einmal Arbeit geben durften.
Auch bei den Mitarbeitern habe zu Beginn eine eher gedrückte Stimmung geherrscht und der Respekt vor Corona sei gross gewesen. Doch je länger es gedauert habe, umso mehr sei die typische Festival-Stimmung zurückgekehrt, ergänzt der 39-Jährige. Sie hätten aber alle Vorsichtsmassnahmen immer strikte eingehalten, da in ihrem relativ grossen Team die Ausbreitungsgefahr doch enorm gewesen sei, sie aber zum Glück alle verschont blieben.
Solidarität und Kreativität
Vom Publikum wurde natürlich die einmalige Atmosphäre, welche das Spektakel ansonsten wortwörtlich ausstrahlt, vermisst. Doch schätzten die Besucher, die dem Festival auch in dieser aussergewöhnlichen Zeit und Form, beispielsweise auch ganz ohne das legendäre und vielseitige Gastroangebot und die Strassenkunst auf der Landiwiese, die Treue hielten, die Möglichkeit, Begegnung direkt oder über Distanz zu erleben.
Im Gegenzug durften endlich auch Kulturschaffende, die von den Auswirkungen von Covid 19 extrem stark betroffen sind, dank des von der Stadt Zürich und zahlreichen weiteren Sponsoren und Gönnern finanzierten Festivals endlich wieder einmal vor Publikum auftreten, wenngleich viele von ihnen unter ganz neuen Voraussetzungen oder in neuen Formaten.
Gerade solche und viele weitere Herausforderungen in diesen Bereichen gilt es sowohl in kultureller wie in sportlicher Hinsicht weiterhin mit Solidarität und Kreativität anzugehen und zu meistern, um auch in Zukunft die für viele Leute so lebenswichtigen Zweige in unserer Gesellschaft auszufüllen und zu bereichern.
So waren sich denn die beiden Brüder zum Schluss auch einig, dass sie es sehr schätzen, in der glücklichen Lage zu sein, wieder in ihrem geliebten Metier tätig sein zu können, während das in etlichen Branchen leider noch nicht der Fall ist.
Strikt Distanz einhalten und ständig Maske tragen. Das gilt für den Organisator Andreas Kälin (links) auch bei der Vorbereitung für den Europa League Final in Köln.
Eine seltsame Stimmung am Geister-Endspiel in der Europa League zwischen Sevilla und Inter Mailand in Köln.