Wenn schwarze Leben zählen
Ein Marsch auf dem Weg ins Klosterdorf stand im Zeichen der Solidarität und richtete sich gegen Rassismus und Diskriminierung
Die Afrikanische Wallfahrt ist heuer wegen Corona ins Wasser gefallen. Anstelle der Wallfahrt ist am Samstag im Zeichen von «Black Lives Matter» ein Solidaritätsmarsch von Biberbrugg nach Einsiedeln über die Bühne gegangen.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Zum 10. Mal hätte am 29. August die Wallfahrt der in der Schweiz lebenden Afrikanerinnen und Afrikaner nach Einsiedeln stattfinden sollen. Wegen des Coronavirus wird die Jubiläumswallfahrt nun um ein Jahr auf den 28. August 2021 verschoben. Trotz der Absage wollten die Organisatoren bereits in diesem Jahr ein Zeichen setzen. Eine symbolische Wallfahrt «im kleinen Kreis» rief am Samstag zum Widerstand gegen Rassismus und Diskriminierung auf. Anlass dazu gaben die rassistischen Gewalttaten in den USA.
Um 10 Uhr versammelten sich denn rund zwanzig Leute am Bahnhof Biberbrugg, um den Solidaritätsmarsch nach Einsiedeln bei strömendem Regen unter die Füsse zu nehmen. Observiert von der Schwyzer Kantonspolizei, die mit einem Streifenwagen vor Ort war – möglicherweise zum Schutz der Teilnehmer vor Gewalt, denn «Black Lives Matter »-Aktionen können gut und gerne Gegendemonstranten auf den Plan rufen.
Racial Profiling im Fokus
Marco Schmid, OK-Präsident der Afrikanischen Wallfahrt, begrüsste das verstreute Grüppchen von ein paar Unentwegten, die sich trotz des grauen Wetters nicht davon abhalten liessen, 57 Jahre nach Martin Luther Kings Rede «I have a dream», die er am 28. August 1963 beim Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit vor mehr als 250’000 Menschen gehalten hatte, sich auf den Weg zu machen.
«Es ist erstaunlich, was der Todesfall des Afroamerikaners George Floyd ausgelöst hat, der durch eine gewaltsame Festnahme von Polizisten getötet wurde », sagte Schmid: Dass nun weltweit «Black Lives Matter»-Aktionen über die Bühnen gehen würden – und dies nicht zuletzt auch im Bezirk Einsiedeln.
Naturgemäss lassen sich die USA kaum mit der Schweiz vergleichen: Hierzulande spielen sich Rassismus und Diskriminierung in subtilerem Rahmen ab – etwa in Form von Racial Profiling seitens der Polizei.
«Ich weiss von Schwarzen, dass sie zum Beispiel bei Bushaltestellen Schwarzen lieber aus dem Weg gehen», sagt Schmid: Aus Angst, dass sie sonst in eine Polizeikontrolle geraten könnten – weil die Polizei in der Regel eher Schwarze kontrolliert denn Weisse. Von Marcel Strebel bedroht
Auf der ganzen Welt protestieren Menschen nach dem Tod von George Floyd gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze. Der St. Galler Seelsorger für Migranten und Flüchtlinge, Chika Uzor, kommt aus Nigeria, ist Mitglied des OK Afrikanische Wallfahrt und marschiert gleichsam mit von Biberbrugg nach Einsiedeln: Für ihn bedeuten die Proteste Hoffnung auf Veränderung. Chika Uzor hat am eigenen Leib Rassismus erfahren – und dies in der Schweiz: «Ich habe einmal ein Gipfelkreuz auf dem Vitznauerstock eingeweiht, das stand in der Zeitung.» Dass ein Afrikaner das machte, war Marcel Strebel von der rechtsradikalen Patriotischen Front ein Gräuel. «Daraufhin kamen er und einige Skinheads nach dem Gottesdienst in die Pfarrei und suchten mich», schildert Uzor: «Als sie mich nicht fanden, zündeten sie ein Holzkreuz an und schlugen die Schaufenster in dem Restaurant ein, in dem ich gerne zu Mittag ass.» Chika Uzor erzählt, wie er selber Racial Profiling erlebt hatte: «An einem einzigen Tag wurde ich in der Schweiz ganze drei Mal von der Polizei kontrolliert – nur wegen meiner dunklen Hautfarbe.» Am frühen Morgen am Hauptbahnhof Zürich am Nachmittag im Zug nach Sargans, und am Abend, als er zu Fuss vom Bahnhof St. Gallen nach Hause spazieren wollte. Wenn Afrikaner Banane isst
Nachdem die Gruppe zuerst der Einsiedlerstrasse entlang marschiert ist, die Alp überquert und einen steilen Hang erklommen hat, erreicht sie den Altberg. Marco Schmid ruft auf, für eine gewisse Zeit schweigend unterwegs zu sein – im Andenken an Freunde und Bekannte der Bewegung «Black Lives Matter». Dann setzt sich der Marsch weiter in Richtung Hartmannsegg, bevor der Weg beim Galgenchappeli in die Alte Etzelstrasse abzweigt.
Williams Kalume, 1964, Betriebslogistiker und Kulturvermittler, stammt aus Kinshasa, der Hauptstadt von Kongo, und lebt seit 23 Jahren in der Schweiz. Er ist Mitglied des Grossen Kirchenrats, des Parlaments der katholischen Kirchgemeinde in der Stadt Luzern, und des Pfarreirats St. Anton und St. Michael.
Williams Kalume hat Diskriminierung und Rassismus in der Schweiz auf einer eher subtileren Ebene erfahren: Etwa bei der Wohnungssuche, in der er als Schwarzer schon mal aussen vor aufgelaufen ist. Oder als er von einem Mitglied seiner eigenen Kirchgemeinde gefragt worden ist, ob er Muslim sei – nur weil er bei einem Essen gesagt hatte, er möge kein Schweinefleisch. «Krass war, als eine Person mir sagte, jedem Tier das Seine – als ich eine Banane gegessen habe.»
Gottesdienst zum Abschluss
Oftmals seien Vorurteile gegenüber Schwarzen im Unterbewusstsein von Einheimischen abgespeichert. Obwohl er Schweizer sei, werde er immer wieder gefragt: «Woher kommst Du eigentlich wirklich?» Kürzlich sei seine Tochter, als sie gerade eine Toilette verlassen hatte, darauf aufmerksam gemacht worden, dass jetzt keine Zeit sei, das WC zu putzen: Für einige bedeute eine schwarze Hautfarbe automatisch, dass es sich sicherlich um Putzpersonal handeln müsse …
Nun erscheint der Sihlsee im Fokus der Marschierenden. Friedsam grasen Kühe auf der Weide. Bereits rückt das Kloster Einsiedeln ins Visier der Gruppe – das Ziel des Solidaritätsmarsches: Nach dem Marsch feiert Abt Urban Federer mit den Teilnehmenden einen Gottesdienst – zum Abschluss der symbolischen Wallfahrt im kleinen Kreise.
Mit Sicht auf den Sihlsee: Die Marschierenden sind unterwegs von der Hartmannsegg, bevor der Weg beim Galgenchappeli in die Alte Etzelstrasse abzweigt. Fotos: Magnus Leibundgut
Chika Uzor ist Seelsorger für Migranten und Flüchtlinge in St. Gallen und OK-Mitglied Afrikanische Wallfahrt: «Für mich bedeuten die Proteste Hoffnung auf Veränderung.»
Dem Regenwetter zum Trotz findet sich eine Gruppe am Bahnhof Biberbrugg ein, um den Weg in Richtung Einsiedeln in Angriff zu nehmen.
Friedsam grasen Kühen auf der Weide, während die Teilnehmer des Marsches einen Teil der Strecke schweigend absolvieren.
Williams Kalume ist Mitglied des Parlaments der katholischen Kirchgemeinde in der Stadt Luzern und des Pfarreirats St. Anton und St.Michael: «Rassismus spielt sich oft auf einer sehr subtilen Ebene ab.»
Um vor Zwischenfällen gewappnet zu sein: Die Kantonspolizei Schwyz hat den Solidaritätsmarsch am Samstag im Auge.
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