«Meine Kühe sind glücklich»
Margrit Odermatt ist Landwirtin auf einem Bauernhof im Klosterdorf und Expertin bei der Produzentenorganisation Mutterkuh Schweiz
Heuer wird das Jubiläum «40 Jahre Natura-Beef» gefeiert. Mit dabei bei diesem Label sind Margrit und Klaus Odermatt: Seit 33 Jahren ziehen sie Jungrinder aus der Mutterkuhhaltung auf. Just vor einer Woche, um 13.30 Uhr, erlebten sie die Geburt des Kalbes Una – Bella heisst die Mutterkuh.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Sind Ihre Kühe glücklich?
Ja, das sind sie (lacht). Jede unserer 18 Mutterkühe der Limousine- Rasse. Die älteste unter ihnen ist 16 Jahre alt. Manchmal haben die Kühe Ärger, wenn ihre Kälber nicht folgen wollen. Doch das ist dann ihr Job, wie bei den Menschen: Die Mütter müssen ihre Kinder erziehen.
Sind Sie auch glücklich?
Oh ja. Im Augenblick gerade sehr: Vor einer halben Stunde hat die Mutterkuh Bella gerade ihr Kälblein gekriegt, das gesund und munter ist. Man muss es immer schätzen, wenn ein Kalb gesund zur Welt kommt, denn es kann durchaus zu Komplikationen oder selten sogar zu Totgeburten kommen. Zum Leben und zum Glück gehört auch der Tod dazu. Bricht es Ihnen das Herz, wenn Sie Ihre Rinder auf die Schlachtbank führen müssen? Wir hegen und pflegen die Tiere zehn Monate lang und versuchen sie zu beruhigen, wenn ihr letzter Tag im Leben gekommen ist. Weil wir Natura-Beef-Fleisch produzieren, gehört auch der letzte Akt zum Ganzen: Um den Rindern einen möglichst stressfreien und kurzen Transportweg zu gewähren, werden diese in der Stachel Metzg in Feusisberg geschlachtet. Das Fleisch wird anschliessend bei Alois Kälin in Euthal weiterverarbeitet. Was unterscheidet Natura-Beef vom konventionellen Rindfleisch? Es ist in erster Linie die Haltung: Die Jungtiere leben mit ihren Müttern in Gruppenhaltung in einem grossen, offenen Laufstall mit eingestreuter Liegefläche und im Sommer auf den Weiden. Sie können sich frei bewegen, nach Bedarf bei ihrer Mutter trinken und haben Gras und Heu zur freien Verfügung. Die Mutterkühe werden mit betriebseigenem Raufutter gefüttert. Ihr Hof ist zudem ein Bio-Betrieb?
Bio hat weniger mit dem Fleisch zu tun, sondern vielmehr, wie das Land behandelt wird: Wir verwenden keine Chemie und stechen unsere Unkräuter wie zum Bespiel Blacken oder Disteln von Hand aus. Auf unserer Sommerweide «Brunneren», wo es sehr viele Blacken hat, mähen wir sie drei Mal mit der Sense. Das ist naturgemäss und mit viel Mehrarbeit verbunden. Die Pflege und Nutzung der Wiesen ist mit Nutztieren nachhaltig und ressourcenschonend.
Welche Tätigkeiten führen Sie als Expertin bei Mutterkuh Schweiz aus? Ich bin für das Zuchtprogramm der Herden zuständig, konkret für die Aufzucht der Muni. Ich reise zu den Höfen, die bei dieser Produzentenorganisation dabei sind, in der halben Schweiz und messe die Muni aus: Grösse, Gewicht und Form spielen da eine Rolle. Diese Expertise dreht sich also vornehmlich um Zahlen. Natürlich auch um Ästhetik: Wenn ein Jungstier nicht dem Zuchtziel entspricht, wird er aussortiert. Haben Sie auch schon die Bekanntschaft mit einem wilden
Stier gemacht?
Oh ja, das kommt vor (lacht). Wenn ein Jungstier wild oder ungehobelt ist, muss er in den Topf, das heisst, er wird geschlachtet. Denn ein Muni darf nicht böse sein. Für seine weitere Existenz sind nicht nur seine Masse, sondern auch sein Charakter matchentscheidend. Nur ein guter Muni bleibt im Zuchtprogramm. Welche Herausforderungen stehen im Zentrum?
Das Handling mit Mutterkühen ist nicht ganz einfach, weil die Gefahr besteht, dass ich ihnen als Landwirtin fremd werde. Ein Milchbauer geht zwei Mal pro Tag in den Stall, um die Kühe zu melken. Der hat also viel mehr Kontakt zu den Tieren als wir. Deswegen ist es wichtig, dass man nett zu den Mutterkühen ist, ihnen Gutes tut, sie streichelt, sich ihnen widmet. Und sich natürlich um sie sorgt, wenn sie krank werden.
Was wären die Folgen für Ihren Betrieb, wenn die Trinkwasserund die Pestizidverbots-Initiative angenommen werden würden? Das wäre verheerend für die Landwirtschaft. Die Betriebe müssten viel zu vieles erfüllen, das Päckli der beiden Initiativen ist happig. Auch für Biobauern wären die Folgen immens. Die Produktion würde in der Schweiz einbrechen und es müssten noch mehr Nahrungsmittel importiert werden. War es Ihr Mädchentraum, Landwirtin zu werden? Ich bin da ganz natürlich in diesen Beruf hineingewachsen. Bereits meine Eltern waren Landwirte. Im Alter von 14 Jahren bin ich das erste Mal im Sommer auf die Duli-Alp gegangen und von da an acht Jahre lang. Im Winter bin ich in dieser Zeit Langlaufen gegangen. Mit 22 Jahren habe ich meinen Mann kennengelernt, der damals bereits auf dem klostereigenen Bauernhof gearbeitet hat. Und dann ergab sich die wunderbare Gelegenheit, diesen Hof vom Kloster Einsiedeln selber pachten zu können.
Können Sie das Wesen der Kuh beschreiben?
Die Kuh ist ein gemütliches, gutmütiges und zufriedenes Wesen. Sie frisst gerne Gras den ganzen lieben Tag lang, liegt gerne herum und geniesst ihre Zeit und ihr Leben (lacht). Nicht zu spassen ist mit einer Mutterkuh, die mit ihrem Nachwuchs auf der Weide weilt. Sind Sie selber auch schon in gefährliche Situationen geraten? Nein, noch nie. Weil ich passe gut auf. Schliesslich ist es der Job der Kuh, gut auf ihr Kälblein aufzupassen, sie will es beschützen. Doch unser Job ist es, just nach der Geburt zu sorgen, dass das Kalb genug Biemstmilch «Kolostrum» von der Mutter trinkt, weil diese Milch die lebensnotwendigen Abwehrstoffe enthält. Meist geht das von alleine, doch manchmal müssen wir dem Kalb helfen, das Euter zu finden … Daher ist es uns sehr wichtig, dass unsere Mutterkühe einen guten Charakter haben. Darauf legen wir bei unserer Zucht grossen Wert. Verhalten sich Wanderer Richtung Katzenstrick mitunter unvorsichtig oder gar fahrlässig? Oh ja. In diesem Jahr hat es viele Leute – wohl wegen Corona – die wandernd unterwegs sind und nicht so geübt sind im Umgang mit Mutterkühen. Wenn dann noch ein Hund dabei ist, kann es schon gefährlich werden. Es laufen Leute zum Teil auch einfach quer über die Weide. Ein gutes Zeichen ist es, wenn die Kühe einen gar nicht beachten. Brenzlig wird es, wenn eine Mutterkuh einen in Augenschein nimmt. Dann ist es besser, sich langsam zurückzuziehen, oder die Herde weit zu umgehen. Das Bauernhofsterben geht im Kanton Schwyz weiter und verstärkt sich gar noch. Welche Probleme stehen im Fokus? Es wird weiter eingezont, immer mehr Landwirtschaftsfläche verschwindet. Junge Familien, die gerne bauern würden, finden kein Land, um es pachten zu können. Die herrschende Landwirtschaftspolitik trägt hierzu auch ihren Teil bei: Sie tendiert zu immer grösseren Betrieben. Die kleineren und mittleren Höfe bleiben so auf der Strecke. Wie steht es um die Nachfolgeregelung auf Ihrem Bauernhof? Eine unserer Töchter wird in drei Jahren den Betrieb zusammen mit ihrem Mann übernehmen. Wohin bewegt sich die Welt?
In eine sehr ungewisse Richtung. Die langfristigen Folgen dar aktuellen Corona-Situation sind nur schwer abzuschätzen, und für einige Branchen ist es eine unvorstellbar schwierige Zeit. Ich hoffe auf baldige Normalisierung bezüglich der getroffenen Massnahmen, doch leider sieht es noch nicht danach aus.
Sie freuen sich über die Geburt des Kalbes Una: Margrit und Klaus Odermatt posieren zusammen mit ihren Enkelkindern Thies und Paige.
Die Mutterkuh Ilvie ist mit ihrem Kalb Uriot im Stall zugegen. Der Vater ist der Stier Ultimo. Fotos: Magnus Leibundgut
Auf der Sommerweide der Brunneren-Alp fressen die Mütterkühe das feine Gras mit Inbrunst.
Ab dem Jahr 1987 haben Margrit und Klaus Odermatt den Bauernhof an der Katzenstrickstrasse und das umliegende Land, das sich im Besitz des Klosters Einsiedeln befindet, gepachtet.